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Jungen sind nicht schön
zvg
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«Wie geht es dir, mein Schöner? Ich hab dich vermisst!» Mein Dreijähriger blickt von Schaufel und Förmchen auf und strahlt mich an. Er hat mit seiner Mutter circa 150 Sandkuchen gebacken und die Hälfte davon seine zufrieden glucksende kleine Schwester kaputt machen lassen. Ich habe einen sehr langen Arbeitstag hinter mir und bin froh, dass meine Lebenskomplizin mit den Jüngsten anscheinend ein paar entspannte Stunden in der Herbstsonne hatte. Lediglich die irritierten Blicke der anderen Erwachsenen in Hörweite stören ein bisschen. Aber das kenne ich ja bereits: Ich habe es tatsächlich gewagt, meinen kleinen Jungen schön zu nennen.
So etwas macht man nicht. Jungen sind nicht schön. Auch nicht hübsch, zart oder kuschelig. Sobald sie keine Babys mehr sind, haben Jungen auszusehen wie der blaue oder der rote Kerl, die sich den ganzen Tag beschimpfen und mit Felsbrocken beschmeissen: Stark, kernig und kerlig.
Wenn man sie umarmen will, dann reagieren sie, als hätte man ihnen einen Stromschlag versetzt und drücken einen weg. Wenn sie wütend oder traurig sind, dann schreien sie und rasten aus. Immer wollen sie herausfinden, wie etwas funktioniert. Zärtlichkeit ist ihnen fremd…
Hat man mir zumindest erzählt. Ich kenne viele Jungen, die nicht so sind. Meiner zum Beispiel kuschelt gerne und streichelt seiner Schwester vor dem Zubettgehen über den Kopf. Er mag keine lauten Geräusche und liebt Geschichten. Als ich seine inzwischen unkämmbaren langen Haare beim Friseur schneiden lassen wollte, geriet der in Panik und wollte mich erst ein Frisurenbuch konsultieren lassen. Nach ein paar elend langen Minuten begriff ich das Missverständnis und sagte die erlösenden Worte: «Schon okay, er ist ein Junge.» Sssst, waren die Haare ab.
Die Worte sind aber überhaupt nicht erlösend. Die Verkäuferin im Drogeriemarkt will wissen, ob wir die Haarspangen auch wirklich kaufen wollen. Wo er doch ein Junge ist «und so». Ich starre sie nieder. Beim Bäcker findet man seine lackierten Fingernägel befremdlich, die ihm seine grosse Schwester auf sein Drängen hin gemacht hat. Ich ordere sehr laut ein paar Brötchen und ein Instant-Geschlechtstest, damit sich niemand mehr unwohl fühlen muss. Schweigen. In der Fussgängerzone erzählt ihm ein Mann, dass Jungen nicht weinen, wenn sie stolpern und hinfallen. Ich erzähle dem Mann, dass Erwachsene weniger Scheisse reden, wenn sie vorher nachdenken, und erkundige mich, ob er das nicht auch mal versuchen will.
Ich bin fertig mit nett. Das ist bereits mein drittes Kind, das in diese Geschlechterzwangsjacke gesteckt werden soll, und es reicht endgültig. Mag sein, dass ich deshalb unfreundlich wirke. Aber so ist das mit Vätern von wunderschönen, hübschen Jungen. Gewöhnt euch dran.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.