Gleichberechtigung
Väter, seid ihr in der Ernährerrolle wirklich glücklich?
Vaterschaftsurlaub, Teilzeitarbeit, Kinderbetreuung, Hausarbeit: Seit Jahren wollen Männer mehr Verantwortung übernehmen. Doch in der Realität sieht das immer noch anders aus. Liebe Männer, könnt ihr oder wollt ihr nicht?
Man rieb sich verwundert die Augen: Nicht einmal die Hälfte aller Väter hat 2021 den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub eingezogen, der ihnen zustehen würde. Warum nur so wenige? Immerhin hatten mehr als 70 Prozent der Männer zwischen 18 und 44 Jahren bei der Abstimmung zum Vaterschaftsurlaub im September 2020 ein Ja eingeworfen.
Hört man sich um, sind erste Gründe schnell gefunden. Etwa, dass solche Veränderungen immer eine gewisse Anlaufzeit brauchen. Und tätsächlich die neusten Zahlen für das laufende Jahr 2022 zeigen eine positive Tendenz. Bis im August haben nun bereits 70 Prozent der Neo-Väter auch ihre 10 Papi-Tage eingezogen. Puh, das beruhigt zumindest ein bisschen. Dann ist ein Vaterschaftsurlaub doch mehr als nur ein «nice to have», dass der Karriere nicht förderlich is?
Vereinbarkeit ist auch für Männer wichtig
An den Arbeitgeber liege es nicht, sagt Lukas Müller-Brunner, Ressortleiter Sozialpolitik und Sozialversicherungen des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. «Von unseren Mitgliedern erhalten wir immer wieder die Rückmeldung, dass Arbeitgeber den Bedürfnissen nach mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine sehr hohe Bedeutung zumessen und teilweise noch über das gesetzliche Minimum hinausgehen», Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel seien Arbeitgeber schon aus ureigenen Motiven an guten Anstellungsbedingungen interessiert.
Im Ausland alles besser?
Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass der Verzicht der Väter auf Familienbeteiligung bei Weitem kein schweizerisches Phänomen ist. In fast allen Ländern europaweit verzichten Männer ganz oder zu einem grossen Teil auf bezahlten Vaterschaftsurlaub beziehungsweise auf bezahlte Elternzeit. Etwa in Deutschland, Österreich oder Frankreich. Auch wenn beim Bezug von Elternzeit in jedem Land zwischenzeitliche Einkommenseinbussen in Kauf genommen werden müssen, geht es dabei in den wenigsten um absolut ökonomische Zwänge wie etwa in Italien, wo die Eltern in Familienzeit bis anhin lediglich 30 Prozent des sowieso schon niedrigen Einkommens erhalten haben. Die grosse Ausnahme in Sachen Väterengagement scheint wieder einmal Schweden zu sein. Aber nur auf den ersten Blick. Hier gehen heute 80 Prozent der Männer in Elternzeit. Kinderwagenschiebende Väter prägen das öffentliche Bild seit Jahren. Zumindest in Städten. Auf dem Land sieht es etwas anders aus.
Doch auch in Schweden passierte das nicht über Nacht. Als die Elternzeit 1975 eingeführt wurde, nahmen sie nicht einmal ein Prozent der Männer in Anspruch. 20 Jahre später wurden deshalb die Papa-Monate eingeführt, bei denen drei der insgesamt sechzehn Monate Elternzeit fix für Väter reserviert wurden und nicht mehr auf die Mütter kumulierbar waren. Ab da nahm die Beteiligung der Väter rasant zu.
Auch schwedische Väter halten sich zurück
Heute haben schwedische Eltern zusammen 480 Elterntage bei rund 80 Prozent des vorherigen Gehalts. Zwar nehmen schwedische Väter zwischen drei und neun Monaten Familienzeit. Aber alles in allem gehen auch hier lediglich 30 Prozent der ausbezahlten Elterntage effektiv auf das Konto der Männer. Die Mütter gehen oft doppelt so lange in Elternzeit. Das wiederum bedeutet, dass Frauen länger dem Arbeitsplatz fernbleiben.
Das Europäische Parlament kritisiert diese Ungleichstellung von Männern in der Familie und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und hat gehandelt. Im Juni 2019 erliess es neue Richtlinien zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Ab August 2022 sollten alle 27 Mitgliedstaaten einen gut bezahlten Vaterschaftsurlaub von minimal zehn Tagen ab Geburt des Kindes eingeführt haben.
Wo ist der Teilzeitmann?
Also, alles braucht seine Zeit. Die Frage ist nur: Wie lange darf Veränderung dauern? Vor genau zehn Jahren lancierte männer.ch den «Teilzeitmann». Ziel war, dass im Jahr 2020 mindestens 20 Prozent der Männer und Väter in Teilzeit arbeiten und sich um Kinder und Haushalt kümmern. 2012 waren es 8,5 Prozent.
Ein Blick auf die Statistik zeigt: Im Jahr 2020 haben immerhin 16,8 Prozent der Väter mit Kindern im Alter von 0 bis 3 Jahren in Teilzeit gearbeitet. Also Ziel, wenn auch nicht ganz, wenigstens beinahe erreicht? Nein. Denn ab dem Kindesalter von vier Jahren sank die Zahl der Teilzeiter wieder auf 11,7 Prozent. Schaut man sich dann noch bei der Beteiligung der Väter in Hausarbeit und Kinderbetreuung um, hat sich in den letzten zehn Jahren auch nicht richtig viel bewegt. Wo sind sie, die Männer, die gleichberechtigt Care-Arbeit in der Familie übernehmen wollten? Markus Theunert, Mitinitiant des Projekts Teilzeitmann und Gesamtleiter von männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen, sagt im Interview auf der nächsten Seite: «Der Anteil der Väter, die in Teilzeit arbeiten, steigt zwar kontinuierlich an. Doch ich wundere mich schon auch, wie schwer sich Männer und Väter damit tun, sich von ihrer einseitigen Erwerbsorientierung zu lösen.»
Und wo sind die Frauen?
«Tatsache ist, dass Männer den Job eher nicht kündigen, falls nach der Geburt eines Kindes Teilzeitarbeit durch die Firma nicht gewährt wird. Frauen aber schon», sagt Regula Bühlmann, Zentralsekretärin vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB. Um Job und Kinder unter einen Hut zu bringen, werde dies von Frauen gesellschaftlich erwartet und sei akzeptiert. «Genauso gesellschaftlich erwartet wird nach wie vor, dass Männer die Haupternährer der Familie sind.» Die meisten der aktuell teilzeitarbeitenden Männer täten dies wahrscheinlich in einem 80-Prozent-Pensum und würden aus dem freien Tag den Papatag machen.
«Aber ich stelle jetzt mal eine ketzerische Gegenfrage», sagt Regula Bühlmann. «Anstatt dass wir Teilzeitarbeit für Männer ausbauen, sollten wir nicht besser in Richtung Vollzeitbeschäftigung gehen mit reduzierter Arbeitszeit von 35 oder gar 30 Stunden pro Woche? Mit gleichem Lohn vor allem in den Tieflohnsegmenten?» Das gäbe Zeit für Engagement in der Familie, sagt die Gewerkschafterin. Alle hätten etwas davon. «Vor allem auch die Frauen, welche aktuell oft im Tiefpensum-Bereich arbeiten, Kind und Haushalt schultern und den Anschluss an das Berufsleben und an die spannenden Jobs verpassen.»
70:70 wäre auch für die Wirtschaft ideal
Aber: Wollen Frauen überhaupt mehr arbeiten? Sind sie bereit für eine gleichberechtigte Rollenteilung? Wollen sie Männern mehr Anteil in der Kindererziehung und dem Haushalt überlassen und finanzielle Verantwortung ernsthaft übernehmen? Fakt ist jedenfalls: «Wenn Männer Väter geworden sind, erhöhen sie in der Tendenz eher ihr Pensum, auch weil Frauen nach der Geburt eines Kindes in vielen Fällen mehr Teilzeit arbeiten oder sich ganz aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen», sagt Simon Wey, Chefökonom vom Schweizerischen Arbeitgeberverband.
«Für die Wirtschaft wie auch für Familien wäre es jedoch von Vorteil, wenn die Pensen von Männern und Frauen ausgeglichen verteilt wären.» So wäre beispielsweise eine Aufteilung von je 70 Prozent einer Konstellation von 100 Prozent für den Mann und 40 Prozent für die Frau vorzuziehen, so Wey. «Die Karriere- und Lohnchancen bei den Frauen verbessern sich, und der Wirtschaft stehen mehr Arbeits- und insbesondere Führungskräfte in höheren Pensen zur Verfügung.»
Es scheint, die Wirtschaft ist bereit für die Zukunft und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Jetzt müssen nur noch die Väter wollen. Und die Mütter auch.
Als Quereinsteigerin in den Journalismus schreibt Anita Zulauf erst für die «Berner Zeitung», die Migrationszeitung «Mix», nun bei «wir eltern» und als freie Journalistin bei dem Kulturmagazin «Ernst». Sie mag Porträts und Reportagen über Menschen-Leben und Themen zu Gesellschaft und Politik. Als Mutter von vier Kindern hat sie lernen müssen, dass nichts perfekt, aber vieles möglich ist.