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Erziehung
Hilfe, mein Kind mag deins nicht!
Es kann ganz schön anstrengend sein, wenn die eigenen Kinder jene der besten Freunde nicht leiden können. Gibt es einen Weg aus diesem Dilemma?
Ja, was soll ich sagen. Ich verstand meine Kinder. Der Sohn meiner Freundin war wirklich sehr anstrengend. Einfach nur spielen interessierte ihn nicht. Lieber raste er unter lautem Gebrüll wie ein Irrer durch Haus und Garten, jagte der Katze nach, sprang in hohem Bogen «ungewollt » auf die tolle Sandburg, die meine Kinder gebaut hatten, kickte den Fussball in Nachbars Garten und stibitzte in der Küche das Zvieri, das für alle gedacht war.
Was dann jeweils folgte, war genauso Programm: Meine Freundin wies ihren Sohn liebevoll mahnend zurecht, er mimte den Zerknirschten, zeigte sich bockig, wenns ums Entschuldigen ging und rannte bereits wieder um die Ecke und der Katze nach. Meine Freundin meinte dann wahlweise, dass er halt etwas aufgeregt sei an diesem Tag, dass er schlecht geschlafen, unter- oder überzuckert, über- oder unterfordert sei.
Schwierige Kommunikation
Wie gesagt, ich verstand meine Kinder. Sie stöhnten und verdrehten die Augen, wenn Besuch meiner Freundin anstand. Trotzdem wollte ich nicht auf unsere Begegnungen verzichten. Sie waren eh schon selten genug. Weil auch ich, wie gesagt, ihren Sohn anstrengend fand. Natürlich trafen wir uns auch nur zu zweit, ohne die Kinder. Doch eben, auch mit. Weil das Leben als Eltern unter anderem geprägt ist von Zeitknappheit und oft unfassbarer Müdigkeit.
Meiner Freundin so direkt zu sagen, dass ich ihr Kind eher schwierig fand, schaffte ich jedoch nie wirklich. Das ist ja auch nicht einfach, zumal ich mit dieser Frau – in kinderlosen Zeiten – nächtelang rumgezogen bin, wir uns vor Lachen weggeschmissen und über alles gequatscht hatten. Dann über so was Profanes wie «dein Kind nervt mein Kind und was können wir tun» zu reden, ist kompliziert. Ohne dass es als Angriff, Einmischung oder Freundinnenverrat daherkommt. Zumal ich es selbst auch nicht mag, wenn sich andere in meinen Umgang mit den Kindern einmischen.
Als ich es trotzdem mal versucht habe, schubste mein Sohn den ihren gerade richtig heftig, dass der hinfiel und losbrüllte. Ich, peinlich berührt. Sie, süffisantes Lächeln. Nobody is perfect. Das Thema war dann vom Tisch.
Egoistisch sein – kommt vor
Zum Knackpunkt für meine Kinder wurden manchmal auch Zufallsbekanntschaften. Eltern etwa, die man auf Schulfesten kennen lernt, die einem an langweiligen Elternabenden Witze zuflüstern und mit denen man auf dem Spielplatz quatschend auf Parkbänken rumhängt. Dass deren Gregor vielleicht jetzt nicht die erste Wahl unserer Lisa ist – Namen geändert – kann vorkommen. Auch umgekehrt.
Dass wir Eltern uns trotzdem treffen, wahlweise mit oder ohne Kinder, ist für uns absolut legitim. Selbst wenn die Kinder meckern. Gibt es eine Möglichkeit, dass sie sich in dieser Zeit anders beschäftigen, mit einem Freund was abmachen oder eine Freundin dazu einladen, toll. Aber manchmal ist das halt nicht möglich. Dann müssen sie die Kröte schlucken, wohl oder übel. Das mag jetzt recht egoistisch klingen. Ist es vielleicht auch.
Und ja, auch egoistisch dürfte sein, dass die Eltern von Lisas einst bester Freundin gar nicht unser Fall waren und wir mit ihnen keinesfalls unsere freien Wochenendtage oder -abende verbringen wollten. Gabs da mal eine Einladung – was vorgekommen ist – waren wir «leider bereits verplant». Wir hatten keine Lust auf erzwungenen Smalltalk oder peinliche Gesprächspausen. Lisas Vorwurf, sie müsse das jeweils auch aushalten, war berechtigt. Doch ja, wir verstanden es als Elternautonomie und nahmen uns die Freiheit, eben genau das nicht zu tun. Nicht sehr demokratisch, ich weiss. Aber für uns das Privileg der Erwachsenen.
Mittlerweile sind wir alle mehrheitlich entlastet, denn die Kinder sind alt genug, um sich selbst zu beschäftigen, falls sie irgendwo nicht mitwollen. Dass wir lange Jahre unsere Sozialkontakte nach unserem Geschmack pflegten, fanden nicht nur unsere Kinder oft schwierig.
So mancher Erwachsene, immer auch Elternteil, fand unser Verhalten sehr befremdlich. «Zwangskontakte sind eine Zumutung für Kinder», meinte eine Bekannte. Auch in Kommentarspalten zu entsprechenden Artikeln schreiben Mütter und Väter: «Das würde ich meinem Kind niemals zumuten.» Oder: «Kinder sollen selbst entscheiden dürfen, mit wem sie ihre Freizeit verbringen möchten.»
Eltern im Zentrum
Selbstbestimmung ist für Kinder absolut wichtig. Die Autonomie etwa, zu entscheiden, welche Kleider sie aus dem Schrank nehmen und anziehen wollen. Ob die Haare kurz oder lang sein sollen, der Teller ausgegessen oder nicht. Solche Dinge sollten in ihrer Kompetenz liegen.
Geht es jedoch um die Autonomie der Eltern, tun diese gut daran, sie auch durchzusetzen. Das sagt Christine Neresheimer, Entwicklungspsychologin und Abteilungsleitern an der Pädagogischen Hochschule Zürich. «Verzichten die Eltern auf die Treffen mit ihren Freunden, nur weil es den Kindern nicht passt, geben sie ihnen zu viele Mitbestimmungsmöglichkeiten.» Kinder lernen so schnell, dass sie ihren Willen durchsetzen und ihre Eltern beeinflussen können und das offenbar auch dürfen, so Neresheimer weiter.
«Würden die Eltern hingegen erwarten, dass die Kinder sozial unangenehme Situationen wie ebendiese aushalten und sich mit anderen Kindern arrangieren müssen, lernen sie einerseits, dass hier die Eltern das Zentrum des Geschehens sind und nicht sie.» Und andererseits seien solche Erlebnisse Lehrstücke für das soziale und zwischenmenschliche Miteinander. Denn wir alle kennen sie, diese unzähligen Momente im Leben, in denen wir als Erwachsene ausharren müssen. Situationen, in die wir uns freiwillig nicht begeben würden. «Man lernt dabei Strategien, um auch unangenehme Dinge auszuhalten.» Solche Erfahrungen seien für die Entwicklung von Kindern wichtig.
Abgesehen davon sagt Christine Neresheimer: «Die Kinder müssen ja nicht mit den unliebsamen Kindern agieren. Sie können zeichnen, lesen, vielleicht dürfen sie gamen oder bei einem Ausflug Feuer machen helfen.» Die Besuche dauern meist auch nur ein paar Stunden. «Das ist durchaus zumutbar.»
Kinder profitieren
Eltern tun also gut daran, von ihren Kindern etwas zu verlangen. «Zeitgemässe Autorität, liebevoll, aber bestimmt», nannte es der zwischenzeitlich verstorbene, dänische Familientherapeut Jesper Juul in seinem Ratgeber «Leitwölfe sein» (2018). Er beobachte aber, dass sich immer weniger Eltern trauen, die Führung zu übernehmen, schrieb er. «Aus Angst, sich unbeliebt zu machen oder gar die Liebe der Kinder zu verlieren. Um unpopuläre Entscheidungen kommen wir als Eltern jedoch kaum herum.»
Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass es Kindern besser geht, wenn die Mutter eine beste Freundin, der Vater einen besten Freund hat, mit denen sie lachen und weinen können. Kinder profitieren von diesem Netzwerk elterlicher Freundschaften. Bei Entwicklungstests schneiden sie besser ab als Kinder, deren Eltern keine Freundschaften pflegen.
Nun, gibt es also einen Weg aus diesem Dilemma? Für uns schon. Auszuhalten hatten letztendlich aber nicht nur unsere Kinder etwas. Sondern auch wir Eltern. Nämlich, dass uns unsere Kinder ab und an echt blöd fanden.
Als Quereinsteigerin in den Journalismus schreibt Anita Zulauf erst für die «Berner Zeitung», die Migrationszeitung «Mix», nun bei «wir eltern» und als freie Journalistin bei dem Kulturmagazin «Ernst». Sie mag Porträts und Reportagen über Menschen-Leben und Themen zu Gesellschaft und Politik. Als Mutter von vier Kindern hat sie lernen müssen, dass nichts perfekt, aber vieles möglich ist.