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Bloss keinen Harvey!
Von Bloggerin Nathalie Sassine-Hauptmann

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Ich gebe es zu. Ich habe mich dabei ertappt, wie ich dachte «meine Tochter muss stark werden». Sie soll kein Opfer sein. Sie darf sich nicht von solchen Schweinen unterkriegen lassen. Ja, es geht um die Affäre Weinstein. Die unsägliche – obwohl doch allseits bekannte – Tatsache, dass Männer mit Macht Frauen mit weniger Macht ausnutzen (den umgekehrten Fall gibt es mit Sicherheit auch, jedoch sind Frauen mit Macht derart in der Minderheit, dass er einfach nie zur Sprache kommt, nehme ich an).
Ich ertappe mich also dabei, mir zu überlegen, was ich meiner Tochter sagen kann, damit ihr so etwas nie passiert. Sie sich wehrt. Signale aussendet, die sagen «vergiss es, leg dich nicht mit mir an, das wird nicht funktionieren». Ich wünsche mir sehr, dass aus ihr eine starke, selbstbewusste Frau wird, die alles andere als «Opfer» ausstrahlt.
Daran ist kaum etwas auszusetzen, richtig? Natürlich nicht. Ausser vielleicht.... dass sie – also Frauen – hier nicht das Problem sind! Wieso falle ich – als Frau! – darauf rein, dem Opfer die Verantwortung zu überlassen, ob ihr «so etwas» passieren wird, oder eben nicht? Oder wie Bettina Weber es letzte Woche nannte: Das «Ja-Aber-Opfer»...
Schliesslich habe ich auch einen Sohn! Statistisch gesehen ein potentieller Belästiger, ein potentieller Täter. Müsste ich mir nicht vielmehr überlegen, wie ich aus ihm einen Mann mache, der Frauen nicht als Ware, nicht als verfügbares Etwas anschaut? Natürlich sollte ich! (Habe ich auch schon, siehe «Oper-Erziehung»)
Diese Männer, die Frauen belästigen – im Tram, am Arbeitsplatz, im Ausgang – haben schliesslich auch alle Eltern, die sich das vielleicht nie überlegt haben. Meine eigene Mutter sagte immer: «Ich lasse meinen Hahn laufen, passt ihr mal auf eure Hühner auf». Angeblich ein italienisches Sprichwort. Heute noch behauptet sie, Männer seien halt so, wir Frauen müssten uns schützen und behaupten. Von den Männern könne man kaum verlangen, sich zu beherrschen, wenn eine junge Frau in aufreizender Kleidung vor ihnen tanze oder die Bürokollegin einen tiefen Ausschnitt zeige. Diese Meinung hört man oft, nicht zuletzt im Fall «Weinstein und die Schauspielerinnen...»
Es geht also wiedermal darum: Frauen sind selbst schuld. Und wieso haben sie auch so lange geschwiegen? Und überhaupt, wie ist es mit weiblicher Solidarität? Tatsache ist, dass Belästigung vor allem etwas mit dem Machtgefälle zu tun hat. Dass dieses zugunsten des gruseligen Harvey ausfällt, ist wohl jedem klar. Dass sexuelle Belästigung für Frauen oft das kleinere Übel ist, als die Karriere auf’s Spiel zu setzen, übrigens auch. Nicht nur möchte frau vergessen, was passiert ist. Aber wieso sollte ich wieder als Kellnerin arbeiten gehen, bloss weil mein Boss seine Hormone nicht im Griff hat? Soll ich etwa zweimal bestraft werden? Finde ich nicht. Also weitermachen.
Aber dieser Logik folgen die wenigsten. Die Vorwürfe, die Frauen hätten sich halt wehren oder zumindest früher mit den Anschuldigungen rausrücken sollen, sind schon längst in aller Köpfe.
Deshalb hier mein Aufruf an alle Eltern mit Söhnen: Lasst uns die Generation sein, die ihren Jungs beibringt, dass Frauen sich nicht wappnen müssen, sich nicht besonders anziehen müssen oder bitte nicht so aufreizend lächeln sollen. Sondern dass, wenn sie es tun, die Männer, die sie bald sind, das nicht als Zeichen verstehen, ihre Macht (ob physische, soziale oder finanzielle) auszunutzen. Sondern den Frauen auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Erst das macht doch aus einem Mann einen echten Mann: wenn er nicht denkt, er könne alles haben, bloss weil er ein Mann ist. Und natürlich werde ich auch meine Tochter darin bestärken, sich möglichst nichts gefallen zu lassen. Aber das Eine schliesst das andere ja nicht aus, oder?
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Nathalie Sassine-Hauptmann (1973) gehört zu den Müttern, die ihr schlechtes Gewissen wie ein Baby mit sich rumtragen. Dennoch würde sie ihren Beruf nie aufgeben. Mit ihrem Buch «Rabenmutter - die ganze Wahrheit über das Mutterwerden und Muttersein» spricht sie vielen berufstätigen Müttern aus der Seele. Denn als Unternehmerin weiss sie, dass ihre Kinder sie zwar glücklich machen, aber erst ihr Job ihr den Ausgleich garantiert, den sie braucht. Sie führt sowohl ihr Familienleben als auch ihre Firma mit viel Leidenschaft und macht sich in diesem Blog Gedanken zur Vereinbarkeit von beidem. Und sie hat keine Angst davor, sich eine Feministin zu schimpfen. Alle Blog-Beiträge von Nathalie Sassine-Hauptmann finden Sie hier.