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Ich schlage mein Kind ja nicht, aber…
zvg
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Viele Eltern, die ich näher kenne (mich eingeschlossen), sehen sich früher oder später mit der Option konfrontiert, Gewalt gegen ihre Kinder auszuüben. Ob es nun psychische Gewalt wie zum Beispiel Drohungen, Gaslighting und derlei mehr oder körperliche Gewalt ist – Die Möglichkeit, sich Gewalt zu bedienen, lungert in einer dunklen Ecke unserer Eltern-Kind-Beziehung herum und wartet nur auf ihren Einsatz. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, sie wartet dort womöglich auf alle Eltern, aber sicher sein kann ich mir da nicht. Zweifellos ist das Thema mit multiplen Tabus belegt und das aus gutem Grund. Denn wer Gewalt, zumal körperliche Gewalt, gegen seine eigenen Kinder einsetzt, der gilt als schlechtes Elternteil, schlägt schwächere Schutzbefohlene, verliert die Kontrolle und macht sich (zumindest in Deutschland) strafbar – um nur einige Tabuisierungsstrukturen zu benennen. Es ist richtig und wichtig, dass diese so klar wie möglich adressiert werden. Denn wenn man sich die Gründe anschaut, wegen derer Eltern nach eigenem Bekunden am meisten übergriffig werden, muss einem Angst und Bange werden: Unverschämtes oder aggressives Verhalten und Ungehorsam. So sind wir Erwachsenen natürlich nie. Und wenn wir es wären, fänden wir es völlig gerecht, wenn man uns dafür den Hintern versohlt oder ins Gesicht schlägt. Bei einer ausbleibenden Gehaltserhöhung oder rüdem Benehmen im Restaurant… schon gibt’s eine gepaddelt.
Erwachsene, die Sachen sagen wie «Hat uns ja auch nicht geschadet» oder «leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen», gehen selbstverständlich davon aus, dass ihnen niemand Gewalt antun darf. Sehr seltsam. Seltsam ist aber auch, dass für elterliche Aggression und Erziehungsfrust keine Räume da sind und jedwede Legitimation fehlt. Für Hilflosigkeit gegenüber dem selbstzerstörerischen Verhalten von Kindern, ihrer unfassbar ausdauernden ignoranten Ichbezogenheit, Beschimpfungen, Erniedrigungen und – da ist sie ja wieder – körperliche Gewalt. Was macht man, wenn sich zwei Teenager bis aus Blut raufen? Wenn die Kinder einen bis über die Belastungsgrenze fordern und es keinen Weg gibt, der Situation auszuweichen? Wer hilft einem und an wen kann man sich wenden? Ich befürchte, dass wir die Lage durch die gängige «Weil nicht sein kann, was nicht sein darf» Maxime nur noch zuspitzen. Indem wir die Überforderungszustände von Eltern skandalisieren und zu hohe Hürden für die Inanspruchnahme von Hilfe setzen, befördern wir Gewalt. Wer nicht auf Verständnis dafür hoffen kann, dass ihn die Kinder manchmal wahnsinnig machen und man am liebsten schreiend davon laufen möchte, der ist schneller versucht, anderweitig «für Ruhe zu sorgen».
Und gerade das gilt es doch zu vermeiden.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.