Timing
In einem Rutsch oder in aller Ruhe
Am besten Schlag auf Schlag: Alle anderthalb Jahre ein Kind, dann sind – etwa bei vier Kindern – nach zwölf Jahren alle in der Schule. Die Eltern, bei rechtzeitigem Beginn nun erst Mitte Vierzig, haben wieder Zeit für sich und können sich auf ihren Beruf konzentrieren.
Die Anhängerschaft dieser Form von Familienplanung geht von der Devise aus: Alles in einem Aufwasch bedeutet zwar ein paar Jahre Extremstress, eröffnet aber den Eltern nach der Familienphase noch neue Möglichkeiten.
Anders die Verfechter der Ruhigen-Phasen-Planung. Hier heisst es: Erst mal ein Kind geniessen und dann dem Körper der Mutter, der Beziehung der Eltern und dem Beruf wieder mehr Aufmerksamkeit gönnen, bevor – nach vier bis fünf Jahren vielleicht – das nächste Kind kommt.
Pläne sind gut, klappen tun sie selten
Seien wir ehrlich: Pläne klappen nur selten und beim Kinderkriegen noch seltener. Manche Paare müssen lange auf ein Baby warten, manche Frauen auf den richtigen Mann, und bei manchen schlägt es schneller ein als erwartet und erwünscht. Eine kleine Verhütungspanne und schon bleibt jeder Plan bloss Plan.
Ein bisschen «höhere Gewalt» ist bei der Familienplanung stets im Spiel. Trotzdem fragen sich wohl alle Eltern, wenn es denn nicht bei einem bleiben soll: Welches ist der ideale Altersabstand zwischen den Geschwistern?
Laut Umfragen sieht die Idealfamilie so aus: Zwei Kinder im Abstand von zwei Jahren, ein Junge, ein Mädchen.
«Zwei Jahre dazwischen finde ich optimal»,schreibt in einem Internetforum eine «Marita2», Mutter von Jannick, 5, und Celine, 3. «Am Anfang war es zwar anstrengend, weil der Grosse wieder Baby sein wollte. Aber jetzt ist Jannick total stolz auf seine Schwester und die beiden spielen super miteinander.»
«Ich sehe das anders», antwortet «Chiara». «Zwei Wickelkinder sind schrecklich. Ich bin froh, dass bei uns vier Jahre dazwischen liegen. Das schont die Nerven. Vielleicht wäre sogar ein noch längerer Abstand gut.»
Argumente gibt es für die grosse und die kleine Pause zwischen den Babys. Und nicht selten bleibt die Familienplanung einfach: Planung. Cynthia Bürki (35) und ihr Mann etwa haben ihr zweites Kind nicht getimet, es ist einfach gekommen. «Wir haben es darauf ankommen lassen. Dass es so schnell einschlagen würde, konnte man ja nicht ahnen», lacht die Übersetzerin aus Zürich. Heute ist Dalia drei und ihr Bruder Luciano anderthalb Jahre alt. «Zeitweilig war ich ziemlich am Anschlag», sagt Cynthia Bürki. «Dieser elende Schlafmangel macht einen fertig. Dazu kommt, dass ich manchmal das Gefühl hatte, Dalia nicht gerecht zu werden.» Die Kleine sei gerade so süss gewesen, hätte angefangen zu laufen, erste Sätze zu brabbeln … Doch weil das Baby soviel Aufmerksamkeit forderte, hätte sie die Grosse gar nicht recht geniessen können. «Trotzdem, es hat auch Vorteile», sagt die junge Mutter. «Ich habe einmal eine längere Babypause gemacht und kann jetzt wieder beruflich einsteigen, ohne in ein paar Monaten unterbrechen zu müssen.»
Ja, was denn nun? Kurz zwischen den Kindern warten? Mittellang? Sehr lang?
Den idealen Altersabstand gibt es nicht. Der Münchner Geschwisterforscher Hartmut Kasten erklärt zwar, dass drei bis vier Jahre als günstig gälten: «Dieser Altersabstand hat sich in der Praxis häufig als optimal erwiesen, denn er trägt nicht selten dazu bei, dass die Geschwister besonders gut miteinander auskommen, nicht so oft rivalisieren und viel miteinander anfangen können.» Wenn der Unterschied hingegen mehr als sechs oder sieben Jahre betrage, habe das jüngere Geschwisterkind kaum mehr einen Einfluss auf die Persönlichkeit des älteren, so Kasten. Er gibt aber auch zu bedenken, dass der Altersunterschied nur einer von vielen Faktoren ist, der die Beziehung zwischen Geschwistern prägt.
Kein Reisen, kein Ausschlafen – kein gelangweiltes Kind
Klar ist: Je näher sich die Kinder altersmässig sind, desto härter werden die ersten Monate und Jahre. Fängt das Baby gerade mal an zu krabbeln und das zweite kündigt sich an, heisst das für die Eltern: wickeln und füttern im Doppelpack, beide die Treppen hochtragen, zwei Hochstühle am Tisch, ein zweites Kinderbettchen im Zimmer, entweder einen Kinderwagen für zwei anschaffen oder den «Grossen» im Buggy schieben und das Kleine im Tragetuch mitnehmen. Ausschlafen können sie vergessen. Reisen auch. Und einen Babysitter zu finden, der sich locker zwei Kleinkindern gleichzeitig gewachsen fühlt, ist ähnlich selten wie ein Lottogewinn.
Voraussetzung, dass ein solcher Kraftakt gestemmt werden kann, ist natürlich, dass die Frau sich von der vergangenen Schwangerschaft und Geburt schon gut erholt hat. Hebammen empfehlen daher, mindestens ein halbes Jahr, besser neun Monate nach der Geburt zu verhüten, bis sich der Hormonhaushalt wieder in geordneten Bahnen bewegt. Und um das schöne Ammenmärchen gleich aufzulösen: Nein, Stillen ist leider kein Verhütungsmittel. Nach einem Kaiserschnitt sollte die Pause eher noch längern dauern, bis die Wunde vollständig verheilt ist, mindestens ein Jahr, raten Experten.
Britische Forscher der Cambridge Universität haben Frauen sogar davor gewarnt, nach der Geburt eines Kindes sofort wieder schwanger zu werden. Laut ihrer Studie stiegen die Komplikationen während der Schwangerschaft und bei der Geburt deutlich an; Frühgeburten und untergewichtige Kinder waren häufiger. Als wahrscheinlichste Ursache nahmen die Forscher an, dass sich die Frauen nach der ersten Schwangerschaft nicht genügend erholen konnten.
Die Zeit arbeitet für die Eltern
Manche Frau fühlt sich aber schon wenige Monate nach der Geburt wieder so fit, dass sie bereit ist, gleich das nächste «Grossprojekt» in Angriff zu nehmen. Ob und wann sich eine Familie ein nächstes Kind zutraut, ist allerdings nicht nur eine Frage der körperlichen Kraft, sondern auch der beruflichen Situation und vor allem der helfenden Hände, die um einen herum parat sind und die anpacken, wenn einer der Zwerge gerade einen Anfall heftigster Weltenwut erlebt oder krank ist oder einfach bespasst werden will.
Und schliesslich arbeitet die Zeit auch für die Eltern. Kinder sind noch immer gross geworden. Die ersten Jährchen gehen schneller vorüber als den Eltern der Schlaf aus den Augen schwindet. Und dann sind sich die Geschwister Spielgefährten, Vorbild, Liebesobjekt und Streitpartner in einem. Sie gehen zusammen in die Schule, sie lernen gleichzeitig Rad fahren, sie finden dieselbe Musik cool, tauschen die Klamotten aus, holen sich gegenseitigen Rat bei den ersten amourösen Flugversuchen. Eine Schwester, mit der man von Anfang an durchs Leben stapft, ein Bruder, der von klein auf die gleichen Erinnerungen teilt: Das ist ein starkes Band, das auch später, wenn die Stürme möglicherweise etwas heftiger werden, hält.
Eine solch enge Beziehung kann aber auch wachsen bei Geschwistern, die mehrere Jahre auseinander sind. Gemeinsames Spielen in der Kindheit reichen da nicht und auch geteilte Erlebnisse garantieren nicht, dass man die Schwester im Alter immer noch als engste Vertraute erlebt. Dafür braucht es Gespräche, Interesse aneinander und den regelmässigen Austausch über das, was im Leben gerade wichtig ist; und es braucht auch mal Streit mit nachträglicher Versöhnung.
Der Altersabstand unter Geschwistern wird mit den Jahren immer unwichtiger. Als Erwachsene wird er kaum noch eine Rolle spielen. Insofern können Eltern getrost alle Klischees, Befürchtungen und fixen Vorstellungen über das ideale Timing des nächsten Kindes aus dem Kopf kippen. Es passt dann, wenn es passt. Und wenn es für die Eltern passt, passt es für die Kinder auch.