Gesellschaft / Affäre
Milena, Kind einer Liebschaft
Von Anita Zulauf
Er ist charmant, Politiker, verheiratet und dreifacher Vater. Sie verliebt sich, ohne Anspruch auf eine gemeinsame Zukunft. Dann wird sie schwanger. Die Geschichte einer Affäre, die zur Flucht wird.
Zu diesem Kind habe ich bewusst Ja gesagt, ein Ja aus tiefstem Herzen.» Die Frau die das sagt, nennen wir sie Andrea, sitzt am Holztisch in ihrem Wohnzimmer. Sie fährt sich durchs Haar, immer wieder wird sie still, denkt nach, bleibt hängen in den Erinnerungen, an gute Zeiten und an die, die danach folgten. Die zweijährige Milena liegt in ihrem Arm, sie ist eingeschlafen. Das Rumtoben hat sie müde gemacht. Milena ist das Ergebnis einer Affäre. Der Vater des Kindes ist verheiratet, hat mit seiner Ehefrau drei Kinder. Er ist ein angesehener Mann, beliebt, bekannt, ein Politiker auf kantonaler Ebene, bei der CVP.
Die Schlagzeile
Vielleicht auch darum kommt bei Andrea wieder alles hoch, als im September 2016 der ehemalige CVP-Parteipräsident und Nationalrat Christophe Darbellay in den Medien sagt: «Ich habe einen schweren Fehler gemacht.» Darbellay muss öffentlich geradestehen für seine Affäre, aus der ein Kind entstanden ist. Für Andrea ist diese Aussage wie eine persönliche Kränkung. Nicht, dass sie etwa die Geliebte Darbellays wäre. Sondern weil er die Affäre als Fehler bezeichnet und so die Frau abwerte, die Gefühle, das Kind, das das Ergebnis einer einzigen Nacht gewesen sein soll. So in etwa dürfte es auch Andreas ehemaliger Geliebter formuliert haben, als er seiner Ehefrau die Schwangerschaft beichtete, damals, als Andrea im siebten Monat war. «Ich wehre mich dagegen, dass unsere Beziehung reduziert wird zu einer billigen Affäre, in der es nur um Sex ging. Das haben viele gesagt. Doch das stimmt nicht. Schliesslich waren wir über ein Jahr zusammen, haben viel Alltag geteilt und sind öfter gemeinsam übers Wochenende weggefahren.»
Die Gesellschaft
Andrea und der Vater des Kindes leben in einer katholischen Region, irgendwo in der Schweiz. Hier werden Werte hochgehalten. Hier geht man am Sonntag in die Messe. Auch wenn der Einfluss der Kirche selbst in diesen Regionen am Schwinden ist, ist hier die Ehe noch heilig, die traditionelle Familie das Ideal. Frauen, die sich scheiden lassen, leben fortan mit einem Makel. Das erlebte auch Andrea, als sie sich vor Jahren von ihrem Ehemann trennte. Mit ihm hat sie eine heute zehnjährige Tochter.
Und dann dieses Kind. Unehelich. Von einem verheirateten Mann. Die Leute wechseln die Strassenseite, wenn sie Andrea begegnen. Es wird getuschelt hinter vorgehaltener Hand. Sie ist die «Schuldige«, wird verantwortlich gemacht, für alles. Er wird mit einem Glanzresultat wiedergewählt. Ihm wird verziehen. Ihr nicht. «Das Kind braucht einen Vater», sagt einer zu ihr, der eigentlich ein Freund ist. «Sorg dafür, dass du so schnell wie möglich einen Mann findest.» Ohne Mann ist man hier nicht viel wert. Als die gut ausgebildete Frau ihr Leben regelt, einen 70-Prozent- Job annimmt, ist auch das ein gesellschaftlicher Affront: «Hier arbeiten Frauen nicht in einem hohen Pensum. Alleinerziehende Frauen haben einfach bescheiden zu leben», sagt sie.
Andrea lässt sich unterkriegen, hadert, leidet, kämpft gegen Windmühlen, will beweisen, was keinen interessiert. Von Interesse ist nur, dass gegen aussen die Welt heil ist. Andrea stört die Regeln der Gesellschaft. Alles wird zu viel. Sie kapituliert und zieht weg. Das war im Sommer 2016.
Jetzt sitzt sie hier, an diesem Holztisch, in diesem neuen Dorf, 60 Kilometer entfernt. Sie hat ihr Leben in beide Hände genommen, hat sich ein eigenes Haus gebaut. So etwas hätte sie sich früher nie zugetraut, sagt sie. «Die Geburt meiner Tochter Milena hat mir viel Selbstvertrauen und Stärke gegeben.» Mein Glückskind, nenne sie Milena oft. Oder Lovechild.
Die Affäre
Die Liebe zu diesem Mann, sie ist keine auf den ersten Blick. Er muss sie erst überzeugen. Er schmeichelt der attraktiven Frau, macht Geschenke, besucht sie am Arbeitsplatz. Der Politiker mit Familie lässt nicht locker, ist Erfolg gewöhnt. Er ist kein schöner Mann. Aber für sie hat er das gewisse Etwas. Etwas Anziehendes, dieses Rastlose, die Entschlossenheit, sie zu bekommen. Das macht Eindruck. «Er ist ein toller Rhetoriker, ein Motivator, ein positiver Mensch, es fühlte sich gut an mit ihm», sagt sie. Dass er sagte, seine Ehe sei am Ende, er habe sich mit seiner Frau arrangiert, legitimiert für sie diese Beziehung. Mehr interessiert sie nicht, mehr will sie nicht. Das klassische Paarmodell mit Mann-Frau-Kinder-Haus sei nichts für sie, sagt sie. Auch darum hatte sie sich damals von ihrem ersten Mann getrennt.
Das Kind
Die Schwangerschaft ist ein Schock. Für beide. Für den Vater ist Abtreibung kein Thema. Für Andrea sind es furchtbare Tage, Tage des Zweifelns, der Angst. Gemeinsam suchen sie Beratung bei einem Fachmann für Familiensysteme. Wie weiter? Der Kindsvater scheint sich zu freuen, malt Bilder in ihren Kopf von Ausflügen mit seinen vier Kindern, von Wochenenden bei ihm zu Hause, er versichert, er werde sich kümmern um das Baby, um ihr gemeinsames Kind. «Ich denke, er wollte das wirklich», sagt sie. Doch die Realität holt ihn ein. Nach der Geburt weint er an ihrem Bett. Sie muss ihm versichern, dass sie gut schauen wird zu dem Mädchen. An der Ehe, die er als gescheitert bezeichnet hatte, ist offenbar doch noch mehr Substanz. Er kann seine Ehefrau nicht mit ins Boot holen. Sie will dieses Kind nicht in ihrem Haus. Sie habe gesagt, ihr Mann sei zufälliger Samenspender, mehr werde er nicht zu tun haben mit diesem Kind. Ihr dämmerte, dass er wahrscheinlich nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte über die Beziehung. Der Druck der Frau, der Gesellschaft, politisch, ist zu gross. Die Pläne mit dem Kind und der Co-Familie scheitern. Zwei Monate nach der Geburt ist alles aus. Er bricht jeglichen Kontakt zu seiner Tochter ab.
Andrea ist enttäuscht, tief verletzt. Und muss die Wut und die Vorwürfe von allen Seiten allein aushalten. Für den Pfarrer, den sie aufsucht, für eine Beichte, weil ihr die Nähe zur Kirche trotz allem wichtig ist, weil sie sich Halt erhofft, Verständnis vielleicht sogar, ist es nicht relevant, dass sie sich für das Kind entschieden hatte. Er spricht nur von der «grossen Schuld», die sie auf sich geladen habe. Die Kirche weigert sich, den Namen des Vaters im Taufschein aufzuführen. Erst als Andrea fragt, ob die Kirche dem Kind den Vater aberkennen will, obwohl er seine Tochter amtlich anerkannt hatte, ist Ruhe. «Ich war sehr verletzt und enttäuscht, über die Kirche, den Pfarrer. Doch heute habe ich mich damit versöhnt. Dazu beigetragen haben Gespräche mit meinem ehemaligen Philosophielehrer, der ebenfalls ein Geistlicher ist», sagt Andrea. Damals aber war sie allein, kaum einer hat gesagt, es ist toll, dass du dieses Kind bekommen hast. «Für die meisten wäre es wohl bequemer gewesen, wenn ich abgetrieben hätte.»
Milena gleicht ihrem Vater, nicht nur äusserlich. Von ihm hat sie das Temperament, das Extrovertierte, die geballte Energie. Mit der neuen Distanz zwischen den Wohnorten kommt die Nähe zurück. Der Vater besucht Milena jede zweite Woche, für zwei oder drei Stunden. Er geht mit ihr auf den Spielplatz, spazieren oder einen Sirup trinken. Andrea ist froh darüber. «Wir nehmen von ihm an, was er zu geben bereit ist», sagt sie. Sie wünscht sich für ihr Mädchen eine Papa-Beziehung mit Tiefgang. Sie verlangt aber Regelmässigkeit, Beständigkeit und Zuverlässigkeit. Nichts ist schlimmer als zu warten auf den Papa, der dann doch nicht kommt. Und sie hofft, dass er nicht wieder einmal verschwindet aus dem Leben der Kleinen. Sie würde es nur schlecht ertragen, wenn ihr Kind verletzt würde.
Der Vater
Auf Anfrage will der Vater erst keine Auskunft geben, meldet sich nach längerem Stillschweigen dann doch per Mail. Er schreibt, dass Milena sein Kind sei wie die anderen auch und er sich eine innige Beziehung zu seiner Tochter wünsche. Auf die Frage, warum er den Kontakt zu dem Kind abgebrochen hatte, schreibt er: «Leider ist es im Leben oft so, dass die Erwachsenen Probleme erzeugen und nicht die Kinder. Solange Milena klein ist, hängt der Kontakt nun mal von den Beziehungen der Erwachsenen ab.» Milena, schreibt er, sei aber immer willkommen. Die Probleme müssten nun geregelt werden. Seiner Tochter möchte er auf den Lebensweg mitgeben, dass manchmal Steine im Schuh drücken, man sich aber die Zeit nehmen sollte, diese zu entfernen um unbeschwert weiterlaufen zu können. Das klingt ganz schön. Aber ist er bereit für die Fragen seiner Tochter, die später vielleicht kommen werden? Zum Beispiel, warum er ein Baby bekommen hat mit ihrer Mama, obwohl er bereits eine Familie hatte? Oder ob er sich je gewünscht hätte, bei ihr und der Mutter zu leben? Und wenn nein, warum nicht? Auf diese Fragen mag der Vater offenbar keine Antworten mehr geben. Er meldet sich nicht mehr.
Und Andrea? Was wird sie einst auf solche Fragen antworten? «Ich werde ihr offen und ehrlich sagen, wie es war. Ich werde sie nicht zur geheimen Affäre machen. Und ich werde ihr erklären, dass ich aus dieser Beziehung das Schönste bekommen habe, was es gibt, nämlich sie.» War ihre Entscheidung nicht auch egoistisch, hat sie dem Kind nicht die Chance auf einen «richtigen» Vater genommen? Diese Fragen treffen sie tief, sie wirkt verletzlich, denkt nach, sagt dann: «Nein, ich habe ihr nichts verwehrt. Ich habe mich für sie entschieden, aus Liebe. Ihr Vater ist zuständig dafür, was er ihr geben will und kann. Das liegt in seiner Verantwortung. Mein Anteil dabei ist, zuzulassen, was er zu geben bereit ist.» Sie habe sich hier mit ihren beiden Töchtern ein wirklich gutes Leben aufgebaut. Freunde von früher gibts noch einige, neue sind dazu gekommen. Eine andere Art von Grossfamilie, ein Netz von lieben Menschen. «Meine Mädchen und ich sind tief verbunden miteinander, haben einen festen Zusammenhalt. Es sind etwa 20 Jahre, die wir zusammen wohnen werden. In dieser Zeit entsteht die Tiefe einer Beziehung. Ich hoffe, dass wir das ganze Leben so innig miteinander verbunden bleiben.»
Zwei Wochen nach diesem Gespräch am Holztisch ruft Andrea an. Sie habe die Frau ihres Ex-Geliebten getroffen, eine spontane Begegnung. Die Kinder hätten friedlich gespielt, während die beiden Frauen «ein zwar vorsichtiges, aber gutes Gespräch» geführt hätten. «Sie hat gesagt, es sei ihr wichtig, dass die Halbgeschwister sich kennenlernen.» Darum hätten sie vereinbart, dass Milena nun probeweise jede zweite Woche einen Nachmittag bei ihrem Vater und den Halbgeschwistern verbringen wird. «Ich empfinde Erleichterung und auch Dankbarkeit. Die Frau brauchte wohl Zeit, um sich mit allem auseinanderzusetzen. Das ist verständlich. Mit ihrem Entscheid zeigt sie Grösse. Auch wenn noch vieles offen ist, es ist schon mal ein guter Anfang.»
Namen geändert.
28.2.2017