Alleinerziehende
S wie Single Mom
A
wie Armut. Jede vierte Schweizer Ein-Eltern-Familie ist – laut Caritas-Studie – arm. Das heisst, sie verfügt über weniger als 50 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens. Alleinerziehende beziehen viermal häufiger Sozialhilfe als «komplette» Familien. 20 Prozent der unterhaltspflichtigen Väter zahlen keine Alimente. Kurz: Allein die Brötchen zu verdienen und allein die Brötchen zu schmieren, erfordert einen Spagat, der oft zu schmerzhaften Zerrungen führt. Informationen zur Alimenten-Bevorschussung erteilt die Gemeinde des Wohnsitzes.
B
wie Beziehung, neu: Happy End und Geigen? Nun ja. Erstens: Woher nehmen, wenn nicht stehlen, den neuen Mann, wenn man 27 Stunden täglich beschäftigt ist? Kommt nur der Kinderarzt infrage, der dem Jüngsten die Erbse aus der Nase geholt hat oder der Scheidungsanwalt. Und wenn Mr. Right doch wider Erwarten auftaucht: Wann stellt man ihn seinen Kindern vor? Als was? Als Mamas Freund? Sex-Gott? Neuen Papa? Und was, wenn die Kinder ihn vom ersten Treffen an nur «den Honk» nennen? Tja. Der Start in die neue Beziehung wird das Stahlbad. Furchtbar, aber machbar.
C
wie Chance am Arbeitsmarkt: Rosig ist anders. Arbeitgeber finden alleinerziehende Mütter toll. Allerdings nicht in ihrem eigenen Betrieb. Zu schnell erscheinen da vor dem geistigen Auge Windpocken, Schulbesuchsmorgen und wegen Kopfläusen geschlossene Kitas. Dafür, liebe Arbeitgeber, gibt es niemanden, der besser organisieren kann, stress-resistenter ist, mit fünf Bällen gleichzeitig jonglieren kann und Verantwortung zu übernehmen völlig selbstverständlich findet. Eine lohnende Investition also, die Single Mom.
D
wie Depression: Leider ist Fakt, dass alleinerziehende Mütter doppelt so häufig unter Depressionen leiden wie verheiratete Mütter. Überlastung, Schuldgefühle, Geldsorgen, manchmal sich hinschleppender Dauerstreit mit dem Ex, wie in 8-10 Prozent der Fälle. Hilfe zu suchen ist kein Makel.
E
wie Elternabend: Ja, das ist der Härtetest. Da sitzt die Single Mom auf dem zu kleinen Stühlchen und wird angestarrt. Ist das nicht die, die von ihrem Mann verlassen wurde? (Wahlweise: Die Schlampe, die ihren Mann verlassen hat?) Das arme Kind! Und: Hoffentlich macht sie sich jetzt nicht an meinen Mann ran … Alleinerziehende Mütter tun gut daran, sich an Elternabenden in etwa so aufreizend wie eine Amish-Frau zu kleiden, das Lächeln im Gesicht festzutackern und sich damit zu trösten, dass sich die Zahl der Alleinerziehenden spätestens im dritten Schuljahr massiv erhöht haben wird. Ein-Eltern-Stammtisch einführen.
F
wie Feierabend. Was ist das? 17 Uhr: Arbeitsende. 18 Uhr: einkaufen. 19 Uhr: Abendessen. Dann Vokabeln abfragen. Der heulenden 14-Jährigen versichern, auch ein Leben mit Pickel sei lebenswert, 3er des 9-Jährigen im Diktat unterschreiben. Schimpfen. Trösten. Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine räumen. 20 Uhr: Wäsche in die Maschine. 21 Uhr: Küche putzen. 14-Jährige ins Bett jagen. 22 Uhr: Wäsche in den Trockner. 23 Uhr: Wäsche falten. Verräumen. 23.30 Uhr: Sich schlafend stellender 14-Jährigen das Handy entreissen. Turnschuhe für morgen suchen. Die Bedeutung des Wortes «Feierabend» googeln.
G
wie Geschlechtsverkehr: Da war doch mal was …? Aber mit wem? Und wann? Und wie verhindern, den neuen Partner durch erschöpftes Schnarchen zur falschen Zeit gleich beim ersten Mal zu entmutigen? Doch sind die Probleme gelöst, stellt die Single Mom zuweilen in Sachen Sex erstaunt fest: Verlernt man nicht wie Fahrradfahren; verbrennt Kalorien und – macht sogar mehr Spass als mit dem Ex! Von jetzt an verschwinden Unterhosen mit ausgeleiertem Gummi im Müll, die Single Mom sieht fünf Jahre jünger aus und singt manchmal beim Abwasch.
H
wie Hausaufgaben. Hausaufgaben erledigen Kinder selbstständig, freiwillig und regelmässig. So die Theorie. Doch mal ehrlich, welches Kind macht die Powerpoint-Präsentation ganz allein, verfasst freudig Referate über die bäuerlichen Siedlungen des 19.Jahrhunderts im Unterengadin und hat nie Schwierigkeiten in Mathe? Keins. Und auf einmal fehlt jemand, der das Bild vom Engadiner Bauernhof in den Text kopiert und Algebra erklärt ... Was tun? Selbstständigkeit pushen und notfalls Geld für die Nachhilfe zurücklegen. Peinlich? Nö. Wo ist schliesslich der Unterschied zum Papa-Support?
I
wie Irritation: Trennung – das ist das Trumpf-Ass aller Küchenpsychologen. Irritiert nimmt man als Mutter eines kreuzfidelen Kindes zur Kenntnis, dass den banalsten Schrullen plötzlich Problemcharakter zuerkannt wird. Gutmenschen toben sich jetzt richtig aus. Das Kind ist pummelig? Frustessen, dem Armen fehlt der Vater. Dünn? Magersüchtig, der Vater fehlt. Exakt normalgewichtig, es passt sich übermässig an, denn … Genau. Hier hilft nur ein anderes I: Ignorieren.
J
wie Jammern. Darf sein, muss sein. Nur – liebe Gewohnheit sollte es nicht werden. Wann sonst, wenn nicht als Alleinerziehende, bietet sich die Gelegenheit, Super-Woman zu sein, Star der One-Woman-Show. Applaus, fertig jammern!
K
wie Kinder, was sonst. Jedes achte Schweizer Kind erlebt die Trennung seiner Eltern. Für keines davon ist es leicht, für die meisten gilt dennoch: Die schaffen das. Remo Largos Buch «Glückliche Scheidungskinder» macht Mut. Und wenn es doch zu sehr knirscht: Hilfe holen. Freunde, Verwandte oder Profis. Egal. Hauptsache, jemand zum Reden.
L
wie Lachen. Nicht vergessen! Das Positive an einer gemütlichen Mutter-Kind-WG sehen. Ab und an ausgehen. Eine gute Mutter ist eine Mutter, der es gut geht.
M
wie Mama, dauernd. Mama, wo ist die Znünibox? Mama, die Katze hat aufs Sofa erbrochen. Mama, ich möchte mir Augenbraue, Nase und Nabel piercen lassen … Zwei Stunden ohne das Wort «Mama» sind für Alleinerziehende in etwa vom gleichen Erholungswert wie für andere zwei Wochen Thalasso-Therapie samt Heubad. Daher empfehlenswert: «Mama!»-freie Sportstunden belegen. Devise: Tiefenentspannung und Taille.
N
wie Neid. Mitleid? Gibts reichlich. Neid? Auch reichlich. Schliesslich leben genug Leute drumherum, die in ihren Ehen unfroh verhakt sind, ihr Bett seit Jahren ausschliesslich zum Schlafen benutzen und deren Highlight der Woche «Voice of Switzerland» darstellt. Sie alle finden das Leben einer Alleinerziehenden wahnsinnig abenteuerlich und verrucht: Jemandem die Unterhosen ausziehen, die man nicht selbst gewaschen hat! Jedes zweite Wochenende (wenns gut läuft) kinderfrei! Die Wohnzimmerwand grasgrün anmalen. Kein Streit mehr, keine fremden abgeknipsten Zehennägel im Lavabo … Born to be wild.
O
wie Oma. Unersetzlich! 47 Prozent der Alleinerziehenden lassen ihre Kinder regelmässig vom Grosi betreuen. Als Krippen- und Babysitter-Ersatz. Das erspart Ausgaben und Bittebitte-Machen bei Nachbarn und Bekannten. Mögen bei einer Trennung auch einige Halme aus dem Nest fliegen, Oma sorgt mit dafür, dass die Kinder weiterhin überzeugt sind: «Familie ist da, wo es warm und sicher ist.»
P
wie Papa. Der Ex ist der Vater der Kinder und bleibt es auch. Wenn die Partnerschaft auch gescheitert ist: Papa ist Papa. Punkt. Sämtliche Studien belegen, dass Kinder eine Trennung umso besser verkraften, je spannungsfreier das Verhältnis zwischen den Eltern ist und sie den Kontakt zum Vater behalten. Bei einem Drittel besteht nach der Scheidung leider kein Kontakt mehr. Gegensteuern!
Q
wie Querulanten. Hierzu zählen: Schulleiter, die kurzfristig schulfrei ausser der Reihe geben. Sämtliche Autofahrer, die Strassen verstopfen, obwohl die Kita in 10 Minuten schliesst. Der Student mit einem Nachhilfestunde-Preis, der den Verdacht aufkeimen lässt, er erwäge den Kauf eines Ferrari Daytona; Lover, die bei einem Ohrenweh-Kleinkind vermuten, es wolle sich nur in den Vordergrund drängen; Kindergärtnerinnen, die eine Woche nach der Trennung beim Malen die Aufgabe stellen «Das ist meine Familie»; eigene Kinder mit dem Satz «Bei Papa, darf ich aber so lange gamen wie ich will», die dämliche Stimme im eigenen Kopf, die penetrant ruft: Mach es gut! Mach es besser als alle ungetrennten Mütter! Nein, sei gottgleich perfekt!
R
wie Rabenmutter. Unwort des Jahrtausends. Streichen und vergessen. Am besten die Kinder selbst fragen, ob sie den Satz «Mami ist eine Rabenmutter» unterschreiben würden. Täten sies? Na, bitte.
S
wie Söhne. Söhne brauchen ein männliches Vorbild, Männerfiguren, an denen sie sich abarbeiten können. Männer, die ihre Interessen teilen und Kardanwellen interessanter als «Two broke girls» finden. Fussballtrainer, Saxophonlehrer, der Götti und – allen voran der Vater werden gebraucht. Einsatz, bitte!
T
wie Turboantrieb. Alleinerziehende wirken häufig, als hätten sie Illegales durch die Nase geschnupft. Immer in Eile, immer alles unter Kontrolle, immer unter Strom. Fiese Gedanken über die verheiratete Nachbarin mit einem einzigen Kind, Carport, frischen Mèches und üppigem Kreditrahmen sind keiner Alleinerziehenden fremd. Aber Vorsicht: Allzu viel demonstrative Power nervt, und ohne die Hilfe dieser Nachbarin hätten Sie schon manches Mal dumm dagestanden, oder?
U
wie Urlaub. Teure Angelegenheit. Kinderermässigung nur bei zwei vollzahlenden Erwachsenen. Wenn das nicht mies ist! In der Schweiz gibt es noch recht wenig Angebote für die Einelternfamilie. Aber immerhin ein paar:
www.1eltern.ch; www.hotelplan.ch; www.reka.ch
V
wie Vogelhäuschen. Manchmal ist es das Vogelhäuschen, das der Nachbarsvater mit seinen Kindern gezimmert hat. Oder die Arschbombe, die dieser Papa da drüben seinen Söhnen im Schwimmbad beibringt. Oder die Kunst, Furzgeräusche mit Hilfe der Achsel zu erzeugen … Kurz: all diese Sachen, die als Männer-Ding gelten. Single Moms schlucken schwer, sobald sie sowas sehen, weil das eigene Kind das nicht so selbstverständlich erlebt. Obwohl sie sich doch so schrecklich bemühen, Vater und Mutter gleichzeitig zu sein. Aufgeben, den Anspruch! Mutter reicht. Das Kind hat ja einen Vater. Das mit den Furzgeräuschen kann man ja trotzdem mal üben …
W
wie Weihnachten. Oh, Gott. Heiligabend, der furchtbarste Tag aller Tage. Bei wem sind die Kinder in diesem Jahr? Sitze ich etwa Weihnachten ganz allein da? Als einzige Gesellschaft eine Flasche Eierlikör? Oder feiern wir, als ob nichts gewesen wäre, alle zusammen? Mit Papis Neuer und mit deren neuen Brüsten? Oder nur der alte Kern und jeder versucht, nicht zu heulen? Wegfahren wäre ein Alternative oder eine unsentimentale Party mit anderen Alleinerziehenden. Besinnlichkeit verdammen! Oder notfalls an diesem einen Abend: Eierlikör.
X
wie X, der Tag. Besagter Tag X, an dem einem zum ersten Mal das neue Leben so richtig gut gefällt. Der Tag, an dem Durchatmen ungewohnt leicht geht und plötzlich nichts mehr auf die Brust drückt. Der kommt, versprochen.
Y
wie Yes, we can. In roten Riesenbuchstaben aufschreiben und aufhängen, den Satz: Falls sich doch mal das Gefühl einschleicht, die Decke fiele einem auf den Kopf.
Z
wie zusammen. Die Familie ist anders geworden, ja. Ein guter Grund, ein paar aus der Mode gekommene Werte mit den Kindern wiederzubeleben: Solidarität, Loyalität, Gemeinschaftssinn. Zusammen etwas anpacken, um es trotz allem zu schaffen. Kinder mögen es, wichtig zu sein. Und das sind sie auch.