Andreas Hofer
Kinder sind für Investoren ein Störfaktor
wir eltern: Herr Hofer, warum bekommt man auf der Suche nach einer Familienwohnung das Gefühl, Architekten gehe es mehr um die Verwirklichung ihres Egos als um ihre Kunden?
Andreas Hofer: Architekten erhalten Aufträge und setzen diese um. Für viele Immobilieninvestoren stehen Familien nicht im Zentrum. Sie sehen Kinder in erster Linie als Störfaktor. Genauso wie Hunde, Katzen und Klaviere: Sie sind laut und machen auch noch Dreck. Die DINKs – junge Doppelverdienerpaare ohne Kinder – hingegen sorgen für höhere Erträge. Sie brauchen keinen Spielplatz und schonen dank häufiger Abwesenheit die Wohnung.
Familien werden dadurch an den Stadtrand gedrängt.
In der Schweiz spricht man von «Seefeldisierung» oder «Zugerisierung», der Fachbegriff für diese Verdrängung heisst «Gentrifizierung». Er stammt aus dem 18. und 19. Jahrhundert, als Adlige sich neben ihren Landschlössern zusätzlich Häuser im Stadtzentrum kauften und die weniger Wohlhabenden verdrängten. Das ist also kein neues Phänomen.
Aber nicht minder unfair. Kommt hinzu, dass selbst explizit für Familien konzipierte Neubauwohnungen oft furchtbar kinderunfreundlich daherkommen: Die Kinderzimmer haben die Grösse von Kaninchenställen, es gibt keine Einbauschränke, Rolläden fehlen und im Hof stehen ein paar durchgestylte, aber von den Kindern ignorierte Spielgeräte.
Die Bedürfnisse haben sich geändert. Für eine Kleinfamilie in den 50er-Jahren war klar, wie eine Wohnung genutzt wurde. Jedes Zimmer, jede Wand hatte ihre Funktion. Heute sind die Ansprüche individueller, die Räume entsprechend multifunktionaler. Die einen Familien wollen eine abschliessbare Küche, die anderen einen grosszügigen Wohn-/Essbereich. Auch bei den Schränken will man keinen Einheitsbrei mehr. Und Rollläden fehlen, weil der Wahn, mit riesigen Verglasungen «Loft-Atmosphäre» zu erzeugen, vernünftige Beschattungs- und Verdunkelungseinrichtungen enorm verteuert hat. Was wiederum auf die Miete schlägt.
Wo orten Sie das grösste Problem, dem Eltern auf Wohnungssuche begegnen?
Die grösste Schwierigkeit haben Familien, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Der Wohnstandard hingegen liegt wirklich nicht im Argen. Obwohl ich als Architekt natürlich gerne baue und Bedürfnisse nach anspruchsvolleren Wohnungen und Häusern befriedige, sehe ich Verbesserungen vor allem im Wohnumfeld. Siedlungen sollten familien- und kindergerechter werden und Infrastrukturen bieten, die Eltern im Alltag entlasten.
Viele Familien hegen mit dem ersten oder zweiten Kind den Traum vom eigenen Häuschen im Grünen.
Ich will das nicht verurteilen, aber angesichts der Scheidungsraten ist das ein gefährlicher Traum. Wenn die Ehe zerbricht, drohen neben dem seelischen Schmerz grosse finanzielle Probleme. Das Einfamilienhaus wird zur Bürde.
Man wohnt heute ja kaum mehr zementiert bis ans Lebensende im Eigenheim. Auch diesbezüglich hat sich das klassische Wohn- und Familienmodell gewandelt: Einerseits bröckelt die Vorstellung von der Ehe als dauerhafte Lebensform, andererseits verkürzt sich die Familienphase durch die kleine Kinderzahl auf einen verhältnismässig kurzen Lebensabschnitt. Auch ökologische Gründe sprechen gegen einen «Umzug ins Grüne»: der lange Arbeitsweg, die Zersiedelung.
Marvin Zilm
Andreas Hofer
Der 45-jährige Architekt studierte an der ETH Zürich und entwickelte kurz darauf das soziale Wohnexperiment «Kraftwerk1 » in Zürich, wo er noch heute in einer Gross-WG lebt.
Hofer unterrichtet an verschiedenen Universitäten, berät Genossenschaften und war bis vor Kurzem Vorstandsmitglied des Dachverbandes der Baugenossenschaften, dem Schweizerischen Verband für Wohnungswesen.
www.kraftwerk1.ch
Geben Sie uns trotzdem ein paar Tipps für Eltern, die den Traum vom «Häuschen auf dem Lande» nicht beerdigen wollen.
Ich rate zu einfachen, kompakten Volumen, einer nachhaltigen Bauweise – zum Beispiel Holz – und einem Wohnkonzept, das auch die Nachfamilienphase berücksichtigt. Dazu gehört die behindertengängige Benutzbarkeit des Wohngeschosses mit mindestens einem Zimmer. Wenn es das Budget erlaubt, erhöhen abtrennbare Wohneinheiten wie Studios und Einliegerwohnungen die Flexibilität.
Kindern wiederum ist fürs Wohlbefinden familiäre Harmonie wichtiger als die Grösse des Zimmers. Ein Kinderzimmer kann durchaus knapp sein – zum Beispiel eine Schlafkammer im Dachgeschoss.
Sie sind bekannt für soziale Wohnexperimente. Mit der Überbauung «Kraftwerk1» in Zürich bauten Sie eine Siedlung mit sogenannt «flexiblen Wohnmöglichkeiten». Was ist damit gemeint?
Das vor 10 Jahren erstellte Projekt ist für unterschiedlichste Lebensmodelle konzipiert: Für Familien, für die Vor- oder Nachfamilienphase, für jene, bei denen das Familienleben brüchig geworden ist, für Junge und Alte. Das hat Konsequenzen für die architektonische Grundstruktur: Zur Siedlung gehört alles, vom Single-Haushalt bis zu Gross-Wohngemeinschaften.
Ich selber wohne in einer Gross-WG im «Kraftwerk1». In den letzten Jahren kam bei uns immer mal wieder ein Baby zur Welt. Ein Teil der Paare blieb mit den Kindern in der WG, andere zogen in eine eigene Wohnung in der Siedlung. Es gibt Paare mit Kind, die sich trennten, beide Elternteile leben aber weiterhin in der Siedlung und können so die Kinder gemeinsam betreuen.
Soziales Engagement fängt also bereits beim Bauen an?
Genau. Wohnqualität erschöpft sich nicht in Marmorböden und Luxus-Badewannen. Sie hängt vielmehr von sozialen Kontakten ab. Im Kraftwerk gibt es deshalb Gemeinschaftsräume mit Küchen, wo Eltern sich gegenseitig die Kinder hüten können. Zudem stellen wir kurzzeitig mietbare Zimmer zur Verfügung. Zum Beispiel für Grosseltern, die die ersten Wochen nach der Geburt ihres Enkels den jungen Eltern unter die Arme greifen wollen. Auch gibt es im Kraftwerk einen Laden, ein Restaurant, Coiffeur, Waschsalon – und einen gut genutzten Spielplatz mit Weidehütten, Fussballplatz und Basketballkörben.
Ein kleines Dorf mitten in der Stadt?
Ich bin vorsichtig mit dem Begriff «Dorf». In einem Dorf ist die soziale Kontrolle gross, im Kraftwerk hingegen ist man weniger kontrolliert. Aber es gibt viele Begegnungsmöglichkeiten, was zu Freundschaften und Wahlverwandtschaften führt. Zudem haben wir alle kulturellen Vorteile der Stadt.
Nicht alle mögen ein WG-Leben, schon gar nicht mit Kindern. Wie und wo finden Familien sonst noch preiswerte Wohnungen?
Zum Beispiel in Genossenschaftssiedlungen. Diese galten lange als bünzlig, mittlerweile wurden die Wohnungen heutigen Bedürfnissen angepasst.
Eine weitere Möglichkeit ist die Eigeninitiative. Warum nicht zusammen mit einem befreundeten Paar einen Bauplatz oder ein Haus zum Kaufen suchen?
Wie werden unsere Kinder einst wohnen?
Familien werden leider weiterhin auseinanderbrechen – sich aber auch wieder neu formieren. Der Bedarf nach flexiblen Wohnformen wird steigen. Ebenso die Energiekosten: In naher Zukunft können wir nicht mehr so viel Wohnraum pro Person beanspruchen, geschweige denn bezahlen. Wir werden uns räumlich wieder einschränken und wohl auch bescheidener leben müssen.