Netzwerke
Die Macht der Mamas
Die Frage war simpel, aber sie überforderte den Kandidaten gnadenlos: «Wie viele Windeln braucht ihr Sohn am Tag?» Nicht mehr, aber auch nicht weniger wollten die Userinnen der britischen Plattform «Mumsnet» im Wahlkampf vom vergangenen April vom Tory-Kandidaten David Cameron wissen. Er blieb ihnen die Antwort schuldig, räusperte sich und wand sich, verwies schliesslich hilflos auf seine Frau, die das sicherlich wisse und holte sich damit Null Sympathiepunkte seitens der Mumsnetter. Dafür einige gnadenlose Kommentare in der englischen Tagespresse. Auch Camerons Vorschlag, alle steuerlich zu begünstigen, die heiraten, wurde von Müttern und Vätern im Netz zerrissen: «Warum um alles in der Welt fallen die jetzt zurück in alte Zeiten und kommen mit Moral und solchem Gedöns?»
Die Wahlchats im Netz waren für Europa eine Premiere und erst noch eine, die weltweit von sich reden machte: Denn zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte hatten Mütter via Internet eine so starke Lobby formiert, dass im Wahlkampf daran kein Kandidat mehr vorbei kam. Vom Premierminister bis zum Parteichef der Liberaldemokraten, alle liessen sich von den britischen Mamas in die Mangel nehmen. Sie chatteten mit ihnen über Wickelkinder und Stillbabys, aber auch über Banken und Boni, über Steuern und den Umweltschutz. Damit meldete sich ausgerechnet die Berufsgruppe lauthals zu Wort, die bisher meist schlicht übergangen wurde, weil sie ihre Arbeit ohne Entgelt und im radikal privaten Rahmen erledigt und folglich weder über wirtschaftliche noch politische Macht verfügt hatte. Klar, dass von der New York Times bis zur NZZ die «Mausmütter» minutiös beobachtet und kommentiert wurden.
Lobby im Netz
Dass eine Internetsite, die sich sonst mit Themen wie Babynamen, Empfängnis und Verhütung beschäftigt, plötzlich zum Kandidatenkarussell mutiert, mag überraschen, ist aber letztlich konsequent: Die Plattform, die vor zehn Jahren von der Sportjournalistin Justine Roberts gegründet wurde, hat seine Breitenwirkung längst unter Beweis gestellt: Wenn die Mumsnetter ein Produkt empfehlen oder ablehnen, hat das wirtschaftliche Folgen. Im August erst haben die Userinnen ein Kaufhaus an den Pranger gestellt, das wattierte Bikini-Oberteile für sechsjährige Mädchen im Angebot hatte. Der Protest zeigte sofort Wirkung: Die Kinder-BHs wurden ein paar Tage später aus dem Sortiment genommen. Und damit nicht genug: Die Netzmütter starteten daraufhin eine Kampagne mit dem Titel «Let girls be girls». Sie listen seither sämtliche Warenhäuser und Kleiderlabels auf, welche die Kampagne unterstützen und stellen diejenigen an den Pranger, welche sich um die Sexualisierung der Mädchen via Kleider futieren.
Die einstigen Hausmütterchen sind längst zu einflussreichen Mausmüttern geworden. Nicht nur in England, auch in den USA oder in Australien, ja sogar in der Schweiz, dem Entwicklungsland in Sachen Internet, formieren und organisieren sich Väter und Mütter im Netz langsam, aber erfolgreich. Sie tauschen sich auf Elternplattformen und Foren wie «Swissmom» oder «wir eltern» aus, oder organisieren via Internet-Site «es geht auch so» eine niederschwellige Kinderbetreuung.
Diskussionen anstossen
Seit Kurzem stellt «wir eltern» in seinem neuen Blog blog.wireltern.ch täglich die Fragen, die Mütter und Väter im neuen Jahrtausend umtreiben. News und Thesen aus der medizinischen und psychologischen Literatur werden darin ebenso zur Diskussion gestellt, wie der tägliche Erziehungsfrust oder die kleinen Glücksmomente im Alltag mit Kindern. Das Themenspektrum reicht von der Frage, ob Töchter die Ehe der Eltern gefährden, über Ausgangs-Tipps für Väter jenseits von Spielplatz und Muki-Turnen, bis hin zum aufrichtigen Bekenntnis: «Ich bin eine hysterische Mutter». Schauen Sie vorbei! Stossen Sie Themen an und lösen Sie Diskussionen aus! Auf dass die Plattform zum Seismografen moderner Elternschaft in der Schweiz wird.