Familie / Adoption
Dank Adoption endlich Eltern
Von Anita Zulauf
Homosexuelle Paare können seit Januar 2018 die Kinder ihrer Partner adoptieren. Das revidierte Recht hält diese und einige andere Erleichterungen bereit. Dennoch bewegen sich die Zahlen bei der Fremdkinder-Adoption auf einem Rekordtief. Fakten, Freude und Probleme auf den diversen Wegen zum Adoptivkind.
Alle, die ein Kind adoptieren wollen, müssen jetzt …
- mindestens 28 Jahre alt sein (vorher 35 Jahre)
- mit dem Partner, der Partnerin mindestens drei Jahre ununterbrochen einen gemeinsamen Haushalt führen, egal ob heterooder homosexuell (vorher Dauer der ehelichen Gemeinschaft fünf Jahre). Stiefkinder der Partnerin, des Partners adoptieren
- können alle, egal welcher sexuellen Ausrichtung und Zivilstand.
Als Paar ein fremdes Kind adoptieren
- können nur Ehepaare und in Ausnahmefällen Einzelpersonen.
Ist das adoptierte Kind erwachsen, kann es
- neben den Personalien der leiblichen Eltern weitere Informationen sowie die Personalien ebenfalls erwachsener Geschwister und Halbgeschwister erfahren, sofern diese zustimmen. Neu dürfen auch leibliche Eltern die Personalien ihrer volljährigen Kinder erhalten, wenn diese dem zustimmen.
An meinen Gefühlen für Gaia wird die Adoption nichts ändern, sie war vom ersten Augenblick an mein Mädchen, mein kleiner Schatz», sagt der Berner Raphael D. Das Papier sei lediglich ein Fötzel. Ein Dokument, das ihm die vollen Rechte an seiner einjährigen Tochter übertrage.
Gaia wurde von einer Leihmutter aus den USA ausgetragen. Der biologische Papa ist Raphael D.s Mann Ciccio (s. Teaser oben). Ein US-Gericht hatte auch Raphael D. als Papa anerkannt. Nur: Das nützte dem 37-Jährigen in der Schweiz nichts. Bis zum 1. Januar diesen Jahres hatte er hier keinerlei Rechte gegenüber seiner Tochter. Mit der Revision des Adoptionsrechts, das nun in Kraft getreten ist, kann Raphael D. zum rechtmässigen und gleichberechtigten Papa werden.
Dass jetzt auch gleichgeschlechtliche Paare ihre Stiefkinder adoptieren können, ist für die Betroffenen ein «Riesenschritt». Doch die Festlaune darüber hält sich aber nicht nur in homosexuellen Kreisen in Grenzen. Eigentlich, so sagen Fachleute und Politiker verschiedener Couleur, hätte man viel weiter gehen müssen, die Schweiz sei rückständig in gesellschaftspolitischen Fragen.
Fakt ist, dass mittlerweile in 15 europäischen Ländern die Ehe für alle – meist verbunden mit dem vollen Adoptionsrecht – eingeführt wurde. Auch Kanada, die USA, Teile von Südamerika, Südafrika und Neuseeland kennen diese Regelung. Diese nicht einmal vollständige Liste zeigt, dass sich die Schweiz nur in kleinen Schritten bewegt. Zumal auch Umfragen ergeben, dass sich die Bevölkerung mehrheitlich für die Ehe für alle und die Öffnung der Adoption ausspricht.
217 Stiefväter und 3 Stiefmütter haben 2016 das Kind ihrer Ehepartner adoptiert. Doch die Stiefkind-Adoption in heterosexuellen Beziehungen wurde in den letzten Jahren zunehmend kontrovers und kritisch betrachtet. «Stiefkinder werden Untersuchungen zufolge überwiegend dem neuen Partner zuliebe und nicht um der Kinder willen adoptiert», schreibt Ingeborg Schwenzer, deutsche Rechtswissenschaftlerin und emeritierte Professorin an der Universität Basel 2013 in einem Gutachten im Auftrag des Bundesamts für Justiz. Oft sei es nicht im Interesse des Kindes, jede rechtliche Bindung zum biologischen Elternteil und dessen Verwandtschaft wie Grosseltern, Tanten und Onkel und so weiter abzuschneiden. Es dürfe gefordert werden, die Stiefkind-Adoption weiter einzuschränken, wenn nicht gar abzuschaffen, so Ingeborg Schwenzer. Mit der Revision des Adoptionsrechts ist nun das Gegenteil passiert. Die Regeln für die Stiefkind-Adoption wurden gelockert. Für Schwenzer wäre als Alternative zur Adoption denkbar, dass nach einer gewissen Zeit des Zusammenlebens eine «elterliche Verantwortung» oder «Mitverantwortung» auf den Stiefelternteil übertragen werden könnte, beispielsweise durch eine Vereinbarung oder durch eine gerichtliche Zuteilung.
Erfolgreiche Medizin
Mit dem revidierten Adoptionsrecht dürften erst einmal die Zahlen der Stiefkind-Adoptionen merklich ansteigen. Zwischen 2013 und 2015 lebten in der Schweiz 683 gleichgeschlechtliche Paare mit mindestens einem Kind. Anders sieht es aus bei den Zahlen der Fremdkinder-Adoptionen, die nach wie vor heterosexuellen Ehepaaren und in Ausnahmefällen Einzelpersonen vorbehalten bleiben. Diese Zahlen sind 2016 auf ein historisches Tief gesunken. «16 einheimische Babys wurden in der Deutschschweiz vermittelt», sagt Karin Meierhofer, Geschäftsleiterin von Pflegeund Adoptivkinder Schweiz (PACH). Insgesamt waren es 123 sogenannte Fremdkinder, die von Ehepaaren in der Schweiz adoptiert wurden. 1980 waren es noch 684 Kinder. «Gründe dafür», so Meierhofer, «sind etwa die Abnahme unerwünschter Schwangerschaften, legale Abtreibungen oder die gesellschaftliche Akzeptanz minderjähriger Mütter.» Und die Reproduktionsmassnahmen, die es Paaren ermöglichen, doch noch ein eigenes Kind zu bekommen.
2015 nahmen 6055 Frauen eine medizinisch unterstützte Behandlung in Anspruch. Daraus ergaben sich 2020 Lebendgeburten. Rund jede 50. Geburt ist das Ergebnis der neuen medizinischen Möglichkeiten.
Entwurzelung verhindern
Der Hauptgrund für die rückläufigen Zahlen der Ausland-Adoptionen dürfte das Haager Übereinkommen zum Schutz der Kinder sein, dem mittlerweile über 100 Staaten beigetreten sind. Das Übereinkommen verlangt, dass für elternlose Kinder ein Platz im Herkunftsland gesucht werden muss, entweder im weiteren Kreis der Familie oder bei inländischen Adoptiveltern. Erst wenn keine Lösung gefunden werden kann, wird das Kind zur internationalen Adoption freigegeben.
Mit dem Haager Übereinkommen will man hauptsächlich das Wohl des Kindes wahren. Untersuchungen haben gezeigt, dass adoptierte Kinder aus dem Ausland durch die Entwurzelung irgendwann in ihrem Leben stärkere Identitätsprobleme aufweisen können als solche, die im eigenen Land adoptiert wurden. Zudem will man mit dem Übereinkommen Entführungen, den Verkauf und Handel mit Kindern verhindern. Etwa 75 Prozent der Adoptionen laufen heute nach dem Haager-Verfahren ab.
Der Traum vom Kind
Viele Kinder finden also jetzt im eigenen Land ein neues Zuhause. Dies auch, weil es in manchen traditionellen Herkunftsstaaten durch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung mehr Paaren möglich ist, ein Kind zu adoptieren. Zudem haben die verbesserten Verhältnisse zu einem Rückgang an ausgesetzten Kindern geführt.
Die Kinder, die trotzdem noch für eine internationale Adoption freigegeben werden, sind häufig schwer vermittelbar. Sie sind häufig schon älter, krank oder haben eine Behinderung, oder es sind Geschwisterpaare, die im eigenen Land schwieriger zu platzieren sind.
Es ist also nicht so, dass immer weniger Paare Kinder adoptieren möchten. Im Gegenteil. «Die Wartelisten sind nach wie vor lang. In der Schweiz fallen auf ein Kind rund 90 potenzielle Adoptiveltern», so Karin Meierhofer.
Melanie und Stephane Catoire stehen seit Kurzem auf einer solchen Warteliste. Trotz Reproduktionsmassnahmen hat sich der Kinderwunsch der Französin und des Belgiers nicht erfüllt (s. Seite 24).
Der Traum vom Adoptivkind ist für Landwirt Franz Felder und Nadja Bruderer, kaufmännische Angestellte aus Schüpfheim, bereits 2011 in Erfüllung gegangen (s. Teaser oben). Sie haben ihre Tochter Daria mit 13 Monaten aus Äthiopien adoptiert. Heute ist Daria 7 Jahre alt.
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