Austreibungsphase, Schleimpfropf und Ergo Carrier: Was eine Schwangerschaft im Wortschatz des Mannes für Spuren hinterlässt.
Als ich zum ersten Mal wegen Rückenschmerzen einen Arzt aufsuchte, lautete sein Befund: «Ihr Iliosakralgelenk ist blockiert.» – «Mein was?», fragte ich zurück. Ein paar Jahre und zwei Bandscheibenvorfälle später sind mir Fachausdrücke aus dem Reich der Rheumatologie («Lumbale Protrusion») und der Physiotherapie («Dry needling») so geläufig, als hätte ich Medizin studiert.
Nun handelt es sich bei einer Schwangerschaft nicht wirklich um eine Krankheit, auch wenn es sich für meine Frau zu Beginn und ganz zum Ende des anderen Umstands manchmal so angefühlt hat. Die exponenzielle Erweiterung meines Wortschatzes durch Begrifflichkeiten aus einem Universum, von dem ich bis vor Kurzem nicht einmal geahnt hatte, dass es existiert, erinnert mich aber durchaus an meine Anfänge als Rückenpatient.
Und nicht jeden Ausdruck, den ich in den letzten Wochen und Monaten gelernt habe, hätte ich automatisch mit einem freudigen Ereignis in Verbindung gebracht. Man nehme den Geburtsvorbereitungskurs, den ich neulich mit meiner Frau besuchte. Als die unterrichtende Hebamme «Austreibungsphase » an die Tafel schrieb, dachte ich spontan an Teenager und deren Flausen respektive den Wunsch verzweifelter Eltern, ihnen nämliche mit der Weiderute auszutreiben. Und bei «Schleimpfropfen» stellte ich mir einen österreichischen Kabarettisten vor, der eine Schmähformel für Politiker im Wahlkampf kreiert hatte.
Irgendwie kindisch, diese Assoziationen, die mich während besagten Kurses übermannten. – Kindisch und Vater, ging das überhaupt zusammen? Oder war diese Kombination strafbar? Geächtet von der Internationalen Vereinigung Verantwortungsvoller Supercooler & Umfassend Informierter Dads (IVVSUID)? So, konzentrier dich auf den Kurs. Der Streber gegenüber hatte schon wieder eine neunmalkluge Frage gestellt, die von der Hebamme mit einem anerkennenden Nicken honoriert wurde. Und ich wusste noch nicht einmal, wo ich mich im Gebärsaal hinstellen wollte. Schlimmer noch: Bis vor zehn Sekunden hatte ich nicht gewusst, dass man sich dazu überhaupt Gedanken machen kann.
Und wie jung die alle waren! Mit meinen 45 Jahren hätte ich schon fast der Vater dieser Väter sein können. Vielleicht hätte auch ich mich mit der Familiengründung etwas mehr beeilen sollen? Dann wäre mein Iliosakralgelenk weniger fragil und ich müsste jetzt die Frage nach der richtigen Höhe der Wickelkommode nicht mit dem gleichen Ernst behandeln wie weiland John F. Kennedy die Kuba-Krise.
Immerhin: Die Tatsache, dass ich mich mit der Höhe des Wickeltisches beschäftigte, zeigte doch, dass ich mich durchaus mit meiner Vaterwerdung auseinandersetzte. Und zwar so intensiv, dass ich nachts von absurden Träumen heimgesucht werde, wie jenem, in dem mein Baby – mein Baby! – aus unerfindlichen Gründen von Viktor Röthlin geschöppelt wurde. So, konzentrier Dich auf den Kurs.
Gut möglich, dass ich das Rückenthema überbewertete. Vielleicht wurde mir ja kein bewegungssüchtiger, mich als Rutschbahn, Kletterbaum, Sandsack und Fussballtorwart beanspruchender Junge geboren. Sondern ein kontemplatives, selbstreinigendes, Romane verschlingendes Mädchen.
«Und Sie? Haben Sie vielleicht noch Fragen?» Die Stimme der Hebamme riss mich aus meinen Gedanken. Aber so rasch – Vorteil des reifen Alters – liess ich mich nicht aus dem Konzept bringen. «Ja», antworte ich beflissen. «Was empfehlen Sie: Baby Björn oder Ergo Carrier?»
Bruno Ziauddin
Bruno Ziauddin, 45, ist Journalist und Buchautor Der Sohn eines Inders und einer Schweizerin ist in Zürich aufgewachsen. Sein jüngstes Werk heisst «Curry-Connection» und ist bei Rowohlt erschienen.