Reisekrankheiten
Mir ist schlecht
Von Andreas Grote
Vor den Ferien kommt die Anreise. Egal ob per Schiff oder Auto – vielen Kindern wird dabei übel und schwindelig. Was Eltern dagegen tun können.
Schwankende Schiffe, sich neigende Züge, ein turbulenter Flug oder mit dem Auto über holprige Passtrassen: Bei 80 Prozent der Bevölkerung verursacht dies Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, kalter Schweiss oder Hitzewallungen. Während Kleinkinder wegen ihres noch nicht fertig entwickelten Gleichgewichtssinnes keinerlei Symptome verspüren, leiden Buben und Mädchen zwischen 3 und 12 Jahren umso häufiger darunter.
«Warum das Gehirn auf diese komplexen Bewegungen so heftig reagiert, weiss man nicht genau», sagt Dominik Straumann, Neurologe und Spezialist für Schwindel und Gleichgewichtsstörungen am Universitätsspital Zürich. Schliesslich sei passives Bewegtwerden nicht natürlich, was dazu führt, dass das Gehirn während der Fahrt widersprüchliche Informationen erhält: Das Auge registriert durch das Fenster schnelle Bewegung oder keine Bewegung beim Lesen eines Buchs. Das Gleichgewichtsorgan dagegen meldet Schaukeln und Beschleunigung. Die Bewegungssensoren in den Muskeln sagen wiederum, dass der Körper gerade regungslos sitzt.
Richtig essen
Wer vorausplant, kann Reiseübelkeit jedoch mehr oder weniger lindern. Straumann empfiehlt vor Reisebeginn eher leichte Kost mit Gemüse, Obst oder Fisch, denn dies belastet den Magen weniger als Fettiges und schwer Verdauliches. «Auch zwischendurch sollte man den Magen mit kleinen Mahlzeiten wie einem Stück Brot, Salzstangen oder Zwieback beschäftigen.»
Während der Reise hilft es dem Gehirn, durch ein Fenster zu sehen, damit es die Bewegung nicht nur spüren, sondern auch deuten kann. Dabei fixiert man am besten einen fernen Punkt am Horizont und nicht die vorbeihuschende Landschaft, dann sind die wahrgenommenen Bewegungen nicht so extrem. «Es hilft auch, Körper und Kopf nur sparsam zu bewegen», sagt Dominik Straumann. Lesen, Filme schauen oder Videospiele spielen verschlimmert die Übelkeit eher, denn der Gegensatz von Stabilität und Bewegung ist dann für das Gehirn am grössten. Besser sind Hörbücher – das entspannt und lenkt ab.
Im Auto
♦ Kinder vorne oder, wenn hinten, möglichst in der Mitte der Sitzbank sitzen lassen.
♦ Vorne aus dem Fenster schauen, nicht aus dem Seitenfenster.
♦ Möglichst nicht lesen, sondern durch ein Hörspiel ablenken.
♦ Etwa alle zwei Stunden eine Pause einlegen, aussteigen, hin und her laufen, die frische Luft tief einatmen; das Gehirn kann sich so wieder neu einstellen.
Im Zug
♦ In Fahrtrichtung setzen.
♦ In Neigezügen in die hinteren Wagen einsteigen, dort stimmt die Neigung mit der Kurve besser überein, das irritiert weniger.
♦ Möglichst nicht die am Fenster vorbeiziehende Landschaft beobachten, sondern einen fernen Punkt am Horizont fixieren.
♦ Regelmässig im Zug hin und her laufen, bei Zwischenhalten kurz frische Luft an der geöffneten Tür schnappen.
Auf dem Schiff
♦ Wenn möglich eine Kabine mit Fenster und im Mittelteil des Schiffes in Höhe des Wasserspiegels buchen; dort schaukelt es am wenigsten und man sieht den Horizont.
♦ Nicht ständig in der Kabine bleiben, sondern sich an Deck an der frischen Luft bewegen.
♦ An Deck möglichst nicht nach unten, sondern in die Ferne schauen.
♦ Manche Medikamente gegen Übelkeit machen müde; daher besser nicht vor einem Landgang einnehmen.
♦ Dem Kind Mut zusprechen, nach 2–4 Tagen gewöhnt sich der Körper an das Schaukeln und die Beschwerden lassen nach.
Im Bus
♦ Einen Platz weit vorne und nicht direkt über der Achse belegen, so schaukelt es am wenigsten.
♦ Wenn möglich keinen Platz am Fenster, sondern am Mittelgang belegen.
♦ Nach vorne schauen oder durch das Seitenfenster einen fernen Punkt fixieren.
Im Flugzeug
♦ Für das Kind einen Sitz im Mittelgang und in der Nähe der Tragflächen buchen, da schaukelt es bei Turbulenzen am wenigsten.
♦ Gelegentlich aufstehen und zur Toilette und zurück laufen.
♦ Die Sitzlehne nach hinten stellen, den Kopf anlehnen, die Augen schliessen, ablenken und entspannen.
Mittel gegen Übelkeit helfen zusätzlich – allerdings nur, wenn sie rechtzeitig eingenommen werden. Das sollte etwa eine Stunde vor der Reise passieren, wobei Kaugummis auch dann noch helfen, wenn die Beschwerden bereits begonnen haben. Panzliche Mittel haben am wenigsten Nebenwirkungen. Ingwer lindert nachweislich den Brechreiz und hilft gegen Schwindel. «Das Wurzelgewächs hat aber einen scharfen Geschmack und ist daher für Kinder allenfalls in Form von süssen Zältli geeignet», sagt Alexander Vögtli, Apotheker und Gründer des Medikamentenlexikons PharmaWiki. Für ältere Kinder stehen auch Kapseln zur Verfügung. Die Wirkdauer beträgt etwa 6 Stunden.
Homöopathische Mittel mit dem Wirkstoff Cocculus aus den Samenkörnern des indischen Kockelstrauchs können ebenso gegen Übelkeit helfen, sie gibt es beispielsweise von Similasan. Sie wirken aber erst nach einigen Stunden und müssen stündlich neu eingenommen werden. «Die Wirkung wird aus wissenschaftlicher Sicht hauptsächlich über den Placeboeffekt vermittelt, der auch bei Reiseübelkeit wirksam ist, deshalb können diese Mittel durchaus helfen und schaden nicht», sagt Vögtli.
Akupressur gegen Übelkeit
Im akuten Fall hilft Akupressur aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) schneller: Festes Massieren mit den Fingerspitzen etwa drei Finger unterhalb der Handwurzel zwischen den Sehnen des Unterarms kann ebenso die Übelkeit lindern. Alternativ gibt es für Kinder Armbänder aus weichem Stoff mit einem harten Plastikchip auf der Unterseite, zum Beispiel von Sea Band, der ständig auf diesen sensitiven Punkt Druck ausübt, das erspart die Massage.
Nur in hartnäckigen Fällen kann man nach Absprache mit dem Kinderarzt auf Medikamente zurückgreifen. «Aus wissenscha‑licher Sicht helfen Antihistaminika der 1. Generation am besten», sagt Vögtli. Im Allgemeinen wirken sie gegen Allergien, aber auch bei Übelkeit und Erbrechen. Nachteil aller Antihistaminika: Sie können müde machen. Itinerol B6 ist länger wirksam (12 bis 24 Stunden), es ist für Kinder von 6 bis 12 Jahren aber nur als Zäpfchen erhältlich. Es sollte etwa eine Stunde vor Abreise gegeben werden.
«Ein Apotheker-Geheimtipp sind die Feniallerg-Tropfen», verrät Vögtli. Die Tropfen enthalten auch ein Antihistaminikum und sind bereits ab dem 1. Lebensjahr freigegeben, allerdings nicht für das Anwendungsgebiet Reiseübelkeit. «Die Tropfen sind gut wirksam und einfach zu verabreichen». Man erhält sie rezeptfrei in der Apotheke.