Elternkolumne
«Peppa Pig gibt mir den Rest»
Echt jetzt?! Wirre Reime, diskriminierende Lieder, unrealistische Sendungen – warum ist alles, was wir den Kindern vorsetzen, so unschlüssig, fragt sich Vater und Pedant Reto Hunziker.
zvg, Gabriela Gründler
Reto Hunziker (38) ist Text-Coach und Journalist und wohnt mit seiner Frau, ihrem Sohn (14) und der gemeinsamen Tochter (4) in Zürich.
Den Pinguin kann ich auswendig. Das Krokodil auch. Wer zum gefühlt tausendfünfhundertsten Mal die Schlieremer Chind aus dem Zoo hat singen hören, ist da ziemlich sattelfest. Ich kenne die Baumaschinen von Baumeister Bob mit Namen, weiss, wodurch sich die Raupe Nimmersatt gefressen hat und wie nervig Globis Stimme sein kann. Wer Kinder hat, kommt immer wieder ins Kollateralvergnügen zahlreicher Kindersendungen, -lieder und -bücher. Das macht mich ab und zu nostalgisch, zum Beispiel, wenn ich ein Petzi-Heft in die Finger bekomme. Meistens wird dieses Gefühl aber durch die vom Kind gewählte Lautstärke, Wiederholung oder Intensität des Konsums abgetötet.
Was bleibt, ist die Feststellung, dass zwischen kindgerechter Unterhaltung und Debilität nur ein schmaler Grat liegt. Kindern macht das nichts aus. Bei mir hingegen, wo sich in 38 Jahren jede Menge Hintergrundhalbwissen angesammelt und ein starker, fast schon neurotischer Hang zur Pedanterie herausgebildet hat, wirft der Kinderkram viele Fragen auf.
Nehmen wir den Reim, den wir zum Beispiel zum Fingernägelschneiden unseren Kindern vorsagen respektive vorsetzen; eine Unzulänglichkeit sondergleichen (ins Hochdeutsche übersetzt): Das ist der Daumen. Der hier schüttelt die Pflaumen. Dieser hebt sie auf. Der trägt sie heim. Und der Kleinste isst sie alle ganz allein. Was soll das? «Das ist der Daumen.» Ja schön, und was tut er? Alle anderen Finger werden nicht namentlich genannt, haben stattdessen eine Aufgabe, einen Zweck – und sei es auch nur, die Pointe zu liefern. Nicht so der Daumen, der ist einfach. Wie ungerecht. Haben wir hier etwa eine Zweiklassengesellschaft? Bloss weil man der dickste Finger ist und aus der Reihe tanzt, braucht man nichts zu tun? Was soll das denn für eine Botschaft an unsere Kinder sein?
Anderes Beispiel: Meine Tochter hat zwei grosse Bücher von Ravensburger. Die Titel: «Ich bin der kleine Hund» und «Ich bin das kleine Kaninchen». Bei beiden steht als Untertitel: «Meine erste Vorlesegeschichte.» Das ist doch paradox. Ist die eine deine erste Vorlesegeschichte, kann es die andere nicht mehr sein. Wo bleibt da die Stringenz?!
Betrachten wir das Kinder-Liedgut, wird es noch sinnfreier. Da ist etwa von einer Geiss die Rede, die haut. Oder von tannigen Hosen. Und hagebuchenen Strümpfen. Hanebüchen! Im Falle von «Es schneielet, es beielet» sogar sexistisch: Die Mädchen ziehen Handschuhe an und die Buben laufen geschwind. Sind die Jungs etwa zu doof, Handschuhe anzuziehen und wärmen sich, indem sie sich schnell bewegen? Oder können Mädchen gar nicht geschwind laufen? Das kann man auf beiden Seiten als diskriminierend auslegen.
Im Titelsong zur Zeichentrickserie «Lauras Stern» heisst es: «Lauras Stern ist immer da.» Wenn er aber immer da wäre, wie dort behauptet, warum wartet Laura praktisch in jeder Folge darauf, dass er endlich aus den Wolken hervortritt, um ihm dann wie einem Therapeuten alles zu erzählen, was sie gerade beschäftigt? Und noch wesentlicher: Woher weiss Laura, dass sie nicht bloss mit dem Licht eines längst erloschenen Sterns spricht?
Den Rest gibt mir aber Peppa Pig (oder Peppa Wutz, wie sie im deutschsprachigen Raum heisst). Die aus einer englischen Feder stammende Zeichentricksau lebt in einer bizarren Welt, in der die Häuser auf steilen Hügeln stehen, die aussehen wie umgedrehte Reagenzgläser. Das ist ja fast noch auszuhalten – im Gegensatz zum obligat eingelachten Ende: Ob Rebecca Rabbit, ihr Bruder Richard Rabbit, Zoe Zebra, Zuzu Zebra, Zaza Zebra, Peppa Pig und ihr Bruder George Pig (wieso hier kein Stabreim?! Aaaargh!) – alle prusten sie auf einmal los, fallen vor Lachen um und dann ist Schluss. Sowohl dramaturgisch als auch figurenpsychologisch in keiner Weise begründet.
Da lobe ich mir Spongebob Schwammkopf – in seiner Unterwasserwelt ist nämlich konsequent alles unlogisch (sogar die Übersetzung, Original: Spongebob Squarepants): Der Schwamm trägt Hosen, haust in einer Ananas und macht Feuer auf dem Grund. Wenn schon, denn schon.