Interview Patrizia Laeri
«Frauen sollten über Geld sprechen»
Mit ihrer Finanz-Medienplattform elleXX will Patrizia Laeri Frauen bereichern. Die Ökonomin, Journalistin und Mutter hat sich den Einsatz für die Gleichstellung zur Lebensaufgabe gemacht.
«wir eltern»: Patrizia Leari, Sie bezeichnen sich als Finanzfeministin. Warum?
Patrizia Laeri: Geld ist die letzte Frontlinie der Gleichstellung. Die wirtschaftliche Abhängigkeit hält Frauen zurück und macht sie klein. In unserem Start-up elleXX haben wir eine «Bibel», das ist das Buch «The Double X Economy» von Linda Scott, emeritierte Professorin der University of Oxford. Scott zeigt aus wirtschaftlicher Sicht auf, wie viel Potenzial von Frauen weltweit brachliegt. Die zwei X in elleXX nehmen Bezug auf dieses Buch. Es ist eine Lebensaufgabe für mich, darauf hinzuarbeiten, dass Frauen sich für Finanzthemen interessieren und aktiv werden. Das gelingt übrigens schon ganz gut: An unseren Finanz-Hacks-Kursen nehmen 20-Jährige ebenso teil wie 60-Jährige.
Die fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema hat in Ihnen das Feuer entfacht, sich für die Gleichstellung einzusetzen. Welche Rolle spielt auf persönlicher Ebene Ihr Elternhaus?
Eine grosse Rolle: Die Geschichte meiner Mutter hat mich früh für Gleichstellungsthemen mobilisiert. Sie durfte als junge Bergbauerntochter nicht mal eine Ausbildung machen. Das sei nicht nötig für eine Frau, hiess es. Sie hat heimlich und unter schwierigen Umständen das KV gemacht. Als ich älter wurde, sah ich, wie sehr sie ihr Leben lang unter ihrem Potenzial geblieben ist. Das sehe ich bei vielen Frauen – und das beelendet mich sehr!
Hat Ihre Mutter Sie und Ihre Schwester besonders unterstützt?
In Bezug auf Gleichstellungsfragen haben mich beide Eltern geprägt. Als Erstgeborene war ich für meinen Vater quasi der Sohn. Er hat mich für seine Themen Schach, Mathematik und Logik begeistert. Ich hatte sehr früh positive Gefühle gegenüber Zahlen und bin mit der Haltung aufgewachsen: Laeris können rechnen. Die Rolle meiner Mutter in der Familie hat bei mir hingegen Wut ausgelöst. Wir bekamen ein traditionelles Familienmodell vorgelebt. Der spätere Wiedereinstieg ins Erwerbsleben war für sie trotz guter Ausbildung enorm schwierig.
Es war für mich traumatisch, mitzuerleben, wie sie aufgrund der Hausfrauenjahre berufliche Entwicklungen verpasst hatte und nach hunderten Bewerbungen in schlecht bezahlten Verkaufsjobs mit unzumutbaren Arbeitszeiten landete. Das prägte mich sehr: Ich selbst blieb nach den Geburten meiner beiden Söhne minimal zu Hause und bin danach wieder voll in den Beruf zurückgekehrt.
Patrizia Laeri (* 1977) ist Ökonomin, Journalistin und seit Neustem Unternehmerin. Die langjährige Moderatorin von Börsen- und Wirtschaftssendungen bei SRF und ehemalige Chefredaktorin von CNN Money Switzerland gründete im Herbst 2021 die Medien-Finanzplattform elleXX Universe AG, gemeinsam mit Rechtsanwältin und Journalistin Nadine Jürgensen und Künstlerin und Designerin Simone Züger.
elleXX.com informiert in Beiträgen und Kursen über Finanzthemen, zudem gibts ein Aktienprodukt mit Fokus Gleichstellung und Säule 3a-Produkt, sowie Rechtsschutz. Patrizia Laeri wohnt mit ihrem Partner und drei Kindern in Männedorf (ZH).
Finanzen und Vorsorge sind Themen, bei denen Frauen generell Nachholbedarf haben, ganz besonders aber Mütter. Einverstanden?
Absolut. In der Schweiz ist die ganze Vorsorge an bezahlte Arbeit geknüpft – das ist ein Systemfehler. Mütter leisten insgesamt mehr Arbeitsstunden als Väter, haben aber im traditionellen Familienmodell einen markant höheren Anteil an unbezahlter Arbeit – so können sie weder eine Vorsorge noch Pensionsgelder generieren. In der ersten Säule können Paare die Erziehungs- und Betreuungsgutschriften der Frau anrechnen lassen, das sind jedoch minimale Beträge, nicht vergleichbar mit dem Arbeitspensum, das Mütter leisten. Altersarmut ist daher insbesondere für Mütter ein grosses Thema. Studien zeigen, dass Frauen im Schnitt über das Leben gesehen 70 Prozent erwerbstätig sein sollten, damit der Lebensstandard in der Pension einigermassen gewährleistet ist. Dessen muss man sich als Mutter bewusst sein!
Wer gerade eine Familie gegründet hat, hat anderes im Kopf, als sich mit Altersvorsorge oder den Folgen einer möglichen Trennung oder Scheidung zu befassen. Wie wird dies trotzdem zu einer Selbstverständlichkeit?
Das A und O ist, dass man in der Partnerschaft über Geld spricht. Wenn einem das schwerfällt, kann man im Umfeld damit anfangen. Frauen sollten mit Freundinnen selbstverständlich über Löhne, Geld, Bewerbungen, Anlagen sprechen. Männer tun dies bereits ganz natürlich und mit Freude. Mit elleXX wollen wir einen tabulosen Dialog über Geld lostreten und haben dazu die Rubrik «Money Talk» lanciert.
Jede zweite Frau in der Schweiz steht laut einer Studie von Sotomo und «Annabelle» finanziell nicht auf eigenen Beinen. Schockierend, oder?
Diese Abhängigkeit ist alarmierend. Ich mache mir Sorgen um diese Frauen. Viele Ehen werden geschieden. Viele andere Frauen leben im Konkubinat, leisten einen Grossteil der unbezahlten Arbeit – und sind im Falle einer Trennung noch weniger abgesichert, als wenn sie verheiratet wären und bei einer Scheidung wenigstens die Hälfte der Pensionskassengelder erhalten würden. Auch die neusten Bundesgerichtsurteile zeigen: Die Ehe ist keine Absicherung mehr. Es ist deshalb höchste Zeit, sich zu überlegen, wie die eigene finanzielle Zukunft aussieht. Es ist gut, wenn ein Paar das als Team anschaut.
Auf elleXX identifizieren Sie neun Bereiche, in denen sich die finanzielle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zeigt. Die Bereiche Taschengeld und Finanzbildung betreffen das Elternhaus. Was können Eltern besser machen?
Man muss sich bewusst sein, dass der «Pay Gap» im Kindesalter beim Sackgeld anfängt. Studien aus der Schweiz und anderen Ländern zeigen, dass Mädchen später und weniger Geld erhalten als Buben, auch das Weihnachts- und Geburtstagsgeld ist tiefer. Eltern sollten darauf achten, Sackgeld regelmässig und gerecht auszuzahlen.
Und beim Thema Geld-Wissen?
Buben bekommen eine frühere und umfassendere Finanzbildung als Mädchen. Und es hält sich über Generationen, dass Väter und Mütter mit ihren Kindern unterschiedlich über Geld sprechen. Mütter halten zum Sparen an. Sie sprechen eher vorsichtig und langweilig über Geld und transportieren unbewusst ihren negativen Mindset gegenüber Zahlen weiter. Hier sollte man gegensteuern. Väter machen das besser, sie sprechen lustvoller, unternehmerischer über Geld. Eltern sollten darauf achten, dass nicht die Mütter nur mit den Töchtern, die Väter mit den Söhnen über Geld sprechen, sondern auch übers Kreuz.
Welche Hebel sind im Bereich Partnerschaft zentral, um die finanzielle Ungleichheit zu minimieren?
Augen auf bei der Partnerwahl! Von Anfang an klar und ehrlich miteinander sprechen, dafür sorgen, dass beide eine gute finanzielle Zukunft haben. Der Alleinernährerdruck ist ja auch für Männer enorm – auch mit Blick darauf ist es besser, das Risiko zu verteilen.
Offene Diskussionen über Geld, bewusste Entscheide für Erwerbs- und Betreuungspensen – sind solche Gespräche für Sie mit Ihrem Hintergrund alltäglich?
Mein Partner und ich besprechen diese Themen in den letzten Jahren verstärkt. Wir wollen uns auch als Paar Ziele setzen: Wie wollen wir später leben, was für Visionen haben wir, worauf arbeiten wir gemeinsam hin? Übrigens sollte Geld auch bei Überlegungen zum Zivilstand hineinspielen: Ein doppelverdienendes Konkubinatspaar muss nach einer Heirat deutlich höhere Steuern zahlen. Ich als Ökonomin bin mit dem Vater meiner Kinder aus Prinzip nicht verheiratet. Ausser der Schweiz gibt es kein anderes Land, in dem Paare finanziell bestraft werden, wenn sie heiraten. Unverständlich für mich. Ich hoffe, die Individualbesteuerung kommt, damit wir noch heiraten können. (lacht)
Als Gründerin einer Firma haben Sie den «Gender-Gründungs-Gap» geknackt, ein weiteres Feld, in dem Frauen markant im Nachteil sind: Weltweit fliesst nur ein einziges Prozent der Investitionen in Projekte von Frauen. Was haben Sie bei Auftritten vor möglichen Kapitalgebern erlebt und wie haben Sie die Finanzierung Ihres Start-ups schliesslich geschafft?
Das Netzwerk war entscheidend. Während meiner Anstellung beim SRF habe ich während Jahren am World Economic Forum in Davos Interviews geführt und dabei Leute kennengelernt, die Kapital haben. Auf diese konnte ich nun zugehen. Es waren lange Gespräche, ich traf teils auf viel Unverständnis, auch auf Aggression und Spott. Das interessiere keinen Menschen, hiess es zum Teil. Es ist uns aber gelungen, Investorinnen und Investoren zu gewinnen. Und unsere Zahlen zeigen: Der Markt für elleXX ist da; Frauen haben ein riesiges Nachholbedürfnis.
Wie viel Kapital musste elleXX generieren?
Wir mussten vor allem unseren Businessplan detailliert vorlegen. Der ist übrigens dicker als ein Taschenbuch. Wir haben aber auch viel eigenes Geld reingesteckt und 14 Monate komplett auf Lohn verzichtet.
Wie hoch also ist das Kapital?
Diese Zahl ist noch nicht öffentlich.
Wie viele Personen haben schon investiert in das Anlageprodukt mit Fokus Geschlechtergleichstellung, das elleXX mit der Migros Bank anbietet?
Innerhalb von zwei Wochen hatten wir unser Jahresminimalziel erreicht. Das hat uns enorm gefreut.
Wir sprechen also nicht von Personen, sondern von Investitionsvolumen. Wie viel war das?
Per Ende 2021, also nach knapp zwei Monaten am Markt, waren über drei Millionen Franken in das Produkt hineingeflossen. Das ist der Beweis, dass das Thema interessiert. Als Botschaft ist mir wichtig: Mit Geld können wir zusammen eine grosse Wirkung, einen Impact, erzielen. Es bringt erwiesenermassen 27-mal mehr, wenn wir unsere Pensionskasse zwingen könnten, nachhaltig zu investieren, als wenn wir uns vegan ernähren oder aufs Auto verzichten.
Im Januar haben Sie den Finanzblog «Inside Paradeplatz» wegen sexistischer Berichterstattung verklagt und gewonnen. Schockiert Sie Sexismus jedes Mal aufs Neue oder sind Sie abgehärtet?
Es geht mir ähnlich wie Politikerinnen, die wahnsinnig viel einstecken müssen. Mit dem ersten Shitstorm kommen Panikattacken und Angst. Später wird man gelassener, legt sich eine sehr dicke Haut zu.
Als SRF-Moderatorin und «Blick»-Kolumnistin wurden Sie zum Promi. Ist diese Rolle Mittel zum Zweck – oder geniessen Sie sie?
Mit der Sichtbarkeit kommt auch der Sexismus. Frauen werden durch die heftigen Kommentare zum Schweigen gebracht. Dagegen kämpfe ich an. Ich finde es immer gut, wenn jemand in seinem Fachgebiet sichtbar wird. Sei es die Anwältin, sei es die Gesundheitsfachperson, die ihr Wissen teilt.
Mit dem Promi-Status steigt auch das Interesse an der Person. Wo ziehen Sie die Grenze?
Ich muss nicht an jeder Filmpremiere vor der Kamera sein und irgendwas sagen, sondern will im Zusammenhang mit meinen Sachthemen – Finanzen, Empowerment, Close the Gaps – in der Öffentlichkeit stehen.
Das Interview erschien zuerst in Ausgabe 3/2022 von «wir eltern».