Familientisch
Expertenrat: Hilfe, mein Kind isst nur Nudeln!
Von Redaktion
Bei Konflikten am Familientisch ist die Unsicherheit der Eltern oft gross. Wir haben deshalb Fachleute um ihren Rat zu häufigen Ess-Problemen gebeten.
«Ich han das nöd gern» ist Julias (6) Lieblingssatz. Pasta geht gerade noch. Aber Gemüse? Fehlanzeige. Was machen wir?
Kinder müssen sich an bittere, saure und scharfe Geschmacksnoten erst gewöhnen. Alles was süss oder neutral schmeckt, wie Pasta oder Frites, mögen sie. Sie sollen von allem probieren. Das «Schmecken-Schlecken-Spucken»-Spiel kann dabei helfen. Ein unbekanntes Gemüse wird erst nur abgeleckt, später in den Mund genommen und diskret wieder ausgespuckt, dann erst nach mehreren Versuchen im Abstand mehrerer Tage geschluckt. Ein Kind muss ein neues Gemüse bis zu 16 Mal probieren, bis es sich daran gewöhnt hat. Es mag aber sicher irgendein Gemüse, vielleicht rohe Rüebli oder Gurken, oder Früchte. Damit deckt es, bis es mehr Gemüse mag, den Nährstoffbedarf aus pflanzlichen Lebensmitteln.
Marianne Botta, Ernährungswissenschaftlerin, Raum Bern
Meine 3-jährige Tochter ist sehr dünn und ich habe Angst, dass sie zu wenig isst. Dauernd muss ich mir von anderen den Satz «Es ist noch kein Kind vor vollen Tellern verhungert» anhören. Das nervt. Zurecht?
Der Satz ist pure Weisheit. Allerdings gilt er nur für gesunde Kinder ohne Grunderkrankungen und/oder Gedeihstörungen. Hat das Kind nur eine kurze Phase eines Appetitmangels, so hat dies meist keinerlei Konsequenzen. Dauert diese Appetitlosigkeit jedoch über mehrere Wochen, sollte man den Kontakt zum Hausarzt suchen, um die Ursache zu finden, Mangelerscheinungen treten aber nicht so rasch ein.
Dr. med. Raoul Furlano, Leitender Arzt für Pädiatrische Gastroenterologie & Ernährung am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
«Mästen» ist genau der falsche Ansatz und man bewirkt damit das Gegenteil. Das Kind wehrt noch mehr ab. Wenn ein Kind nicht essen mag oder kann, muss man der Ursache auf den Grund gehen. Gibt es Vorerkrankungen, die eine Essensaufnahme verhindern? Liegen Interaktionsprobleme zwischen Mutter, Vater oder Bezugsperson und dem Kind vor? Solche Ursachen kann der Kinderarzt oder die Kinderärztin beurteilen. Generell sollten sich die Eltern unbedingt überlegen, ob der Teller des Kindes nicht zu voll ist, sodass es ihm schon beim Anblick den Appetit verschlägt.
Dr. med. Raoul Furlano, Leitender Arzt für Pädiatrische Gastroenterologie & Ernährung am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
In der Krippe unserer Tochter Maya (4) ist alles Süsse tabu. Die Erzieherinnen betonen, wie «schlecht» Zucker ist und wie «gut» Gemüse. Ist das richtig oder übertrieben?
Kinder werden durch das Wording «gesund»/«ungesund» falsch geprägt und erzogen. Denn kein Lebensmittel ist per se gesund oder ungesund, sondern es kommt auf die Menge und den sonstigen Lebensstil an. Wenn wir Kinder dazu erziehen, Lebensmittel in «gut» und «schlecht» einzuordnen, hat das eine Wirkung und kann einen gestörten Umgang mit Essen fördern. Wichtig ist die Unterstützung eines freudvollen, entspannten und genussvollen Umgang mit Essen und dem eigenen Körper.
Ronia Schiftan, Ernährungspsychologin, Bern
Tillo ist 9 Jahre alt und seit er klein ist, scheint ihn das Essen müde zu machen. Kaum steht die Mahlzeit auf dem Tisch, kann er kaum noch gerade sitzen, rutscht fast unter den Tisch, muss sich beim Essen das Kinn abstützen oder liegt auf der Bank. Was können wir tun, damit er sich mehr auf das Essen konzentriert und mal etwas ruhiger sitzt?
Möglich wäre, dass Tillo mit zu wenig Appetit zum Essen kommt oder die Mahlzeit zu lange dauert. Viele Kinder haben auch Mühe, eine gute Haltung während des Essens beizubehalten. Probieren Sie folgendes mit zwei Stofftieren: Erklären Sie Tillo, dass die kleine Maus zwischen Rücken und Lehne «durchhuschen» und die Katze (kein Garfield!) auf dem Schoss genügend Platz haben muss (Abstand zwischen Bauch und Tischplatte). Tillo darf dann auch bei jedem Essen die Haltung der Eltern kontrollieren und muss aber selber während der Mahlzeiten aufrecht sitzen.
Katrin Künzle, Anbieterin von Kinder-Knigge-Kursen, www.kuenzle-organisation.ch, Oetwil an der Limmat
Wir fahren im Sommer mit unseren Kindern (7 und 9) in ein recht vornehmes Hotel. Was sollten sie bei Tisch bis dahin draufhaben, damit wir uns nicht blamieren?
Wichtigster Punkt: Entspannt bleiben! Kinder spüren sofort, wenn die Eltern nervös werden. Erklären Sie den Kindern vorher, dass sie in den Ferien «königliche Manieren» ausprobieren werden. Am besten üben Sie zu Hause, welche drei Dinge von allen einzuhalten sind. Dies könnten zum Beispiel die Sitzhaltung, der Gebrauch der Serviette und das richtige Halten von Gabel und Messer sein. Bauen Sie ein kleines Spiel dazu ein: Jeder kann drei Punkte pro Mahlzeit gewinnen (lassen Sie die Kinder gewinnen).
Katrin Künzle, Anbieterin von Kinder-Knigge-Kursen, www.kuenzle-organisation.ch, Oetwil an der Limmat
Meine Tochter (10) schreit neuerdings ständig «nicht so viel Fett in die Pfanne, das macht dick» oder «mir keinen Schlagrahm, ich hab’ schon einen Ranzen». Sie ist doch noch viel zu jung, um über ihre Figur nachzudenken! Muss ich mir Sorgen machen? Und wie soll ich reagieren?
Ihre Tochter ist nicht die einzige. Immer mehr jüngere Kinder beschäftigen sich zu früh mit ihrer Figur und Abnehmen. Wenn Ihre Tochter den eigenen Bauch als Ranzen bezeichnet, dann wertet sie sich selbst damit ab. Es ist wichtig, dass Sie hier Gegensteuer geben. Ihre Tochter soll das Gefühl bekommen, dass sie schön ist, so wie sie ist. Sie können ihr in der Situation widersprechen und ihr zu verstehen geben, dass Sie sie wunderbar finden. Wichtig ist, aber auch bei anderen Gelegenheiten zu zeigen, dass Sie ihr Kind in seiner Einzigartigkeit wertschätzen, nicht nur in Bezug auf die Körperform. Oft drücken sich allgemeine Selbstzweifel in Form von einem negativen Körpergefühl aus. Es lohnt sich ausserdem, sich über das eigene Verhalten in Bezug auf Essen und Figur Gedanken zu machen. Lebe ich meinem Kind vor, dass verschiedene Körperformen schön sind? Versuchen Sie, keine negativen Bemerkungen über die eigene Figur und die von anderen zu machen. Sprechen Sie vor und während des Essens nicht über die Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln und Kalorien, sondern über andere Themen. Das Essen soll ein gemeinschaftliches Erlebnis in der Familie sein, ein gemeinsamer Genuss.
Dr. med. Dagmar Pauli, Chefärztin, stv. Klinikdirektorin der Kinder und Jugendpsychiatrie des Universitätsspitals Zürich
Unsere Tochter (11) ist ziemlich pummelig. Sie liebt Süssigkeiten. Weil wir nicht wollen, dass sie noch dicker wird, haben wir jetzt keine Naschereien mehr im Haus. Nun kauft sie sich von ihrem Taschengeld und – noch schlimmer – geht geradezu bei ihren Freundinnen «betteln», dass die ihr etwas von Schoggi & Co abgeben. Was sollen wir tun?
Es erscheint primär plausibel und nachvollziehbar, dass Sie keine Naschereien mehr im Haus haben wollen. Die Konsequenzen dieser rigiden Haltung, zeigen Sie eindrücklich auf: Auf Verbote reagiert der Mensch im Allgemeinen immer ablehnend und sucht Wege, diese zu umgehen. Zielführender wäre in Ihrer Situation, mit flexiblen Kontrollstrategien zu arbeiten. Dies bedeutet etwa, dass Sie ein begrenztes Angebot von Süssigkeiten zu Hause haben, dabei aber klare Abmachungen mit Ihrer Tochter treffen, wann und wie viel pro Tag konsumiert werden darf. Weiter wäre es wichtig, über Hintergründe dieser «Süssigkeitslust» zu diskutieren. Ist es nur eine Vorliebe für Süsses oder ist es ein Kompensationsverhalten, um Frust und Stress auszuhalten?
Dr. med. Josef Laimbacher, ehem. Chefarzt am Ostschweizer Kinderspital, Mitglied der Eidgenössischen Ernährungskommission und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung
Was ich mich oft frage: Wie geht man damit um, wenn dem Kind das Gekochte nicht schmeckt? Es das überhaupt nicht essen mag? Man möchte das Kind ja nicht hungrig ins Bett schicken, aber auch nicht anfangen, ihm stets eine Extrawurst zu braten.
Dieser Frage begegne ich oft. Denn darin verbergen sich gleich mehrere Problemkreise. Zum Ersten ist da – bei kleinen Kindern – der sogenannte «Mere-Exposure-Effekt», also dass man sich an unbekanntes Essen erst mal durch häufigeres Probieren gewöhnen muss. Zum Zweiten gibt es das Problem der Beziehungskonstellation. Also: Ich stelle etwas auf den Tisch, das Kind entscheidet, ob und wie viel es isst. Für viele Kinder ist das Essen die einzige Möglichkeit, mal «Nein» zu sagen. Damit daraus kein Machtkampf entsteht, ist es wichtig, Kinder – altersangemessen – in die Zubereitung und die Planung des Essens miteinzubeziehen, seine Bedürfnisse eben auch zu berücksichtigen. Und als letztes ist da noch die Sache mit der «Extrawurst»: Offenbar besteht bei den Eltern die Angst, ihr Kind zu verwöhnen oder zu einer wählerischen Prinzessin oder Prinzen heranzuziehen. Dabei wäre es doch recht einfach: Das Kind mag das Essen nicht? Okay, soll es sich halt ein Butterbrot machen oder ein Joghurt essen. Kein Problem. Klar muss aber sein: Du hast eine Alternative, aber ich werde nicht extra etwas kochen oder zubereiten. Das Kind einfach mal machen und wählen lassen, nimmt so viel Druck aus der Esssituation. Und eine entspannte Atmosphäre bei Tisch ist das Wichtigste.
Ronia Schiftan, Ernährungspsychologin, Bern
Unsere Emma ist jetzt vier Jahre alt. Bis vor Kurzem war sie eine problemlose Esserin. Auch in der Krippe, in die sie seit zwei Jahren geht. Doch seit einem Monat isst sie dort absolut gar nichts mehr. Die Betreuerinnen wissen auch keinen Rat.
Ein 4-jähriges Kind, das bis vor Kurzem problemlos gegessen hat, verfügt über ein gutes Sättigungsgefühl. Es weiss, wann es wie viel essen kann/will. Um eine individuell angepasste Antwort auf diese Frage geben zu können, würde ich in der Beratung folgende Fragen stellen: Hat sich in Emmas Kitagruppe etwas verändert? Etwa neue Bezugspersonen? Ist sie weiterhin in der Gruppe von Kindern, die sie gut kennt? Gibt es Kinder, die unruhig/unzufrieden sind am Tisch? Ist ihre Bezugsperson mit anderen/neuen Kindern beschäftigt? Um essen zu können muss man entspannt sein, sich wohlfühlen. Veränderungen in der Kita können temporär einen Einfluss auf das Wohlbefinden und Sicherheitsgefühl des Kindes haben.
Beatrice Strub, Mütter- und Väterberaterin, Region Aarau