Jungen und Pubertät
«Starke Botschaften der Väter an die Söhne»
Von Ava Sommer*
Männerberater und Sexologe Martin Bachmann über die Identitätssuche von Buben beim Aufwachsen und die Rolle der Väter dabei.
Herr Bachmann, wie geht es in Ihren Augen den Buben in der Schweiz?
Martin Bachmann: Ich finde, wir sind auf einem guten Weg.
Womit hat das zu tun?
Sicherlich viel mit den «neuen Vätern». Männer wollen heute immer mehr in ihrer Vaterrolle ernst genommen werden. Nicht wie in den 1950er-Jahren, als ein Vater niemals ein Baby gewickelt hätte.
Klare Rollenzuteilungen, Stereotypen haben eigentlich etwas Entlastendes...
Sicher, darum sind sie auch so verlockend. Doch die Freiheit zu wählen, wie und was ich als Mann oder als Frau sein möchte, sind zivilisatorische Errungenschaften und müssen unbedingt gepflegt werden. Eine Krise wie jetzt die Corona-Pandemie kann sonst schnell viel Schaden anrichten und uns ein paar Jahrzehnte zurückwerfen.
Viele Eltern sind verunsichert, wenn ihre Buben sich verhalten wie Machos oder wie das klassische männliche Bild. Zu Recht?
Erwachsene sollten sich nicht zu sehr verunsichern lassen. Es gehört zur Identitätssuche der Buben dazu - vor allem im Jugendalter - dass stereotype Verhaltensweisen ausprobiert werden. Übrigens auch bei den Mädchen, erinnern sie sich an ihre eigene Jugend! Das zeigt die grosse Verunsicherung in diesem Alter. Aber klar, Eltern müssen Grenzen setzten, ihre Haltung und Meinung einbringen, das ist sehr wichtig und gibt ja ebenfalls Orientierung.
Wie wichtig sind denn explizit die Väter für die Entwicklung der Buben?
Väter tragen einen wichtigen Teil zur Prägung bei. Unter anderem, was «Mann sein» konkret in unserer Gesellschaft heisst. Söhne nehmen wahr, wie ihr Vater Konflikte handhabt, wie er sich in der Familie, im Haushalt einbringt, wie er mit Frauen, mit sich selbst, mit ihnen als Söhne umgeht.
Und wenn die Söhne in die Pubertät kommen?
Für die Väter heisst das oft, dass sie sich durch ihre pubertierenden Söhne ebenfalls mit sich und ihrem Männerbild auseinandersetzen sollten. Pubertierende halten uns den Spiegel vor, das führt natürlich zu Konflikten. Das kann aber auch eine grosse Chance sein für die Väter.
Inwiefern?
Die Männer können sich selbst fragen, ob sie in ihren Rollen glücklich sind, ob sie so leben, wie sie gerne möchten oder eher wie es die Gesellschaft von ihnen erwartet oder wie sie selbst einmal von ihren Eltern geprägt wurden.
Was können Väter konkret tun, um ihre Söhne zu unterstützen, Männer mit einem gesunden Selbstwert zu werden?
Es gibt viele starke Botschaften der Väter an die Söhne, die wichtig sind: Ich will für dich da sein, zum Beispiel. Oder: Ich liebe dich, so wie du bist, auch wenn du anders bist, als ich. Väter, die sich für ihre Söhne interessieren, nachfragen, wie es ihnen geht und mit ihnen über Gefühle reden, leisten einen wichtigen Beitrag an ihre gesunde Entwicklung.
Das braucht alles Zeit. Die meisten Väter in der Schweiz arbeiten aber Vollzeit.
Ja, sicher! Es braucht eine bewusste Entscheidung der Väter: Ich möchte meine Kinder begleiten, dafür gebe ich uns Raum, schaffe Begegnung, nehme mir Zeit. Väter müssen sichtbar und fassbar sein, sich mehr in das Leben ihrer Kinder einmischen.
Und wenn einfach kein Vater da ist? Wenn er nicht will oder verstorben ist?
Schauen sie, das Leben ist bunt, und wir Menschen sind stark, wir sind robust und vorbereitet auf Ausnahmen. Buben, die ohne Vater aufgewachsen sind, können wahnsinnig gut herauskommen, genauso wie Buben, die ohne Mutter oder mit beiden Elternteilen aufwachsen.
- Autorin Ava Sommer schreibt unter einem Pseudonym, um die Privatsphäre ihres Sohns zu schützen (siehe auch untenstehenden Teaser auf zugehörigen Artikel). Ihr Interviewpartner Martin Bachmann ist Männerberater und Sexologe beim Mannebüro Züri.