Gesellschaft / Väter
«Ich warte darauf, dass sich die Väter wehren»
Die Geschlechterforscherin Andrea Maihofer über Vollzeit arbeitende Väter und oft zu kurzfristig denkende Mütter.
zvg
Andrea Maihofer ist Professorin für Geschlechterforschung und Leiterin des Zentrums Gender Studies an der Universität Basel.
wir eltern: Frau Maihofer, Männer wollen heute engagierte Väter sein. Statistiken zeigen jedoch: Nur ein Bruchteil von ihnen arbeitet Teilzeit. Weshalb??
Andrea Maihofer: Der Wunsch, in der Familie präsenter zu sein und eine alltägliche und emotionale Bindung zu den Kindern aufzubauen, hängt nicht nur von der Arbeitszeit ab. Viele Väter pflegen, trotz Vollzeitpensum, eine viel intensivere Beziehung zu ihren Kindern als es früher ihre eigenen Väter taten.
Dennoch: 87 Prozent der Väter sind Vollzeit berufstätig. Warum so viele?
Die Arbeitskultur macht es Vätern nicht leicht, das Pensum zu reduzieren, denn es ist nach wie vor schwierig, überhaupt Teilzeitstellen zu finden. Wichtig ist aber anzuerkennen, dass praktisch alle Männer gerne 80 Prozent arbeiten würden, wenn sie könnten. Das zeigen unsere Interviews.
Eine Studie des Politgeografen Michael Hermann zeigt aber, dass Männer, sobald sie Vater werden, ihre Arbeitszeit mitnichten reduzieren wollen! Das egalitäre Rollenmuster wird nur von ganz wenigen Elternpaaren gelebt. Will eine akademische Elite Eltern ein Modell aufzwingen, das diese gar nicht wünschen?
In der Tat ist das gegenwärtig vorherrschende Modell noch jenes, bei dem Väter Vollzeit oder mit geringer Reduktion arbeiten, während die Mütter Teilzeit erwerbstätig sind. Trotzdem kümmern sich die Väter heute mehr um die Kinder, egal ob sie Vollzeit oder Teilzeit arbeiten – und zwar quer durch alle Berufsbereiche hindurch. Das hat also überhaupt nichts mit dem Ideal einer akademischen Elite zu tun!
Das egalitäre Rollenmodell – je hälftig Familien- und hälftig Erwerbsarbeit – wird real dennoch kaum gelebt.
Frauen und Männer haben nicht die Vorstellung von einem Modell 50:50! Real leben sie ein komplementäres Modell, die Frauen reduzieren das Pensum, sobald sie Mütter werden. Sie fühlen sich für die Kinderzeit zuständig. Aber wie die familiale Arbeitsteilung von den Eltern genau gehandhabt wird, erkennt man eben nicht aus den Statistiken. Heute bereitet man beispielsweise das Abendessen häufig gemeinsam zu. Es ist nicht mehr wie früher, als Papa sich direkt aus seinem Bastelkeller an den gemachten Tisch setzte. Das «ideale» Rollenmodell muss nicht 50:50 sein. Aber wünschenswert wäre, wenn es hierzulande selbstverständlicher würde, dass Männer wenigstens auf 80 Prozent reduzieren, und Frauen auch als Mütter in höheren Pensen arbeiten könnten. Dazu braucht es jedoch etwa mehr und bezahlbarere Krippenplätze und Ganztagesschulen.
Stecken hinter Vollzeit arbeitenden Vätern nicht immer auch Mütter, die punkto Einkommen wenig Verantwortung übernehmen wollen?
Frauen gehen oft davon aus, dass ihre Männer die Familie ernähren. Die Reduzierung ihres eigenen Arbeitspensums aber macht sie abhängig. Trennt sich das Paar, sind eine geringere Rente und häufig Altersarmut die Folge. Interessanterweise wollen vor allem Schweizer Mütter eine viel stärkere Arbeitszeitreduktion als Mütter in anderen europäischen Ländern.
Wie bewusst sind sich junge Frauen der Folgen kleiner Teilzeitpensen?
Sie haben dieses Szenario oft nicht im Blick und gehen davon aus, dereinst nicht zu den Geschiedenen zu gehören. Obwohl das Risiko angesichts einer Scheidungsrate von fast 50 Prozent relativ gross ist.
Inwiefern ist die Vorstellung von Männlichkeit kompatibel mit den heutigen Ansprüchen einer Vaterschaft?
Was Männlichkeit bedeutet, hat sich in Bezug auf Vaterschaft stark verändert. Zwar ziehen nach wie vor die meisten Männer ihr Selbstbewusstsein aus dem Beruf, aber ihre Zufriedenheit beruht zunehmend auch auf dem Familienleben und dem alltäglichen Zusammensein mit Kindern. Es gibt zwar eine gewisse Kluft zwischen Männern, welche die traditionelle Männlichkeit und daher auch eine traditionelle Vaterschaft leben wollen und solchen, die ein anderes Konzept von Männlichkeit und Vaterschaft haben. Aber viele Männer wollen heute nicht mehr die dominante Position in der Familie einnehmen.
Mit welchen Folgen?
Es wird immer mehr Männer geben, die nicht mehr bereit sind, den Part des Ernährers allein zu übernehmen. Ich warte nur darauf, dass die Väter sich wehren. Denn weshalb sollen sie nicht nur während der Familienzeit, sondern sogar bis zur Rente in Vollzeit arbeiten – wie sie das heute noch tun –, während die Mütter nach dem Auszug der Kinder weiterhin in Kleinstpensen bleiben? Ich bin sicher, dass es bald einen weiteren Schritt hin zu einer gleichmässigeren Verteilung der Erwerbsund der Familienarbeit geben wird.
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