Gesellschaft - Späte Väter
Das Alter wird immer relativer
Von Daniela Schwegler
Männer und Frauen schieben Elternschaft in ihrer Biografie immer weiter nach hinten. Das hat nicht nur Nachteile.
Professor Wassilios E. Fthenakis ist Initiator und Mitautor der deutschen Studie «Facetten der Vaterschaft – Perspektiven einer innovativen Väterpolitik». Der 74-jährige renommierte Erziehungswissenschaftler hat Pädagogik, Anthropologie, Humangenetik, Molekulargenethik und Psychologie studiert. Er lehrte unter anderem an den Universitäten in München, Berlin, Grossbritannien und Italien, und er ist Mitglied in vielen wissenschaftlichen Organisationen.
wir eltern: Herr Professor Fthenakis, weshalb wird ein Mann mit 50plus noch Vater?
Wassilios E. Fthenakis: Ein Kind stiftet Sinn. Denn ab 50 fragt ein Mann verstärkt nach dem Sinn seines Lebens. Ausserdem fühlt er sich noch vital und stellt seine Männlichkeit unter Beweis, indem er zeigt, dass er noch zur Reproduktion der Menschheit beitragen kann.
Aber stecken da nicht meist die viel jüngere Frau und ihr Kinderwunsch dahinter?
Natürlich ist es oft auch ein Geschenk für die Partnerin.
Warum werden die alten Väter immer zahlreicher?
Der 50-jährige Vater von heute ist im Prinzip ein noch 40-jähriger. Er entspricht etwa dem 40-jährigen Mann des vorigen Jahrhunderts. Darum ist 50plus für die Geburt eines Kindes heute kein spätes Alter mehr.
Der älteste Vater in der Schweiz im Jahr 2008 war 93. Wie beurteilen Sie solch eine Geronto-Vaterschaft?
Mit 93 ein Kind auf die Welt zu bringen, entbehrt einer gewissen Verantwortung dem Kind gegenüber. Ein 93-Jähriger muss doch wissen, dass sein Verbleiben auf der Erde ausserordentlich begrenzt ist. Es ist abzusehen, dass das Kind nicht mal seine Kindheit mit ihm verbringen wird. Das Vaterwerden im Greisenalter ist nicht mehr zu bejahen aus dem Kindeswohl heraus.
Bleiben wir bei den mittelalterlichen Vätern. Was machen sie anders als die jungen?
Späte Väter sind in ihrer Entwicklung bereits weiter als die jungen Väter. Sie können dem Kind mit mehr Zeit und ökonomischen Ressourcen dienen. Die jungen Väter befassen sich nicht selten eher mehr mit sich als mit dem Kind.
Dafür weiss man nie, ob nun der Opa oder der Vater mit dem Kind unterwegs ist?
Stimmt. Mit späten Vätern gibt es drei Nachteile für das Kind. Der eine ist, dass der Vater oft sozial stigmatisiert wird. Wenn er das Kind zum Beispiel im Kindergarten abholt, können die anderen Kinder es hänseln: «Dein Opa holt dich ab!» Der zweite ist, dass leibliche Verwandte wie die Grosseltern oder Onkel und Tanten nicht im gleichen Umfang wie beim jüngeren Vater vorhanden sind. Und drittens, wenn der Vater sehr viel älter ist, kann es passieren, dass er nicht mehr präsent sein wird in der Pubertät und damit in der Phase, wo das Kind ihn umso dringender brauchen würde.
Kinder älterer Väter werden auch sehr viel früher mit dem Tod konfrontiert?
Ja, die Angst, dass er ihnen wegstirbt, ist durchaus real. Aber es hilft sehr, mit dem Kind darüber zu diskutieren, um ihm die Ängste wegzunehmen. Man kann ihm erklären, dass die Menschen viel älter werden als früher, und dass es keine Garantie gibt, dass ein jüngerer Vater länger am Leben bleibt als ein älterer.
Müssen wir uns an späte Väter gewöhnen?
Nicht nur an sie, sondern auch an späte Mütter. Es gibt zwar die biologische Grenze bei den Frauen. Aber auch die wird heute immer unwesentlicher wegen des medizinischen Fortschritts. Insgesamt hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung signifikant erhöht. Damit ist die Biografie im generativen Verhalten ganz anders geworden. Bei den Männern hat sich in den letzten 20 Jahren die Vaterschaft von der Biografie gelöst. So treffen sich die beiden Extreme: Einmal die sehr jungen Teenagerväter, die mit 18 schon ein Kind bekommen; andererseits die späten Väter, die mit 80 nochmals durchstarten. Gegen die mittelalterlichen Väter spricht da wenig.
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