In Lissabon blättert auch in den guten Quartieren der Putz von der Fassade. Die Wohnungssuche ist trotzdem romantisch.
Wir sitzen auf dem Hotelbett und studieren Inserate. Unser Sohn ist zwei Autostunden entfernt bei seinen Grosseltern im Norden des Landes, wir verbringen ein paar Tage alleine in Lissabon, auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Zwischendurch telefoniert mein Mann und notiert Uhrzeiten und Adressen auf einer zerknitterten Quittung. Wir haben uns vorab erkundigt, auf die Fenster sollen wir achten bei der Besichtigung, doppeltverglast müssen sie sein, unbedingt, der milde Winter bringt sonst bitterkalte Nächte ins Schlafzimmer. Es sind gute Gegenden, in denen wir uns mit den Immobilienmaklern treffen, familienfreundliche Quartiere, haben wir uns sagen lassen. Aber es blättert doch auch hier der Putz von der Fassade? Ich blicke meinen Mann fragend an. Er, der Portugiese, sieht etwas anderes als ich, die Schweizerin. Gepflegte Wohnhäuser mit Topfpflanzen im Eingang stehen unbeteiligt neben lange vergessenen Werkstatthallen mit rostigen Toren, über unsere Köpfe hinweg zieht eine grosse Brücke ihre Bahn – ein Widerspruch für mich, städtischer Einklang für ihn.
Wir besuchen Wohnungen, die bis zum Zierkissen hin fertig eingerichtet sind und solche, in die wir sogar den Herd selbst mitbringen müssten, manche haben gepflasterte Hinterhöfchen, andere fensterlose Räume. Termin reiht sich an Termin, es wird schon dunkel, als wir an einer Bäckerei vorbeikommen, wir essen warme Butterbrote, sie schmecken himmlisch, ein Abendessen zu zweit, es fühlt sich an wie ein Date. Im Kino sehen wir uns gleich zwei Filme hintereinander an.
Am nächsten Morgen stehen wir in einer Wohnung mit goldglänzenden Armaturen im Bad und einer Stube, in die unser gesamte Hausrat passen würde. Der Balkon gibt den Blick auf einen grauen Klotz frei, ein Gefängnis, vielleicht? sage ich nur halb im Scherz, nein, eine Schule. Ein Fussballfeld mit kniehohem Gras grenzt daran, dort, wo die Ersatzbank sein könnte, stehen ein paar schief zusammengezimmerte Holzhäuschen. Wir bedanken uns für die Besichtigung und fahren los, fahren, fahren über eine breite Pflastersteinstrasse, sie führt gerade hinunter zum Fluss, hier wärs doch schön, sagt mein Mann noch, da sehen wir schon das Schild mit der Nummer des Maklers an einer der gekachelten Fassaden hängen. Der Zufall will es, später werde ich es selbstverständlich Schicksal nennen, dass es derselbe Makler ist, zu dem wir sowieso gerade unterwegs sind. Die Wohnung ist zu teuer, natürlich, ansehen wollen wir sie uns trotzdem. Kaum stehen wir im Flur, ist auch schon klar – die ist es. Willkommen Zuhause.
Bloggerin Ümit Yoker
Ümit Yoker (Jahrgang 77) hätte nie gedacht, dass sie je einen grösseren Umzug wagt als einst den vom zugerischen Baar nach Zürich. Doch die Tochter eines Türken und einer Schweizerin sollte die grosse Liebe in Form eines Portugiesen finden, und nach ein paar gemeinsamen Jahren in der Schweiz und der Geburt von zwei Söhnen zieht die Familie 2014 nach Lissabon. Hier hat sich die Journalistin bisher noch keinen Augenblick fremd gefühlt. In ihrem Blog erzählt sie von Neuanfang und Alltag in der Ferne.