Mehr Fantasie im Kinderzimmer
Superman war gestern!
Was wäre eine Kindheit ohne Osterhase, Storch oder Zahnfee? Hintergründe zu den «wahren» Helden des Kinderzimmers.
Die Zahnfee
Herkunft
Kleines geflügeltes Wesen, das aus Amerika stammt. Manisch beobachtet die Zahnfee Kinder im Einschulungsalter. Und deren Zähne. Fällt einer aus, legt das Kind seinen Zahn unter das Kopfkissen, die Zahnfee fliegt bei Nacht herbei, holt den Zahn und hinterlässt stattdessen ein kleines Geschenk. Ursprünglich soll es mal eine Goldmünze gewesen sein.
Erzieherischer Nutzen
Hoch! Zum einen nimmt die Zahnfee Kindern aufgrund deren ausgeprägter Liebe zu Geschenken die Angst vor Wackelzähnen und Zähneziehen. Besonders geschäftstüchtige Mädchen oder Jungen ruckeln sogar festsitzende Zähne aus, um den Gewinn zu maximieren. Zum anderen bietet die Zahnfee erfreulichen pädagogischen Ermessensspielraum: Sammelt eine Zahnfee auch schlecht geputzte Zähne? Sucht sie an den verbleibenden nach Bonbonresten? Hinterlässt sie bei Beanstandungen lediglich eine Tube Elmex junior? Der elterlichen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Warnung
Der Zahnfee-Brauch geht wahrscheinlich auf Hexenrituale zurück, bei der die Hexe zum Verfluchen Fingernägel oder eben Zähne des Opfers benötigte. Das gilt es Kindern zu ersparen.
Nuggifee
Herkunft
Wahrscheinlich eine Cousine der Zahnfee. Die Schnullerfee ist eine zwielichtige Gestalt. Schnullerfeen kommen meist im dritten Lebensjahr und lehren Jungen und Mädchen durch «Schnuller gegen Teddy»: Jeder ist käuflich.
Erzieherischer Nutzen
Hoch! Besser die Schnullerfee ist das hartherzige Miststück als Mama.Das Kind samt neuem Teddy in den Arm zu nehmen, gemeinsam auf die Nuggifee zu schimpfen und dabei warmen Kakao zu trinken, hat garantiert nachhaltigeren Erfolg als noch so eindrückliche Bilder von Zahnfehlstellungen.
Lerneffekt
Mama ist auch in schweren Zeiten bei mir! Sobald das Kind allerdings beginnt, lange Wunschlisten für die Windelfee, die Daumennuckelfee, die trockene-Hose-Fee zu erstellen, gilt es, Gegenmassnahmen zu ergreifen: Ein tödlicher Feenvirus muss her oder – die Wahrheit.
Engelchen
Herkunft
Hier befindet man sich auf schwierigem Terrain. Laut Bibel gibt es sie in mannsgross und flammenumzüngelt. Die kindgerechtere Variante: winzig, pummelig und goldlockig, tummelt sich in allen Advents-Bilderbüchern.
Erzieherischer Nutzen
Hoch. Die Kinder lernen, dass es überall Ämtli gibt: Weihnachtsgeschenke basteln im Himmel, Meerschweinchen ausmisten auf der Erde. Drittens ermöglicht ein Wunschzettel die wichtige Erfahrung: Wünsche sind etwas anderes als eine Internet-Bestellung.
Storch
Herkunft
Nordeuropa, vermutlich Schweden. Hier finden am Mittsommernachtstag besonders viele Hochzeiten und folglich auch Hochzeitsnächten statt. Im Frühling, also etwa neun Monate später, kommen die Störche aus dem Winterquartier zurück – und viele Babys zur Welt. Ein Glücksfall für verklemmte Erwachsene.
Erzieherischer Nutzen
Hoch. Der Klapperstorch ist ein Klassiker. Aufklärungs- Allgemeinbildung sozusagen. Ausserdem eignet sich die Storch-Geschichte prima, um sich dem Thema «Wo kommen die Babys her?» behutsam anzunähern. Es lässt sich mutmassen, ob so ein Tier überhaupt ein Baby tragen kann, wo er die Kleinen findet und wo die Babys vermutlich wirklich herkommen – oder falls erstes Wissen vorhanden – wie in Mamas Bauch hinein.
Bölimann
Herkunft
Der Bölimann stammt aus Luzern. Vielleicht auch aus Schwyz, Uri oder Unterwalden. Laut Alois Lütolfs Sagenbuch gehört er zur Familie der Kobolde, wohnt in Kornfeldern, lauert dort Kindern auf und versetzt sie durch Poltern in Angst und Schrecken. In städtischen Gebieten muss er mangels Kornfeld anderswo wohnen.
Erzieherischer Nutzen
Tja. Pädagogen spucken einem vor die Füsse, wenn man nur das Wort benutzt. Der Bölimann ist bäh. Ein fieses Instrument, um Kinder einzuschüchtern. Haben sich doch ganze Generationen davor gefürchtet, vom Bölimann in einen dunklen Sack gesteckt zu werden. Trotzdem: Ganz ohne Bölimann ist auch doof. Wenigstens in Mamas und Papas Erzählungen von der eigenen ach so harten Kindheit darf der Bölimann nicht fehlen. Das sorgt für kindliche Bewunderung und wohliges Grausen.
Osterhase
Herkunft
Der Osterhase war in seinen Anfängen ein Osterkuckuck, ein Osterhahn, ein Osterfuchs oder auch ein Osterstorch – je nach Region. Die Geschichte des Osterhasen ist drei Wikipediaseiten lang. Fest steht aber, irgendwie ist der Hase – vielleicht aufgrund seines munteren Liebeslebens – mit dem Fruchtbarkeitsfest in Verbindung gekommen. Die Sache mit dem Ei ist unlogisch. Kinder stört das nicht. Erstens sind sie von der Entwicklung her mindestens bis zum Schuleintritt dem magischen Denken verhaftet und halten Zwerge, Zauberer oder sprechende Butterbrote für kein bisschen verwunderlich, und zweitens scheint es ihnen die Geschichte «das Baby kommt aus Mama» nicht weniger bizarr als «das Ei kommt aus dem Hasen».
Erzieherischer Nutzen
Hoch! Welches Kind steht auf harte Eier? Welches Kind sucht gerne? Den verschwundenen zweiten Socken beispielsweise? Na, bitte. Der Osterhase machts möglich. Ausserdem sind Eiertütschen, Eiersuchen und eine Karotte auf die Fussmatte legen, um den Osterhasen anzulocken, ohne Hase öde, mit Hasenglauben liebenswert, lustig und –
stiften eine schöne Familientradition.
Samichlaus
Herkunft
Die Verwandtschaftsverhältnisse der Wintergestalten sind unübersichtlich. Ist der Weihnachtsmann der Zwillingsbruder vom Nikolaus? Ein und derselbe? Gibt es Anzeichen für eine Persönlichkeitsspaltung?
Erzieherischer Nutzen
Hoch. Sich durch die weihnachtlichen Geschichten, Legenden und Ungereimtheiten zu ackern, schult kindliche Fantasie, logisches Denken und wichtiger noch: die Fähigkeit zu staunen. Und später, wenn die Kinder längst keine mehr sind, wird Mama sich noch an jedem 6. Dezember daran erinnern, wie sie früher alle gemeinsam mucksmäuschenstill in die Dunkelheit gehorcht haben, ob der Nikolaus klopft.