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Körperteile essen

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zvg
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Ich esse jetzt seit ziemlich genau einem Jahr kein Fleisch mehr und seit ziemlich genau zwei Wochen keinen Fisch. Das erste war eine bewusste Entscheidung, das zweite ist mir eher ausversehen passiert. Die Idee eines zeitlich begrenzten Fleischverzichts hat mich schon länger umgetrieben. Mein grosser Sohn hat sich einige Jahre vegetarisch ernährt, bis er entdecken musste, dass die fleischfreien Sachen in seiner Schulkantine nicht schmecken und Fleischessen auch eine soziale Dimension hat. Ausserdem arbeite ich in meinem zweiten Leben als linksgrünversiffter Weltverbesserungsgutmensch bei Pinkstinks in einer Szene, in der sich viele zum Veganismus bekennen. Der geht mir zwar (noch?!) deutlich zu weit, aber eine Weile fleischfrei essen stand einfach mal an. Und siehe da: Das herbe Verlustgefühl blieb aus. Wenn man sich erstmal von Soja und Tofu als Fleischersatz verabschiedet und sie (nur) nach Geschmack einsetzt, läuft es. Auch die allzeit geliebt-gewohnte Drei-Komponenten-Mahlzeit ist überschätzt. Ein schöner Salat, der auf dem Teller noch leicht von Bratkartoffeln angeschwitzt wird, braucht kein Schnitzelchen.
Womit ich nicht gerechnet hätte, ist der massiv einsetzende Ekel. Auf Fleisch sowieso. Aber nachdem ich vor den Fish ‘n‘ Chips letztens monatelang keinen Fisch gegessen hatte, war es dann jetzt damit auch vorbei. Und bleibt aller Wahrscheinlichkeit nach auch so. Warum erzähle ich das? Was hat das mit Familie zu tun? Nun, ich bin nach wie vor der Hauptkoch in einer fleischessenden Familie. Wenn sich mein Sohn jetzt zum Geburtstag selbstgemachte Spätzle mit Hackbraten und Rotkohl wünscht, tu ich ihm den Gefallen. Aber statt «den Braten vorzubereiten», wühle ich jetzt in Körperteilen. Selbstverständlich war das schon immer das gleiche. Aber wenn man das so deutlich vorgeführt bekommt wie beispielsweise in diesem brasilianischen Supermarkt,
ist es doch etwas anderes. Ausserdem kann so ein Essen nur noch teilweise abschmecken und koche quasi nach Erinnerung. Das ist ein bisschen wie in der berühmten Szene aus «Brust oder Keule», wo Louis de Funès, seines Geschmackssinns beraubt, den Wein durch Anschauen errät.
Alles nicht so einfach. Und zuletzt habe ich, was meine Ernährung angeht, kein Sendungsbewusstsein. Texte wie dieser hier werden die Ausnahme bleiben. Aber die Kinder erwähnen es bei jeder Gelegenheit. Dann geht es los. Dieses «Kein Fleisch essen, hmm? Was willst du mir denn damit sagen?!» Ähm, nix. Iss einfach deinen Teller leer und ich meinen, dann sind wir beide satt.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.