Interview – Ildikó von Kürthy
«Meine Kinder nerven täglich»
Von Denise Erni
Bestseller-Autorin Ildikó von Kürthy spricht Müttern aus dem Herzen. Ein Gespräch über Erziehung und Mutterliebe.
Ildikó von Kürthy wurde 1968 in Aachen geboren. Der Vater war Hochschullehrer, die Mutter Buchhändlerin. Ihre Eltern verlor die Autorin früh, den Vater mit 24, die Mutter mit 25. Von Kürthy ist freie Journalistin und Autorin. 1999 brachte sie ihr erstes Buch «Mondscheintarif» heraus. Danach folgten weitere Bestseller wie «Herzsprung», «Blaue Wunder» und «Endlich!» Ihre Romane verkauften sich millionenfach und wurden in 21 Sprachen übersetzt. Von Kürthy lebt mit ihrem Mann Sven Michaelsen, ebenfalls Journalist und Autor, und den beiden 6- und 3-jährigen Söhnen in Hamburg.
Buch: Ildikó von Kürthy: «Unter dem Herzen. Ansichten einer neugeborenen Mutter», 2012, Wunderlich Verlag, 22 Franken.
wir eltern: Frau von Kürthy, sind Sie eine gute Mutter?
Ildikó von Kürthy: Nein, ich bin keine gute Mutter. Ich bin auch kein guter Mensch, und ich bin auch keine gute Ehefrau – auf jeden Fall nicht 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Mal zweifle ich, mal bin ich sehr überzeugend, mal gebe ich mein Bestes, mal nicht. Es ist von allem etwas dabei, nichts ist mir fremd.
Sie und Ihr Mann arbeiten zu Hause. Wie bringen Sie Beruf und Kinder unter einen Hut?
Unsere Situation ist sehr privilegiert. Ich kann niemandem raten: «Machs doch so wie ich.» Das geht nicht. Wer hat schon einen Mann, der die Kinder jeden Tag in die Kindertagesstätte bringt und wieder abholt? Wir können uns beide unsere Zeit frei einteilen, dafür bin ich jeden Tag dankbar.
Könnten Sie sich vorstellen, «Nur»-Mutter zu sein?
Ich arbeite jetzt deutlich weniger als vorher und stelle fest, dass Kinder immer mehr zu Menschen werden, mit denen man das Leben teilen und Zeit verbringen möchte. Diesen Luxus leiste ich mir oft. Ich möchte aber generell gar nichts «nur» sein – dabei bleibt immer zu viel auf der Strecke.
Kinder nerven manchmal. Ihre auch?
Manchmal ist gut, jeden Tag! Ich bin sehr froh, dass bei uns sowohl die Last, aber auch das Glück, das es bedeutet, Kinder zu haben, auf zwei Schultern liegt. Ist mein Mann mal drei Tage weg, steigt meine Liebe zu ihm und meine Bewunderung für Alleinerziehende ins Unermessliche.
Bei nervenden Kindern können Erziehungsregeln manchmal Abhilfe schaffen. Gibt es solche auch im Hause von Kürthy?
Ja, ich habe sehr strikte Regeln – die ständig gebrochen werden. Mal brülle ich rum, mal versuche ich es taktisch schlau, mal pädagogisch klug, mal komme ich wieder mit handfesten Drohungen. Ich halte mich nicht für ein pädagogisches Naturtalent, aber für menschlich und nahbar. Schliesslich möchte ich, dass meine Söhne ihren Weg finden und ihren Talenten und Neigungen entsprechend leben, dabei freundlich bleiben und gute Laune haben. Mehr will ich nicht, aber das ist ja auch schon sehr, sehr viel.
Wie sieht es bei Ihnen daheim mit Ritualen aus?
Am Wochenende frühstücken wir alle gemeinsam im Bett. Die Kinder haben Joghurt in der Hand und ich schreie rum, dass sie keine Flecken machen sollen. Abends essen wir gemeinsam und am Wochenende dürfen sie eine halbe Stunde Fernsehen. Zudem ist am Sonntag Oma-Tag. Wir haben verschiedene Wochenpunkte und bemühen uns um einen Rahmen, der Sicherheit gibt, brechen aber auch immer mal wieder aus.
Sie sind Autorin des Sachbuches «Unter dem Herzen – Ansichten einer neugeborenen Mutter». Lesen Sie selber Erziehungs-Ratgeber?
Ich lese sie widerwillig und oft auch nur aus beruflichen Gründen. Ab und zu tun solche Ratgeber aber auch ganz gut. Meine zwei Jungs sind immer laut und ich frage mich, ob sie eine Testosteron-Tankstelle haben, von der ich nichts weiss. Jungs kommen auf die Welt und halten sich für Action-Helden. Und man fragt sich: Oh Gott, bei uns wird doch gar nicht geschossen? Woher können sie das nur? Da tut es einem ganz gut, Leute zu hören, die sich mit Kindern besser auskennen und die sagen: Das ist alles ganz normal.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie gerne ein Mädchen gehabt hätten. Jetzt haben Sie zwei Buben. Verspüren Sie Wehmut?
Ja, ehrlich gesagt schon. Aber nicht, weil ich meine Jungs nicht gut finde, sondern weil es eine Erfahrung ist, die ich gerne gemacht hätte. Ich hätte mich gern als Mädchen-Mutter und meinen Mann gern als Mädchen-Vater erlebt. Aber, noch mal ganz deutlich, damit ich keinen Shitstorm auslöse: Ja, ich liebe meine Söhne!
Die Erziehung von Jungen sei schwieriger, haben Sie mal geäussert ...
Ich finde, es ist eine grosse Herausforderung, einen Jungen zu einem guten Kerl, zu einem Mann, der nicht ständig über die richtigen Frisuren nachdenkt, aber trotzdem weich und alltagstauglich ist, zu erziehen. Es gibt so wenig gute Vorbilder. Immer lese ich von der Verweiblichung der Gesellschaft, dass die Frauen auf dem Vormarsch und die Männer das schwache Geschlecht sind. Die Männer müssen sich eine neue Rolle suchen. Das verunsichert mich. Mit einem Mädchen hat man einen klareren Weg vor sich. Mädchen sind gut so, wie sie sind, das Mädchenverhalten gilt als normal und wünschenswert. Jungs sind laut und prollig und gelten als störend, einfach weil sie ganz normale Jungs sind.
Sie haben Ihre Mutter verloren, als Sie 25 waren. Hat der frühe Verlust einen Einfluss auf Ihr eigenes Mutter-Dasein?
Ich glaube, dass ein Teil der Unsicherheit, die ich vielleicht mehr als andere habe, auch daher kommt, dass mein Blick zurück ins Leere geht. Ich kann niemanden fragen, ob ich die Masern hatte oder mit zwei Jahren auch so unausstehlich war. Mir fehlt der Abgleich in die eigene Vergangenheit. Es ist ein grosser Verlust, das ist mir heute viel bewusster als damals. Denn ich merke, dass meine Kinder auch jemand verloren haben: ihre Grossmutter.
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