Bettnässen
Und plötzlich ist das Bett wieder nass
Von Andreas Grote
Bettnässen bei älteren Kindern ist weit verbreitet. Zwei Fachleute beantworten unsere Fragen zum nächtlichen Malheur – welches sich meistens beheben lässt.
Bis zum Alter von fünf Jahren liegt das Bettnässen im Rahmen der normalen Entwicklung, etwa jedem dritten fünfjährigen Kind passiert es noch regelmässig. Es gibt auch ältere Kinder, die nachts noch nicht trocken sind. Im Alter von sieben Jahren betrifft dies etwa zehn Prozent aller Kinder.
Wird jedes Kind altersmässig unterschiedlich «trocken»?
Das Trockenwerden ist genauso ein individueller Prozess wie das Laufenlernen. Die einen können mit neun Monaten, die anderen erst mit 18 Monaten laufen. Die einen Kinder werden mit zwei Jahren trocken, die anderen sind es mit fünf noch nicht. Das Erlangen der Blasenkontrolle ist ein komplexer Prozess, der auch über die sich entwickelnden Nervenbahnen vom Gehirn gesteuert wird.
Sind einnässende Kinder zu faul oder zu bequem ?
Nein. In den allermeisten Fällen ist das Bettnässen funktioneller Natur. Allerdings spielt auch die Genetik eine grosse Rolle, denn häufig war auch ein Elternteil Bettnässer. Mehr als die Hälfte der Kinder nässt auch tagsüber ein. Tagsüber liegen die Gründe für das Einnässen meist an einer noch zu kleinen oder überaktiven Blase, «keine Zeit» für den Toilettengang während des TV-Guckens oder beim Spielen, durch einen ungewohnten Tagesrhythmus auf Ausflügen oder durch das Zurückhalten des Pipi wegen dreckiger Toiletten in der Schule. Bei Kindern, die nachts einnässen, ist die produzierte Hormonmenge zur Reduzierung der nächtlichen Urinproduktion noch zu niedrig und die Steuerung des Weckreizes durch das Gehirn bei voller Blase noch nicht ausgereift.
Eltern denken oft schnell an psychische Ursachen. Zu Recht ?
Eine psychische Ursache ist sehr selten und wenn, bestehen neben dem Bettnässen meist noch andere Probleme. Etwas anderes ist es, wenn das Kind länger schon trocken war und dann wieder einnässt. Dann können durchaus belastende Situationen wie ein neues Geschwisterchen, Trennung der Eltern, Stress in der Schule oder Misshandlung Auslöser sein.
Lässt sich mit frühzeitigem und intensivem Töpfchen-Training die Entwicklung der Urinkontrolle beim Kind beschleunigen ?
Neuere Studien zeigen, dass sehr frühes und aggressives Trockentraining den Reifungsprozess der Blasenkontrolle nicht beschleunigt. In Europa und in den USA wird daher empfohlen, mit dem Töpfchentraining zu warten, bis das Kind signalisiert, dass es dafür bereit ist. Dann interessiert es sich für die Toilette, merkt, wenn die Windel voll ist oder stört sich an der vollen Windel. Das ist in der Regel zwischen dem 18. und 36. Lebensmonat der Fall. Eltern sollten daher aufmerksam sein, tagsüber Toilettentraining anbieten und nachts öfter mal die Windel auslassen.
Wie können Eltern mit ihrem Kind das Thema Bettnässen kommunizieren ?
Das Kind muss wissen, dass es, auch wenn es älter als fünf Jahre ist, bei Weitem nicht allein mit dieser Problematik ist, denn die Blase ist bei ihm einfach noch nicht ausgereift. Diese Information hilft Kind und Eltern. Andere Kinder haben andere Probleme, sind nicht so gut im Sport, im Lesen, im Rechnen.
Wann ist es Zeit für einen Arztbesuch ?
Bis zum fünften Lebensjahr ist eine umfassende Abklärung und auch Therapie meist nicht gerechtfertigt. Danach kann eine Abklärung bei eine:r Kinderurolog:in oder -nephrolog:in sinnvoll sein, um organische Ursachen an Harnröhre oder Nieren auszuschliessen. Der Arzt wird auch den Grund für das Einnässen einkreisen, um dem Kind gezielt durch sanfte Methoden oder Medikamente zu helfen. Wenn die Familien zum Arzt kommen, sind neben der Abklärung auch das Gespräch und die Aufklärung genauso wichtig, um den Leidensdruck zu nehmen.
Ist bei vielen Kindern nicht das Trinkverhalten mitverantwortlich für das nächtliche Einnässen ?
Die meisten Kinder haben tagsüber keine Zeit zu trinken, was eine zu kleine Blasenkapazität fördert, da diese ungenügend gefüllt wird. Am Abend kommt dann der Durst und die Kinder trinken das nach, was sie tagsüber zu wenig tranken. Dadurch wird die Blase nachts überlastet und kann den produzierten Urin nicht speichern. Die Menge sollte daher gut über den Tag verteilt werden, also zwei Drittel der Menge bis etwa 16 Uhr. Auch ein regelmässiger Toilettengang alle zwei bis drei Stunden tagsüber ist wichtig, um die Blase nicht zu überreizen. Und: Es direkt vor dem Schlafengehen immer noch mit einem Pipi versuchen.
Die Fragen beantworteten Martina Frech, Kinderurologin am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB), und Mazen Zeino, Kinderurologe am Universitätsspital Bern. Empfehlenswerte Website zur Urotherapie:
Welche Hilfsmittel entlasten die Familien?
Einfache Hilfsmittel sind Matratzenschoner oder saugende Matten fürs Bett sowie urinaufsaugende Unterhosen. Solche Hilfsmittel beheben nicht die Ursache, aber vermindern tags und nachts den Leidensdruck. Zum Teil werden diese Produkte von der Krankenkasse übernommen. Zur Therapie zu Hause gibt es die Klingelhose: Sie trainiert das Kind über mehrere Wochen aufzuwachen, wenn die Blase voll ist und kleine Mengen Urin verliert. Zusätzlich trainiert es die Blasenkapazität. Sie hat eine Erfolgschance von etwa 70 Prozent, funktioniert aber nur, wenn das Kind dazu bereit ist und braucht drei bis sechs Monate.
Was eignet sich für Übernachtungen ausser Haus ?
Bei Auswärtsübernachtungen können saugende Pyjamahosen statt Windeln getragen werden, so fällt es nicht auf. Auch kann dem Kind kurzfristig ein Hormonmedikament verabreicht werden, das die nächtliche Urinproduktion reduziert, sodass die Blase die anfallende Urinmenge bis zum Morgen speichern kann. Das eignet sich aber nicht für alle Kinder und man muss bei der Einnahme einige Dinge beachten. Deshalb sollte der Einsatz von einem Arzt verordnet werden. Hier liegt die Erfolgsrate ebenfalls bei 60–70 Prozent. Tagsüber können Medikamente eine überaktive oder zu kleine Blase entspannen.
Es gibt auch Jugendliche, die nachts unwillkürlich urinieren. Was ist der Unterschied zum kindlichen Bettnässer ?
Ein bis zwei Prozent der Kinder nässen im Jugendalter weiterhin ein. Auch hier ist die Ursache weiterhin häufig funktioneller Natur. Eine sorgfältige Abklärung ist nötig, ob nicht doch eine organische Ursache dahintersteckt. Trainingshosen, saugende Pyjamahosen oder ein Weckapparat werden auch in diesem Alter angewendet. Auch eine medikamentöse Therapie bringt häufig Besserung. Welche Therapie die richtige ist, muss individuell abgeklärt werden, wie bei den jüngeren Kindern auch.