Alleinerziehende
One-Woman- Show

plainpicture/Cultura (Henrik Weis)
Ich habe eine Schwäche für Frauen. Nicht irgendwelche Frauen, sondern alleinerziehende Mütter. Ich kann nicht genau sagen, woran es liegt. Vielleicht daran, dass ich mir als zweifacher Vater eine ganz gute Vorstellung davon machen kann, wie sich ihr Alltag anfühlt, wenn ich meine Kinder ein halbes Jahr allein versorgen muss, weil meine Lebensgefährtin gerade irgendwo in Deutschland in der Probezeit ist und wir unsere Familie nicht für ein «könnte vielleicht was werden» umtopfen. Vielleicht auch daran, dass ich grundsätzlich eher der mütterliche Typ bin: Ich koche, ich mache mir überzogene Sorgen, ich will meine Kinder sehen, wenn es mir schlecht geht. Wenn ich ehrlich bin, hege ich diese Art Sympathien auch für engagierte Väter. Die fallen gesellschaftlich mindestens genauso auf wie alleinerziehende Mütter. Alleinerziehende Väter sind mir bisher nicht begegnet. Fast möchte ich darüber froh sein. Wahrscheinlich würde ich sie anflehen, mein bester Freund zu werden. Es wäre seltsam und peinlich, aber ich wüsste mir nicht anders zu helfen. Es ist nicht etwa so, dass ich mit meinem eigenen Leben nicht schon genug zu tun hätte. Zwei Kinder, Arbeit, Partnerin, ein bisschen Freizeit und die üblichen kleinen und grossen Katastrophen reichen eigentlich aus, um mich vollends zu beschäftigen. Trotzdem fühle ich mich für die alleinerziehenden Mütter, die ich kennenlerne, und ihre Kinder quasi sofort verantwortlich. Ich leiste ungefragt stellvertretend für die Gesellschaft Abbitte, weil ich der Überzeugung bin, dass diesen Frauen nichts geschenkt wird, obwohl man ihnen eigentlich die Füsse küssen müsste.
Eine alleinerziehende Mutter ist kein Symptom für den Niedergang der Gesellschaft oder ein Symbol für das Scheitern von zwischenmenschlichen Beziehungen. Eine Alleinerziehende ist oftmals einfach die Person, die sich nicht aus der Verantwortung stiehlt. Und ja, an dieser Stelle falle ich ohne zu Zögern meinen eigenen Geschlechtsgenossen in den Rücken, obwohl ich weiss, dass es nicht wenige Fälle gibt, in denen Väter gerne mehr Verantwortung übernehmen wollen, es ihnen aber von den Müttern unmöglich gemacht wird. Denn ich bin mir eben auch darüber im Klaren, dass es mehrheitlich die Männer sind, die nach der Geburt ihres Kindes und/oder dem Scheitern ihrer Beziehung scheinbar skrupellos die Koordinaten ihres Lebens auf null setzen, um unbelastet weiterzumachen. Sie können mich in diesem Zusammenhang gerne einen Feministen nennen. Mein Feminismus ist allerdings kein Selbstzweck. Er beruht lediglich auf der Erkenntnis, dass das Eintreten für Menschenrechte überwiegend immer noch deckungsgleich mit dem Eintreten für Frauenrechte ist. Und da ich gerne in einer Gesellschaft leben möchte, die ich als gerecht empfinde, weil sie es jedem Menschen ermöglicht, in gleicher Weise an ihr zu partizipieren, werde ich immer mit dem Finger auf die leider noch viel zu zahlreicheren Stellen zeigen, an denen Frauen ungerecht behandelt und übervorteilt werden. Mit dem gleichen Elan zeige ich übrigens auch auf die Stellen, an denen mit Männern so verfahren wird.
Deshalb also alleinerziehende Mütter. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie kurz nach dem Kennenlernen schon zu uns zum Essen einlade, versuche, sie in unsere familiären Aktivitäten mit einzubeziehen und sie immer mal wieder unaufgefordert frage, ob ich ihnen nicht helfen kann. Auf die betreffenden Mütter muss das sehr befremdlich, ja geradezu übereifrig und aufdringlich wirken. Aber was soll ich machen? Ich war noch nie besonders gut im Wegschauen. Und alleinerziehende Mütter leisten die doppelte Arbeit, stecken zweimal so viel zurück und werden gleich mehrfach dafür bestraft, dass sie tun, was sie tun müssen, weil es kein anderer tut. Die Gesellschaft tut kaum etwas für sie. Oder haben Sie schon einmal Geld für den Verband alleinerziehender Mütter und Väter gespendet? Das wäre für Elternpaare als Vorsorge und Absicherungsmassnahme nämlich ungefähr so sinnvoll wie die Beiträge zur allgemeinen Rentenversicherung.
Die Gesellschaft blickt auf sie herab. Gerade in eher konservativen Milieus grenzt man diese Frauen aus, weil sie es angeblich nicht geschafft haben. Weil es ihnen nicht gelungen ist, die klassische Familienaufstellung um jeden Preis zu erhalten.
Die Gesellschaft beschuldigt sie. Pisa- Studie, gewalttätige Jugendliche, emotionale Traumata. Das haben wir nun davon, dass Mutti und Vati sich trennen. Die Kinder verwahrlosen und verrohen.
Machen wir uns nichts vor. Alleinerziehende machen sich verdächtig. Sie müssen sich vorwerfen lassen, nicht genug getan zu haben und nicht normal zu sein. Solange dies der Fall ist, werde ich wohl eine Schwäche für sie haben und all die merkwürdigen Verhaltensweise an den Tag legen, die ich beschrieben habe. Das mag seltsam wirken. Könnte aber auch schlimmer sein.