Elternkolumne
So erzieht man kleine Gourmets
Seit er Teilzeit alleinerziehnder Vater ist, koch unser Kolumnist noch leidenschaftlicher. Denn gutes Essen macht die Kinder nicht nur glücklich - es lockert auch ihre Zunge.
Ei», sagte meine Tochter, als sie anfing zu sprechen, und ich nahm sie beim Wort. Zwar sagte sie als zweites «nei», doch ich vermutete keinen direkten Zusammenhang und tischte ihr fortan Eier in allen erdenklichen Variationen auf; vom goldigen Rührei über Spiegeleier bis hin zu Tamagoyaki, eine Art japanisches Omelett.
Seit letztem Jahr kommen unsere Eier von einem Patenhuhn von der Aktion «Mein Huhn mein Ei». Meine Kinder tauften es auf den Namen Brownie. In unserer Küche hängt eine Fotografie von Brownie, die auf einem Solothurner Hof lebt, wo ihr dereinst nach getaner Arbeit ein langes Leben als Pensionärin vergönnt ist. Demnächst wollen wir sie besuchen.
Warum erzähle ich das alles? Weil hinter jeder Zutat, hinter jedem Rezept eine Geschichte steckt. Und niemand hört doch lieber eine gute Geschichte als Kinder! Darum weiss ich es so sehr zu schätzen, dass ich, seit ich Teilzeit alleinerziehender Vater bin, wieder mehr Zeit und Musse für die Essensplanung habe, für das Einkaufen und für das Kochen selbst. Wenn auch die Zahl der Mahlzeiten mit meinen Kindern insgesamt schmerzhaft gesunken ist, so ist deren Qualität gestiegen.
Schliesslich geht Liebe durch den Magen. Auch Elternliebe. Darum koste ich die Vorfreude auf das nächste Wiedersehen mit meinen Kindern heute wortwörtlich aus. Und stehen sie dann endlich im Treppenhaus und rufen mir zu: «Was giiiiit’s?!», entgegne ich ihnen freudig: «Cazzi e patate!» (Ein politisch nicht korrekt übersetzbarer Insider, der sich auf das Buch «Taste» von Stanley Tucci bezieht.)
Dass meine Kinder solch neugierige und unkomplizierte Esser sind, hat wohl drei Gründe. Erstens: Involvement. Sie konnten früh ein Verständnis dafür entwickeln, was es braucht, damit ein gutes Gericht entstehen kann. Sie kennen den Geschmack von Lorbeer und Hanföl, hatten beide schon rote Finger von Randen und gelbe von frischer Kurkuma und verwechseln schon mal Kefen mit Edamame. Zweitens: Erlebnis. Ich hatte niemals Hemmungen, meinen Kindern die Welt der Restaurants zu zeigen. Sie haben schon früh in der «Bodega Española» Tapas probiert, im Grand Hotel «homard à la presse» gegessen, beim Italiener in die Küche geschaut und sich beim Japaner im Stäbchenessen versucht. Drittens: keine Extrawürste. Früher wie heute wird dasselbe gekocht für alle Anwesenden.
Hinzu kommt das bereits erwähnte Storytelling, das heute ja nicht selten wichtiger scheint als der Genuss. Doch als jemand, der seinen Lebensunterhalt zu einem grossen Teil schreibenderweise verdient, weiss ich um die Wirkungskraft von Worten und Geschichten. Für mich ist klar: Die Feder ist nicht nur mächtiger als das Schwert, sondern auch als jedes Steakmesser.
Das Beste dabei ist: Kulinarisches Storytelling funktioniert in beide Richtungen! So reichen meist zwei, drei Bissen und ich erfahre das Wichtigste vom Schulalltag und von der Zeit, die meine Kinder nicht mit und bei mir verbringen. Es wird berichtet, gelacht, reklamiert und kommentiert; es kommt zu Gesprächen, Fragen, Diskussionen und manchmal auch zu Empörung oder Streit. Beim gemeinsamen Mahl kommt eben das pralle Leben auf den Tisch.
So kommt es, dass sich uns die Gerichte aus der Kindheit derart stark einprägen. Festtage und gemeinsames Kochen verstärken diesen Effekt noch. «Können wir wieder dasselbe machen wie letztes Jahr?», wurde ich vor Weihnachten gefragt. «Das war so fein!» Also briet meine Tochter Massamanpaste an und mörserte Erdnüsse, während mein Sohn Gemüse mit Austernsauce und Yuzusaft ablöschte und die Schmorzeit mit seiner Fitbit-Uhr im Auge behielt.
Ich würde mir wünschen, dass meine Kinder, wann immer sie an Weihnachten denken, den Duft unseres Menüs riechen können. Und dass vor ihrem geistigen Auge ein Bild auftaucht von uns dreien, wie wir gemeinsam kochen und essen, bis wir satt sind. Und überglücklich.