Milchbank im Basler Kinderspital
Die besondere Bank – die Milchbank
Manch eine junge Mutter kennt das Problem: Sie «schwimmt» in ihrer Milch, obwohl das Baby ausschliesslich gestillt wird. Der Tiefkühler ist randvoll mit überschüssiger Milch, die von der Mutter abgepumpt und portionenweise eingefroren wurde. Aber jetzt ist der Vorrat endgültig komplett. Wohin also mit dem wertvollen Weiss? Einfach wegkippen?
In Basel und in den Städten Aarau, Bern, Luzern und St. Gallen besteht die Möglichkeit, überschüssige Milch einem anderen Kind zu spenden, und zwar über die Frauenmilchbank – eine Art Ammen-Institution in moderner Form. In Basel gehört die Milchbank zur Neonatologie des Universitäts- Kinderspitals beider Basel (UKBB). Leiterin Theres Fuhrer erklärt das Prinzip: «Die Spenderin durchläuft wie bei einer Blutspende ein Aufnahmeverfahren. Dazu gehören ein Gespräch mit einem Arzt über ihren Gesundheitszustand, eine Kontrolle des Blutes und der Muttermilch.»
Bevor ein Kind die gespendete Milch bekommt, wird sie pasteurisiert. Frauenmilch, wie sie genannt wird, bekommen Frühgeborene und kranke Neugeborene, die dringend Muttermilch benötigen, von ihren Müttern aber nicht selbst gestillt werden können. Denn was für das termingeborene Baby gilt, trifft auf diese Kinder erst recht zu: Muttermilch ist die optimale Nahrung für einen Säugling und jeder künstlichen Milch überlegen. Sie enthält wichtige Abwehrstoffe, welche das Immunsystem eines Säuglings stärken und vor Infektionen schützen.
Nachahmung von Frauenmilch funktioniert nicht
Trotz aller Bemühungen ist es bis heute keiner Firma gelungen, die Muttermilch in einer identischen Zusammensetzung synthetisch herzustellen. Ihre Vorteile beruhen auf Dutzenden von Inhaltsstoffen – Eiweissen, Fetten, Enzymen, Wachstumsfaktoren, Antioxydantien usw. – und deren komplizierten Wechselspiele, die für jegliche Nachahmung unerreichbar sind. Die Fettzusammensetzung der Muttermilch etwa ist einzigartig und enthält wichtige Bausteine für die Reifung des Gehirns. Man weiss, dass kleine Frühgeborene, die Muttermilch bekamen, sich psychomotorisch besser entwickeln und später weniger Augenprobleme haben als Babys, die mit künstlicher Milch ernährt wurden. «Aus diesem Grund ist gespendete Frauenmilch bei uns ausschliesslich für kranke und frühgeborene Kinder gedacht», sagt Theres Fuhrer.
Die meisten Frühchen brauchen die Spendemilch nur zum Überbrücken. Wenn eine betroffene Mutter den Schock der Frühgeburt fürs Erste überwunden hat, kommt meistens auch ihre Milch zum Fliessen, und sie kann lernen, mit der Pumpe zurechtzukommen. Später wird sie ihr Kind an der Brust stillen oder ihm ihre Milch mit der Flasche geben.
In Basel gibt es jährlich 3 bis 6 Frühchen, die ausschliesslich mit Frauenmilch «aufgebaut» werden. «Solche Kinder benötigen 6 bis 8 Liter Spendemilch, bis sie ein Körpergewicht von 1800 Gramm erreicht haben», sagt Theres Fuhrer. Jeder Arbeitsschritt der Frauenmilchbank wird, von der Spende bis zur Abgabe an den Empfänger, registriert und dokumentiert. Vor allem die Spenderin wird kritisch geprüft, bevor sie ihre Milch bei der Milchbank abgeben darf. Eine Raucherin zum Beispiel scheidet ebenso aus wie eine Frau, die regelmässig Alkohol oder Medikamente konsumiert.
Tätowierungen und Piercings sind ein Hindernis
Ausschlussgründe sind auch Impfungen, Tätowierungen oder Piercings, die kurz vor der Mutterschaft gemacht wurden. Mit einer Blutprobe wird sichergestellt, dass die Spenderin nicht mit HIV, Hepatitis C oder anderen Krankheitserregern infiziert ist, denn «es besteht rein theoretisch die Gefahr, dass solche Erreger via Muttermilch übertragen werden», sagt Theres Fuhrer. Dieses Risiko sei jedoch allein schon durch das Pasteurisieren praktisch gleich null.
Die Untersuchung gibt aber nicht nur über die Anzahl der bakteriologischen Keime Aufschluss, sondern auch, wie streng sich eine Spenderin an die Hygienevorschriften hält, ob sie beispielsweise ihr Pumpgerät nach Gebrauch jedes Mal auskocht. Hat eine stillfreudige Mutter alle Hürden geschafft, steht dem Abpumpen zugunsten anderer Kinder nichts mehr im Weg.
Kein Geld für die Milch
Die Basler Frauenmilchbank verarbeitete im Jahr 2003 73,6 Liter von 11 Spenderinnen, 2005 war es eine fast doppelt so grosse Menge: 30 Kinder bezogen 142,7 Liter, wovon ein Kind sage und schreibe 68 Liter erhielt. Finanzielle Anreize für Spenderinnen gibt es inzwischen nicht mehr. «Wir wollen verhindern, dass eine Frau des Geldes wegen spendet und möglicherweise Miss brauch betreibt», sagt Theres Fuhrer. Trotzdem hätten sich bisher problemlos Spenderinnen finden lassen.
Die Frauenmilchbank macht mit Prospekten in der Schwangerschaftsvorsorge auf sich aufmerksam, und wenn eine Mutter im Wochenbett eine Pumpe benötigt, findet sie daran angeheftet ebenfalls einen solchen Flyer.
Handel mit der köstlichen Babynahrung ist für das Basler Spital kein Thema, im Gegensatz zu privaten Milchbanken in den USA zum Beispiel, wo zwei Fingerhüte Frauenmilch rund fünf Franken kosten. Theres Fuhrer und ihre Mitarbeiterinnen wünschen sich vielmehr, dass die bestehenden Schweizer Institutionen besser untereinander kooperierten. «Man hätte dann nicht nur einen einheitlichen Standard, sondern könnte auch Milch untereinander austauschen, falls eine Milchbank einen Mangel hat», erklärt sie. Auch ein Ausbau des Angebots wäre wünschenswert.
Die Geschichte der Basler Milchbank
Im Basler Kinderspital wurde schon vor 70 Jahren überschüssige Frauenmilchgesammelt und an frühgeborene Kinder abgegeben. «Damals erfolgte weder eine Abklärung der Spenderinnen, noch wurde die gespendete Milch untersucht», erzählt die Milchbank-Leiterin Theres Fuhrer. Die Spenden wurden fast wie in einer Molkerei zusammengeschüttet – man sprach auch von «Poolmilch» –, gesiebt und in saubere Glasflaschen, sogenannte Möpse, abgefüllt. Diese wurden dann zum Pasteurisieren während 45 Minuten in ein Wasserbad gestellt, bei einer Temperatur von 63 Grad Celsius. Danach wurden die Flaschen zum Abkühlen in Eiswasser gestellt und vor dem Einfrieren mit dem Datum versehen. Spenderinnen erhielten eine Vergütung von 14 Franken, später 18 Franken pro Liter.
Im Jahr 2000 fand es der damalige Leiter der Neonatologie, Professor Per-Walter Nars, an der Zeit, das altmodische Poolmilch-System zu modernisieren. Eine Arbeitsgruppe entwickelte von Grund auf neue Standards, die seit 2003 gelten.
Frauenmilchbanken gibt es seit etwa 100 Jahren rund um die Welt, die erste wurde 1911 in Boston gegründet. 1980 propagierten WHO und UNICEF solche Institutionen mit Nachdruck, just in dieser Zeit aber kam es zu einem drastischen Einbruch: Erstens gab es zunehmend spezielle Nahrungen für Frühgeborene, zweitens fürchtete man, das HI-Virus könnte auch auf diesem Weg weiterverbreitet werden. In der Folge wurden zahlreiche Milchbanken geschlossen. In den alten Bundesländern Deutschlands beispielsweise gibt es bis heute keine einzige mehr. Auch in der Schweiz gibt es in einem wichtigen Zentrum wie Zürich keine solche Bank; die Westschweiz ist überhaupt nicht vertreten.