Medizin
Migräne bei Kindern - was hilft?
Was können Eltern tun, wenn ihr Kind immer wieder über Kopfschmerzen klagt? Ein Experte gibt Auskunft und sagt, wann man sofort handeln muss.
Medizin
Von Andreas Grote
Was können Eltern tun, wenn ihr Kind immer wieder über Kopfschmerzen klagt? Ein Experte gibt Auskunft und sagt, wann man sofort handeln muss.
Kinder können doch gar keine Migräne haben, diesen Satz hört Kinderneurologe Tobias Iff immer noch oft. «Das ist leider ein Mythos, der viele Kinder unnötig leiden lässt», sagt Iff, der als einer der Experten in der Schweiz gilt, wenn es um Migräne bei Kindern geht. In seiner Praxis im Zentrum für Kinderneurologie in Zürich diagnostiziert er jede Woche im Schnitt bei fünf Kindern neu eine Migräne. Laut internationaler Studien leiden zwischen 5 und 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter dieser Erkrankung.
Nach Erfahrung des Züricher Migräneexperten zögern Eltern zu lange mit dem Arztbesuch. Zwar sind es bei vielen Kindern und Jugendlichen letztlich Spannungskopfschmerzen, die hin und wieder etwa durch zu viel Stress auftreten. Doch steht am Ende die Diagnose Migräne, hätten viele Kinder schon früher von einer adäquaten Therapie profitieren können. «Kopfschmerzen sind eben auch bei Kindern nicht normal, sie haben einen Auslöser und einen Grund», sagt Tobias Iff.
Welche Symptome zeigen Kinder?
Eine Migräneattacke zeigt sich beim Kind ganz anders als beim Erwachsenen: sie ist meist viel kürzer, der Kopfschmerz ist oft beidseitig. Im Kleinkindalter zeigt sich die Migräne manchmal zunächst auch nur in Form von Bauchschmerzen, wiederkehrendem mehrtägigem Erbrechen oder heftigen, kurzen Schwindelepisoden.
Was haben die Gene damit zu tun?
Ist Migräne bei einem Elternteil diagnostiziert oder treten bei einem Elternteil regelmässig migräne-typische Kopfschmerzen auf, sollten Eltern besonders sensibel auf häufigere Kopfschmerzen ihres Kindes achten und sie gegebenenfalls beim Kinderarzt abklären lassen. Die Statistik zeigt, dass bei 20 Prozent der Menschen mit Migräne die Erkrankung bereits vor dem 10. Lebensjahr ausbricht, bis zu ihrem 20. Geburtstag haben es 40 Prozent. In dieser Lebensphase nimmt der Schuldruck zu, sie haben viele Freizeitaktivitäten und keine Zeit mehr zum Runterkommen, die Eltern stellen hohe Erwartungen und die Pubertät beginnt. Das alles kann ein Auslöser sein. Bei Mädchen können auch hormonelle Änderungen eine Migräneattacke auslösen.
Wann zum Arzt?
«Grundsätzlich sollten Eltern ihr Kind beim Kinderarzt vorstellen, wenn es regelmässig starke Kopfschmerzen hat, die es von Freizeitaktivitäten und Schule abhalten», rät Tobias Iff. Allerspätestens, wenn die Kopfschmerzen einmal pro Woche vorkommen, sei dieser Schritt notwendig. «Wer so häufig Migräne hat und nicht therapiert wird, hat ein erhöhtes Risiko, dass die Zahl der Attacken mit der Zeit schnell zunimmt.»
Was sind Alarmsignale?
Ein erst seit Kurzem bestehender und sehr starker Kopfschmerz, ein immer weiter stark zunehmender oder auch gegen Schmerzmittel resistenter Kopfschmerz, nächtlicher Kopfschmerz mit Aufwachen oder morgendliches Nüchtern-Erbrechen sollten alsbald neurologisch abgeklärt werden. Dies gilt auch für Kleinkinder und wenn Kinder Verhaltens- und Wesensänderungen zeigen, insbesondere mit neurologischen Auffälligkeiten wie epileptischen Anfällen, Lähmungen, Doppelbildern in Zusammenhang mit Kopfschmerzen.
Schmerzmittel Ja oder Nein?
Ist durch die Untersuchung eine Migräne nachgewiesen, gilt es, Eltern und Kind im Schmerzmanagement zu schulen. «Dies auch, weil meiner Erfahrung nach viele Eltern zu zögerlich in der Therapie der Migräne ihres Kindes sind und die notwendigen Schmerzmittel häufig zu spät oder zu knapp dosiert verabreichen», sagt Tobias Iff. Hilfreich ist, dabei einen Kopfschmerzkalender zu führen (siehe Link am Textende). Er erfasst die Häufigkeit und die Stärke des Schmerzes, wo und wie und mit welchen Begleiterscheinungen der Kopfschmerz aufgetreten ist, ob es eine Aura gab, einen Auslöser, ob die Attacke den Gang zur Schule und Freizeitaktivitäten beeinflusst hat und welche Medikation erfolgt ist. «Das hilft, einen Überblick zu bekommen, und zeigt, ob die Therapie greift oder angepasst werden muss.»
Dabei unterscheidet sich die Therapie je nach Alter des jungen Patienten. «Viele kleinere Kinder müssen sich nur ein oder zwei Stunden in ein dunkles ruhiges Zimmer zurückziehen, schlafen dort eine Weile und sind danach wieder topfit», sagt Iff. In dem Alter brauche es nicht immer eine Medikation. Im Schulalter ab 7 oder 8 Jahren gehe es dann aber erfahrungsgemäss fast nicht mehr ohne Schmerzmedikamente. «Wichtig ist, dass das Schmerzmittel bereits bald nach dem Beginn der Attacke und nicht erst zum Schmerzhöhepunkt eingenommen wird und in der vom Arzt empfohlenen Dosierung, sonst ist die Wirkung nicht optimal.»
Was kann man vorbeugend tun?
Neben der Medikation in einer akuten Attacke ist die Prophylaxe, also die Vorbeugung neuer Migräneattacken, genauso wichtig. «Hier hat sich die Einnahme von Magnesium und Vitamin B2, also Riboflavin, häufig als nützlich erwiesen», sagt Tobias Iff. Vor allem bei Jugendlichen kann auch der Lebensstil den Verlauf günstig beeinflussen: genug Schlaf, regelmässige und ausgewogene Mahlzeiten, genug Trinken, auch mal Zeit ohne Smartphone verbringen und sich draussen an der frischen Luft bewegen, aber auch zur Ruhe kommen, entspannen. «Eine Pause machen von dem, was stresst, und damit Auslöser vermeiden.» Das sei für Kinder und Jugendliche immens wichtig: Sie lernen, dass sie selbst aktiv etwas dazu beitragen können, ihre Erkrankung unter Kontrolle zu halten.
Kopfwehkalender ➺ https://kinderneurologie.ch