
Geburt | Väter
Dabei sein ist nicht alles
Von Karen Schärer
Auf das «wir sind schwanger» folgt die gemeinsam durchgestandene Geburt. Mancher Mann verlässt das Zimmer danach zwar glücklich, aber verstört.
Sie liegt auf dem Bett, kaum ansprechbar vor Schmerz, er steht daneben und ist enttäuscht. Zur Geburt seines ersten Kindes im vergangenen Herbst war Res Würmli top vorbereitet erschienen. Dem Geburtsvorbereitungskurs hatten er und seine Partnerin noch einen Hypnobirthingkurs angehängt. Nach den Kursen hatten die werdenden Eltern zu Hause weitergeübt und ihre Haltung zu Schmerzmitteln und medizinischer Unterstützung definiert. Der Basler wusste über Geburtspositionen, Atemtechniken und Hypnose Bescheid, war im Massieren geschult und wollte darauf achten, dass der vereinbarte Geburtsplan eingehalten würde. «Ich machte mir vorgängig Gedanken darüber, ob ich all die Rollen und Aufträge erfüllen könne, die mir die Hebammen in den Kursen aufgetragen hatten», erinnert sich Res Würmli. Im Spital versuchte er, seiner Partnerin gegenüber die Sicherheit und Unterstützung zu bieten, die er sich ausgemalt hatte. Doch vom Wehenschmerz überwältigt reagierte sie nicht auf ihn. Als würde er einem Astronauten beim Mondspaziergang von der Erde aus etwas zurufen, verhallte seine Ermutigung, richtig zu atmen, ungehört. Auch seine Anregung, die Position zu wechseln, hätte er ebenso gut an ein im Boden fest verankertes Bänkli richten können. «Kaum war die Geburt im Gang, war alles anders. Als sie plötzlich nach einem Schmerzmittel verlangte, machte mich das für einen Moment richtig muff», sagt Würmli. «Unsere Vorbereitungen wirkten auf einmal wertlos.»
Die Geburt als Paar erleben
Dass Männer mit einem Rucksack voller Aufträge ins Gebärzimmer eintreten, ist nicht die Norm. Doch ob sie mitgehen, ist für die wenigsten eine Frage. «Dies wird der krasseste Moment unseres Lebens als Paar, und ich will ihn unbedingt mit meiner Frau teilen», sagte sich Philip Gehri aus Ennetbaden vor der Geburt seines ersten Kindes. So wie er denken Studien zufolge heute rund 95 Prozent der Väter in unserem Kulturkreis. Auf das «wir sind schwanger» folgt ganz selbstverständlich die gemeinsam durchgestandene Geburt. Doch was erwartet der Mann eigentlich von sich selbst im Gebärzimmer?
«Ich sah meinen wichtigsten Beitrag darin, einfach präsent zu sein. Schliesslich mussten Hebamme und Arzt wissen, was zu tun ist», sagt Philip Gehri, der im vergangenen Oktober Vater wurde. Und der Basler Benno Steinegger, Vater eines 17-monatigen Buben und eines 2-monatigen Mädchens, sagt: «Ich sah mich im Hintergrund, wie ich meiner Frau über die Schulter hinweg zuschaue.»
Häufig kommt es anders. Die Position im Hintergrund erlebte Benno Steinegger bei der ersten Geburt als verstörend. Sein Sohn war durch die heftigen Wehen gestresst, hatte einen schlechten Puls. Die Gebärende bekam Sauerstoff und Infusionen, es wurde hektisch. «Die Hebammen warfen einander vielsagende Blicke zu. Sie massierten meine Frau, die auf allen Vieren war und redeten ihr zu. Ich stand in der Ecke und beobachtete. Niemand dachte daran, mir zu sagen, was los ist», erzählt Steinegger. Die Situation beruhigte sich schliesslich, und eine Hebamme trat ihren Dienst an, die offen mit den werdenden Eltern sprach. Als es dann ans Pressen ging, wurde Benno Steinegger vom Beobachter zum Akteur: Sein Sohn war ein Sterngucker und musste mit Kraft aus dem Bauch der Mutter herausgezogen und -geschoben werden. Die Hebamme bat den Vater, beim Pressen den Kopf seiner Frau hochzudrücken. «In dieser Situation, die ich als sehr gewaltsam empfand, war ich gern nah bei meiner Frau. Es hat mir genützt, dass ich helfen konnte», erinnert er sich.

Dienstleister und Handlanger
Streicheln, stützen, massieren. Männer sehen ihre Aufgabe häufig in kleinen Dienstleistungen. Nicht immer aber kommen die Bemühungen an. «Meine Frau reagierte bei der ersten Geburt ungehalten, als ich ihr Wasser anbot. Sie hat mir das Glas fast aus der Hand geschlagen», erinnert sich Martin Rupf aus Freienwil. «Ich bin ruhig geblieben, habe ihr gut zugeredet und mich darum bemüht, ihr das Gefühl zu vermitteln, dass wir die Geburt gemeinsam durchstehen», sagt er.
Dass es gut tun kann, eine Aufgabe zu haben, erlebte auch er. Die Geburt seines zweiten Kindes am Spital Leuggern im September 2014 leitete eine Beleghebamme. «Sie hatte eine Mischung aus Strenge und Empathie und bezog mich immer wieder ein, etwa um meiner Frau zu helfen, die Stellung zu wechseln. Sie gab mir das Gefühl, dass es mich braucht. Das war cool», sagt Rupf. Auch Res Würmli fand sich in der Situation sofort besser zurecht, als seine Partnerin wieder ansprechbarer war und sie seine Unterstützung annehmen konnte.
Wasser reichen, Kissen richten, zureden. Klar. Mehr geht für viele nicht. Manche Männer wollen keinesfalls zwischen die Beine blicken. Aus Furcht, dass der Anblick der eröffneten Scheide mit dem Köpfchen zu irritierend ist, dass die Paarerotik durch zu grell ausgeleuchtete Blicke auf die Intimsphäre nachhaltig gestört sein könnte. Andere befürchten, beim Anblick von Blut und Nadeln wegzukippen und halten sich deshalb lieber in sicherem Abstand auf. Nicht so Patrick Gusset. Der Basler nahm während der Geburt seines Sohns im vergangenen November die Rolle eines Assistenten ein. Beleghebamme Lucia Mikeler (s. Interview) hatte sich vor einiger Zeit den Oberarm gebrochen und benötigte während der Geburt Unterstützung. «Lucia und ich haben bei der Vorbesprechung festgestellt, dass es für den Flow während der Geburt förderlicher ist, wenn wir ein Team bilden, als wenn eine zusätzliche Fachkraft dazu kommt», sagt Patrick Gusset. Die Bedenken seiner Partnerin, ob er das alles verdauen und verkraften könne, schlug er in den Wind. So assistierte der Regisseur und Schauspieler beim Infusionensetzen, Unterlagenwechseln, Katheterschälchenhalten. Er putzte und legte kalte Wickel auf, überwachte Geräte und schob Maschinen herum. «Ich war froh, war unsere Hebamme beeinträchtigt, denn es war für mich sehr angenehm, etwas konkret zu machen», sagt Gusset.
Gewiss, so nahe am Geschehen zu sein ist nicht jedermanns Sache. Und nicht alle Männer berichten im Nachhinein so entspannt von der Geburt. Manche Eindrücke werden sie nicht mehr los. Schliesslich verfolgt der Mann die Geschehnisse hellwach, während die Gebärende irgendwo in einer Wolke nicht alles klar mitbekommt. Der Schock schwingt noch mit, wenn ein Mann von der «Pouletschere» erzählt, die bei seiner Frau für den Dammschnitt eingesetzt worden sei. Ein anderer wurde in seine Landdienst-Zeit zurückversetzt, wo die Kälber im Stall mit Zange und roher Kraft herausgezerrt wurden – wie nun auch sein Kind.
Ganz klar: Als einer der Protagonisten oder zumindest als Nebendarsteller bei einer Geburt dabei zu sein, hat mit dem Gucken der Lieblings-Spitalserie so wenig zu tun wie ein «Tatort» mit der «Landfrauenküche ». Wegzappen geht nicht. Wohlig-distanziertes Erschauern ob der Dramatik der Situation ist kaum möglich. Schliesslich ist es das eigene Kind, das hier geboren wird. Nichts für schwache Nerven also. Trotzdem begleiten Männer seit einigen Jahren ihre Frauen mit einer unerschütterlichen Selbstverständlichkeit nicht nur ins sanft beleuchtete Gebärzimmer, sondern weichen ihr auch dann nicht von der Seite, wenn eine Verlegung der Geburt in den Operationssaal notwendig wird.
So auch Philip Gehri. Zwar liefen ihm die Tränen über die Wangen, als er in Einweg-Operationsgewänder gekleidet auf einem Stuhl im Gang darauf wartete, in den OP eingelassen zu werden, wo sein Sohn aus dem Bauch seiner Frau geholt werden sollte. Doch nicht aus Verzweiflung oder Angst: «Der Geburtsverlauf war die ganze Nacht lang ungewiss gewesen, und ich hatte gegen den Morgen immer wieder um Fassung ringen müssen. Als sich nun die Hebammen auf dem Gang vor dem Operationssaal von mir verabschiedeten, brach ich in Tränen aus», erinnert er sich. Besorgt fragten die Hebammen, ob er beim Eingriff dabei sein wolle. Er wollte und beobachtete die kontrollierte Situation im Operationssaal fasziniert. «Endlich ging etwas. Das war spannend und erlösend zugleich.»

Traumatisierte Väter
Kommt es allerdings während einer Geburt zu einer Notsituation, hinterlässt das bei den Vätern Spuren. 2013 wies eine Studie der Oxford University nach, dass auch Männer ein Geburtstrauma erleiden können, und dass psychische Folgen nach einer schweren Geburt bei Männern keine Seltenheit sind. Gebären ist eine Extremsituation. Für die Frau sowieso, für den Mann auch. Während es für Frauen zahllose Beratungsangebote gibt, finden sich für Männer, ihre Fragen und Sorgen, ihre Ängste und Empfindungen bis heute nur wenige Anbieter. «Zwar weiss man heute, dass die Anwesenheit des Vaters für den Geburtsverlauf wie auch für die Vater-Kind-Bindung wichtig ist. Doch strukturell hat sich diese Einsicht noch nicht abgebildet », sagt Andreas Borter vom Schweizerischen Institut für Männer- und Geschlechterfragen. Gemeinsam mit männer.ch und mit Unterstützung von Gesundheitsförderung Schweiz ist Borter daran, im Rahmen des Projekts MenCare ein Portal für Anlaufstellen zu schaffen, an die Männer ihre Fragen zum Vaterwerden richten können. Lanciert wird das nationale Programm MenCare Schweiz am diesjährigen Vatertag, dem 7. Juni.
Einige Spitäler – etwa die Universitätsspitäler Zürich und Basel und das Berner Inselspital – bieten im Rahmen ihrer Geburtsvorbereitungskurse separate Blöcke an, in denen die Männer unter sich sind. Dort setzen sie sich beispielsweise mit der Frage auseinander, wo die persönlichen Grenzen liegen. «Damit beschäftigen sich Männer häufig nicht von sich aus. Sie wollen schliesslich mit ihren Partnerinnen solidarisch sein. Die Frage, ob sie dies alles überhaupt wollen, hat oft gar keinen Platz», sagt der systemische Einzel- und Paarberater Bruno Wermuth, der am Berner Inselspital Diskussionsrunden für werdende Väter leitet. Was ihm auffällt: Männer hätten häufig das Gefühl, sie müssten einfach wissen, was ihre Partnerin gerade braucht. Unsinnig, meint Wermuth. «Man muss nicht versuchen, ein Hellseher zu sein. Erfolgreich bei der Geburt ist ein Mann, wenn er ein Bedürfnis dann erfüllen kann, wenn es tatsächlich vorhanden ist.» Und das heisse eben nicht, die Partnerin zu Positionswechseln, Toilettengang, Trinken oder PDA zu drängen. Bruno Wermuth ermutigt Männer auch, während der Geburt nicht nur auf die Gebärende zu fokussieren. «Im Gegensatz zur Mutter können die Väter während der Geburt auch mit dem Kind sein. Sie können zum Bauch gehen und – wie schon während der Schwangerschaft – mit dem Kind reden. Das nimmt das Kind wahr.» Eine konkrete Aufgabe, die häufig vergessen geht also: «Väter können das Kind beim Durchstehen der Geburt begleiten.»

