Humor will gelernt sein
«Sagt Fritzchen zum Lehrer ...»
«Fliegen zwei Tomaten durch die Luft, kommt ein Hubschrappschrapp.» Rasselndes Gelächter am Küchentisch. Zwei Sechsjährige biegen sich vor Vergnügen. Der Einwand der zuhörenden Mutter, in ihrer Jugend seien es noch Rüebli gewesen, die durch die Luft geflogen seien, was wegen des «schrappschrapp» auch deutlich witziger gewesen sei, wird niedergelacht. Pointe? Wer braucht denn so was? Und wegen des grossen Erfolgs gleich nochmal: «Fliegen zwei Tomaten …» Als Erwachsener hat man jetzt zwei Möglichkeiten: Den schalen Scherz höflich belachen oder an der Korrektur festhalten und zwei kleine Mädchen unglücklich machen. Also dann: «Na so was, zwei Tomaten, haha!» Unnötig zu erwähnen, dass der Witz einen durch die Woche begleitet; ergänzt durch ein Lied, das offenbar gerade im Kindergarten der Schenkelklopfer ist: «Schlaf, Kindli schlaf, deine Mutter ist ein Tintenfisch, secklet übern Küchentisch.» Beknackt, aber auch nicht viel beknackter als der Must-have-Scherz der vergangenen Wintersaison: «Kling Glöckchen klingellingeling, die Oma sitzt am Fenster, der Opa sieht Gespenster, Dracula und Frankenstein hauen ihm die Fresse ein.» Kurz: Am Gelächter scheiden sich die Geister und – Altersstufen.
Im Normalfall, also ausserhalb der Fasnachtszeit und abgesehen von Mario-Barth-Fans, trennt Erwachsene und Kinder nichts mehr voneinander als der Humor. Freud behauptete einst sogar, Kinder hätten keinen. Doch inzwischen ist die Forschung weiter, und man weiss: Jedes Alter hat seinen eigenen. Sollte seinen haben. Denn wie alle Güter ist auch Humor ungleich verteilt. Und während bislang Schmallippigkeit gerne mit Ernst und Gedankentiefe verwechselt wurde, haben Humorforscher wie der Psychologe Geoffrey Miller von der University of New Mexico herausgefunden: «Humor ist ein sehr zuverlässiges Indiz für Intelligenz und Kreativität.» Denn nur wer in der Lage ist, schnell und gegen den Strich zu denken, Regeln kennt und sie lustvoll bricht, kann komisch sein. Nicht umsonst bedeutete «Witz» im Mittelhochdeutschen «Geist, Verstand». Ein guter Grund, Kinder auch mal in Witzigkeit statt im Wurzelziehen zu fördern.
Babys bis zu 12 Monaten
Die Fähigkeit zu lachen, ist dem Menschen angeboren. Ob auch Affen lachen und gekitzelte Ratten kichern, wie amerikanische Wissenschaftler herausgefunden haben wollen, sei dahingestellt. Fest steht: Ab drei Monaten wird aus lächelähnlichem Muskelzucken gezieltes Lächeln. Bekanntes wird angestrahlt. Noch interessanter als selbst zu lachen, ist es jedoch, Mama oder Papa beim Lachen zuzusehen. Was sie lustig finden, findet auch das Kind lustig. Mit sechs Monaten, so ergaben Studien der Univerity of New Hampshire, schauen sich Babys Emotionen bei den Eltern ab. Ab 8 Monaten ist «Gugus dada» der Renner. Das Baby hat erste Regeln gebildet: Etwas, das ich nicht sehe, ist weg. Gegenstände behalten ihre Grösse. Taucht nun ein hinter Mamas Rücken verschwundenes Quietschentchen «dada!!!» wieder auf oder wird etwa ein Blatt Papier durch Zerreissen plötzlich kleiner, entsteht eine Inkongruenz. Das massgebliche Charakteristikum jeden Scherzes. Das Baby ist verblüfft, begeistert und erweitert seine Weltsicht. Bestes Beispiel: Youtube, Baby lacht, weil Papier zerreisst.
1-2 Jahre
Jetzt kennt das Kind schon eine Menge «Naturgesetze» und hat Theorien über die Welt: Socken gehören an die Füsse. Wer gefüttert wird, kann sich darauf verlassen, etwas zu essen zu bekommen. Wasser ist zum Planschen da, Spinat eher nicht. Ein prima Fundus für die ersten selbstgemachten Scherze: Der Strumpf auf dem Kopf. Mama füttern und selber essen … Klasse, wie die grüne Pampe spritzt … Jetzt zeigen Kinder, dass sie mit Regeln spielen können und erfahren: Humor sorgt für gute Stimmung, Menschen mögens lustig und: Humor ist nur, wenn beide lachen. Denn irgendwie kommt die Spinat-Nummer bei Mama nicht wirklich gut an. Kinder in diesem Alter sind überzeugt: Wiederholung macht den Witz besser. Bis sie ihren Irrtum einsehen, durchqueren Eltern jahrelang ausgedehnte Wüsten des Humors.
2-4 Jahre
Die Devise: sprechen und mit Sprache experimentieren. Den Hund Katze zu nennen, fällt unter die Rubrik «feinsinnige Komik». Genauso wie «Grosi ist ein Baby». Gleichfalls bejubelt werden Zeichentrickfilme mit fliessendem Schleim, quellenden Popeln und irgendwie doofen Erwachsenen. Kluge Eltern lachen trotzdem mit. Schon allein, damit der kindliche Humor nicht in dieser Phase stecken bleibt oder ganz versickert. Im Spielgruppenalter gilt: Es lebe der Slapstick. Witzig finden Kinder – und Erwachsene – nur Bekanntes. Fremdes ist unkomisch. Kein Kind wird etwa über folgenden Witz lachen: Die Serviererin giesst dem Gast Kaffee ein, blickt aus dem Fenster und sagt «Sieht nach Regen aus.» Darauf der Gast: «Stimmt. Aber wenn man genau hinschaut, ist es doch Kaffee.» Erfahrung mit etwas – hier Kaffee und wie er beschaffen sein sollte – ist die Grundlage von Komik. Je mehr Erfahrungen und Wissen, desto mehr Möglichkeiten zum Humor.
4-6 Jahre
Tja, Eltern. Jetzt heisst es tapfer sein. «Papa, du Popo» oder «Luca ist ein Gaggifudi» gehören jetzt ebenso zum Witzrepertoire wie kreischendes Gelächter über einen imitierten Pups. Auch Lyrik der Form «Aprikose in der Hose» und «Ein Elefant, wohl aus Schaffhausen, lässt einen Furz durchs Telefon sausen» erfreut sich allergrösster Beliebtheit. Hier zeigt sich, dass Humor eine wichtige Funktion hat: Tabus zu brechen und Dingen, die einen beschäftigen, wie etwa das Sauberwerden, die Schwere zu nehmen. Spürbar sind schüchterne Vorläufer der «reifen Heiterkeit», für Freud die Krone des Humors. Beispiel: Der zum Tode Verurteilte, der montags zum Schafott geht und sagt: «Die Woche fängt ja gut an.» Das Vorschulkind dagegen braucht Komik noch konkret und unironisch. Hoch im Kurs stehen kurz vor Schulstart selbst erfundene Witzgeschichten, seeeeeeehhhhr langatmige Witzgeschichten. Mag sich auch die Lustigkeit des zähen Berichtes: wie das Radio aus dem Fenster fiel ... und dann kommt der Polizist … und der Junge sagt … niemanden erschliessen, der älter ist als sechs Jahre, so drückt sich darin dennoch eine beachtliche intellektuelle Leistung aus: Eine Geschichte wird erdacht, Zuhörer werden durch, im besten Fall passende, Intonation – bei der Stange gehalten. Irgendwo gibt es eine – gut getarnte – Pointe. Fantasie schillert und das ganze Kunstwerk kommt tatsächlich irgendwie zu einem Schluss. Gute Vorübung also für spätere Aufsätze und journalistische Karrieren.
Schulalter
«Tina, nenne mir bitte fünf Tiere, die in Afrika leben.» «Drei Löwen und zwei Giraffen.» Sagt der Lehrer: «Es gibt zwei Wörter, die ich hier in der Klasse nicht mehr hören möchte. Das eine ist ‹affengeil›, das andere ‹saublöde›.» «Okay, und welche Wörter sind das?» Lehrer: «Fritzchen, nenne mir bitte einige Säugetiere.» «Eselchen, Pferdchen, Schweinchen ...» «Bitte ohne -chen.» «Eichhörn.» Pointen gelingen jetzt in der Regel. Schulscherze führen die Witz-Charts an. Je länger es dauert, bis der Witz zündet, desto langsamer der Ablauf im Gehirn: Ohren, Sprachareale in der linken Hemisphäre aktivieren, Analyse der Pointe, rechte, für Gefühle zuständige, Hälfte zuschalten, Glückshormone ausschütten, lachen.
Im Schulalter driften Jungen- und Mädchenhumor auseinander. Jungen mögen von nun an rustikale, aggressivere Scherze. Auch Zoten werden gern genommen. Mädchen dagegen werden jetzt «sozial lustig». Vor allem nehmen sie sich selbst auf die Schippe, indem sie von ihren Missgeschicken erzählen. Gleichzeitig taucht aber auch die hässliche Schwester des Sozial-Humors auf: Auslachen, verspotten, nachäffen, gemeine Spitznamen geben … Perfide Bosheiten werden von Mädchen jetzt gern augenklimpernd mit «War doch nur Spass» kaschiert.
Pubertät
Ironie, schwarzer Humor, Sarkasmus und Zynismus halten Einzug. Da Kinder ab dem Jugendalter in der Lage sind zu abstrahieren, sind die helleren unter ihnen auch in der Lage, Gesagtes und Gemeintes voneinander zu trennen. Von jetzt an steht der Humor mit seiner ganzen subversiven Kraft zur Verfügung. Kein Wunder, schaut jedes totalitäre Regime voll Argwohn auf die Witzigen. Haben doch Macht und Humor eine Menge miteinander zu tun. Scherz ohne Selbstbewusstsein funktioniert nicht, Komik und Unterordnung passen nicht zusammen. Wissenschaftler vermuten deshalb, dass lustige Frauen Männern aus diesem Grunde suspekt sind. Lächeln ja, lustig nein. Wer witzelt, hat Macht. Bei Jungen haben ab etwa 12 Jahren Blondinen-, «Kommt die Frau zum Arzt»-Witze und Derbes aus den unteren Schubladen Hochkonjunktur. Provozieren und schlagfertig reagieren wird für heranwachsende Buben zum beliebten Spiel. Cool ist, wer einen passenden Spruch parat hat. Mädchen dagegen wollen versöhnen, dazugehören, Pflaster kleben statt piken. Typischer Ausdruck weiblich kuschliger Komik sind die Häschen-Witze der 80er und harmlose Absurditäten wie «Was ist orange und geht einen Berg hinauf? Eine Wandarine.» Haben die Wissenschaftler Recht und ändert sich mit gestiegenem Selbstbewusstsein der Frauen auch deren Humor, bekommt der fragwürdige Blondinenwitz bald fragwürdige Konkurrenz: «Was ist der Unterschied zwischen einer Katze und einem Mann? Das eine ist ein Haare verlierender Vielfrass, dem es völlig egal ist, wer ihm das Futter gibt, das andere ist ein Haustier.»
Und dann wäre da noch die Sache mit dem Geschmack.