Elternkolumne
Gut, werden die Kinder gross
Darüber lamentieren, dass Kinder so schnell gross werden? Das käme Katja Fischer De Santi nicht in den Sinn. Für sie geht es mit dem Grosswerden viel zu langsam. Weshalb die Journalistin mit Kleinkindern nicht viel anfangen kann, erklärt sie hier.
Eine Freundin hat mir einst den Tipp gegeben, ich solle, wenn der Familientornado mal wieder alles wegzufegen droht, Babyfotos meiner Kinder anschauen, das stimme versöhnlich. Hat bei mir nie funktioniert. Wenn ich an die Babyjahre meiner beiden Söhne zurückdenke, schiessen mir selten Tränen der Rührung in die Augen. Meist bin ich nur froh, dass sie nicht mehr so winzig und hilfsbedürftig sind.
Ich spreche auf das Kindchenschema recht schlecht an, ich bin da eine evolutionäre Ausnahme. Kleinkinder finde ich vor allem eines: sehr anstrengend. Welche andere Spezies setzt Nachwuchs in die Welt, der monatelang nicht gehen, jahrelang nicht anständig essen kann und sich permanent selbst in Lebensgefahr bringt?
«Ach, sie werden so schnell gross», seufzt meine Nachbarin trotzdem regelmässig und schaut verklärt auf ihre, meiner Meinung nach immer noch recht kleine Tochter. «Wir müssen sie jetzt noch geniessen, bald werden wir sie kaum noch sehen», schiebt sie jeweils gerne hinten nach.
Wirklich? Diese beiden Racker, die um mich herumschwirren wie die Motten ums Licht, die soll ich bald nicht mehr sehen? Die sollen mich nicht mehr in ihre Zimmer lassen oder höchstens noch, wenn ich ihnen die frische Wäsche in den Schrank lege?
Soll ich ehrlich sein? Ich kann es kaum erwarten. Denn meine Söhne lassen sich mit dem Grosswerden alle Zeit der Welt. Ich bin sicher, hätte ich es ihnen nicht mühsam abtrainiert, sie würden sich heute noch füttern lassen. Und der Kleine wollte so lange getragen werden, dass erst ein Bandscheibenvorfall meines Mannes seiner Gehfähigkeit Vorschub leistete.
Gut, so klein sind sie nicht mehr und sie ziehen sich mittlerweile selbstständig an, aber den Unterschied zwischen sauberen und dreckigen Kleidern konnte ich ihnen bis heute nicht schlüssig genug erklären und in ihren Schultheks züchten sie Schimmelpilze.
Nun könnte die geneigte Leserin, der geneigte Leser den Eindruck bekommen, meine Kinder seien besonders schwierige Fälle. Das Gegenteil ist der Fall. Es sind grossartige kleine Jungs. Aber sobald ich den Raum betrete, mutieren sie zu unselbstständigen Kleinkindern. Ihre Hirne geben sie an das Mutterschiff ab und kreisen wie Satelliten um mich herum.
Kleine Kinder sind nett verpackte Zeitbomben und wir Eltern schleichen auf Samtpfoten um sie herum, um das nächste Unwetter möglichst früh abzuwenden. Das ist aufregend und bei eitlem Sonnenschein auch wunderschön, aber es ist auf Dauer für Menschen wie mich kaum auszuhalten.
Das Beste an (kleinen) Kindern finde ich, dass sie sich dauernd verändern, dass fast alles nur eine Phase ist, dass man manchmal gar nicht mehr mitkommt, weil so viel passiert. Was gestern noch galt, «Ich mag Bohnen» gilt morgen schon nicht mehr «Wie kannst du nur Bohnen kochen, die hasse ich».
Sie werden grösser, ja zum Glück. Das ist doch das Ziel dieser ganzen Fortpflanzungsgeschichte, dass aus diesen hilflosen Bündeln anständige und vernunftbegabte Menschen werden. Wenn sie am Tisch sitzen und mich fragen, warum so wenig Mädchen Fussball spielen, oder voller Überzeugung erklären, dass sie niemals ein Benzinauto kaufen würden, dann denke ich bei mir, dass jetzt die gute Zeit beginnt.
Langsam beginne ich zu verstehen, was Eltern von älteren Kindern meinen, wenn sie seufzen: «Ach, sie werden so schnell gross.» Es ist keine Wehmut, es ist das Glück, die Kleinkindphase heil überlebt zu haben. Es ist Stolz, dass aus diesen spinatverschmierten Kleinkindern halbwegs selbstständige Menschen geworden sind.
Vielleicht schwingt auch etwas Überraschung mit. Wer hätte gedacht, dass das funktioniert, dass die sich so gut entwickeln, obwohl wir Eltern uns zwar redlich bemühen, dabei aber doch ständig versagen. Trotzdem werden sie gross, auch meine beiden.
Manchmal sage ich zu ihnen, dass sie dereinst grösser und stärker sein werden als ich. Dann schauen sie zu mir hoch, lachen und rufen: «Neiiiiin, das geht doch nicht, dann kannst du uns ja gar nicht mehr ins Bett tragen.» Ich denke dann, dass das der Sinn der Sache ist, und küsse sie auf ihre hübschen Köpfe, solange ich das noch darf. Sie werden so schnell gross.