Kitas
«Wir haben einen enormen Personalmangel in Schweizer Kitas»
Das Hauptproblem der Kitas: zu viele Fachpersonen verlassen den Beruf aus Überforderung und Frustration. Ein Gespräch mit Maximiliano Wepfer vom Kita-Dachverband über Wertschätzung, Gesetze und die Zukunft des ganzen Landes.
Herr Wepfer, wie viele Krippen gibt es eigentlich schweizweit?
Vorab: Wir sprechen nicht mehr von «Krippen», sondern korrekterweise von «Kindertagesstätten». In einem Bericht der Konferenz der kantonalen Sozialdirektor:innen von 2020 steht, dass es rund 3200 Kitas mit jeweils rund 31,4 Betreuungsplätzen gibt. Das ist aber die einzige Erhebung.
Wie sich die Zahl in den vergangenen Jahren entwickelt hat, lässt sich also nicht sagen?
Genau. Es gibt eben bislang nur diese eine Erhebung. Aber bei den kibesuisse-angeschlossenen Kitas – es gehören ja nicht alle dazu – hat die Zahl der Betreuungsplätze deutlich zugenommen. Von 24 999 im Jahr 2014 auf 38 515 im Jahr 2021.
Gibt es nun zu viele oder zu wenige Kitas? Da existieren widersprüchliche Angaben.
Das hängt von der Region ab. Ein Überangebot gibt es in den grossen Städten Zürich und Bern. Das ist nichts Schlechtes, dann haben die Eltern erstens die Wahl und zweitens sind die Betreiber nicht gezwungen, den Betreuungsschlüssel maximal auszulasten. Im Rest der Schweiz ist die Lage angespannt. Vor allem in der Romandie gibt es lange Wartelisten.
Warum steigen eigentlich so viele Fachpersonen Betreuung vor ihrem 30.Geburtstag aus dem Job aus?
Tja. Dabei ist der Beruf eigentlich beliebt. Er liegt auf Platz 4 der von Frauen ergriffenen Lehrberufe. Allein im Kanton Zürich werden jährlich 1000 Betreuungspersonen ausgebildet. Trotzdem herrscht nicht nur ein enormer Fachkräfte-, sondern insgesamt ein Personalmangel auf allen Funktionsstufen. Die Gründe: schlechte Rahmenbedingungen, lange Arbeitszeiten, ein hoher Lärmpegel, viel Verantwortung. Der Personalmangel fördert zudem die Abwärtsspirale, weil so die Verbleibenden noch stärker belastet werden. Die Austrittsquote aus dem Beruf liegt nach einer aktuellen Umfrage von kibesuisse mit 30 Prozent dreimal höher als in anderen Berufen.
Und die Lücken werden mit Praktikant:innen gefüllt? In wohl keiner anderen Branche müssen die jungen Leute zunächst ein Jahr arbeiten, bevor sie ihre Lehre antreten können.
Wir verfügen über keine Zahlen zum Einsatz von Praktikanten und Praktikantinnen unserer Mitglieder. Wir stützen aber seit Jahren die Position von «Savoirsocial», dem Dachverband für Berufsbildung im Sozialbereich, dass solche Praktika reduziert werden müssen. Stattdessen soll der direkte Einstieg nach Schulabschluss gefördert werden. Ein Vorpraktikum darf keine Vorbedingung für eine Lehrstelle sein. Auch sollten Praktikant:innen nicht in den Betreuungsschlüssel angerechnet werden. Deshalb fordert unser Verband dezidiert, dass die öffentliche Hand die Subventionierung von Kindertagesstätten so ausgestaltet, dass der Verzicht auf Praktikant:innen für die jeweilige Kita finanziell tragbar ist.
Müsste auch am Lohn der FaBes geschraubt werden?
Ja. Der Bruttoeinstiegslohn einer FaBe mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis liegt bei einem 100-Prozent-Pensum bei 56 200 Franken jährlich. Der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt beispielsweise hat inzwischen diesbezüglich vorgespurt. Die Wertschätzung der Politik für die systemrelevante familienergänzende Bildungs- und Betreuungsbranche darf nicht länger nur mit Worten, sondern muss endlich mit dem Portemonnaie erfolgen.
Was sind die Herausforderungen der Zukunft?
Die Schweiz hat dringenden Nachholbedarf in drei Punkten: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Chancengerechtigkeit für Kinder und Jugendliche, sowie Zugang zu bezahlbaren, qualitativ guten Kitas. Der aktuelle Entwurf des Bundesgesetzes über die Unterstützung der familienergänzenden Betreuung ist ein idealer Hebel, um diese Punkte zu verbessern. Über die Vorlage wird zurzeit in der ständerätlichen Bildungskommission beraten. Diese vorgesehenen 770 Millionen Franken braucht es einfach, um die Situation zu verbessern. Obwohl eine umsetzungsbereite Gesetzeslösung auf dem Tisch liegt, verzögert sich nun alles, weil die Kommission über ein alternatives Modell beraten will. Diese Verschleppungstaktik finden wir fahrlässig und gefährlich: Sie setzt den Wohlstand unseres Landes aufs Spiel.