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Schöner streiten
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Ümit Yoker
Falls man also der Ansicht sein sollte, dass chronischer Schlafmangel über Jahre hinweg nicht genügend Konfliktpotential für zwei sich eigentlich sehr liebende Menschen birgt, kann man als Eltern von Kleinkindern zum Beispiel auch noch eine Wohnung kaufen und die damit verbundenen siebentausend Entscheidungen allesamt im Zustand der Dauerübermüdung fällen. Es sind bekanntlich nicht wenige, die genau dies tun. Kinder und Nestrieb hängen ja eng zusammen.
Mein Mann und ich gehören ebenfalls dazu. Und so handelt unser letzter Streit im alten Jahr vom Unterschied zwischen Halogenlampen und LED-Leuchten. Zwar hatten wir uns einige Wochen zuvor beim Treffen mit dem Elektroinstallateur gemeinsam auf eine Beleuchtungsart geeinigt – nur nicht auf dieselbe, wie sich jetzt herausstellte. Denn während ich unsere bisherigen, kuscheliges Licht verströmenden Lampen behalten wollte, schweben meinem Mann fix in die Decke eingelassene Elemente vor – die in Portugal landesübliche Standardlösung mit Wohlfühlfaktor Operationssaal. In der Nacht darauf träume ich von Leuchtdioden und Kabeln, die sich unter dem Putz der Schlafzimmerwände wie Venen abzeichnen. Ich wache gerädert auf.
Was ist es nur mit den Südländern und ihren grell ausgeleuchteten Wohnzimmern? Wie kann man es sich an einem Ort gemütlich machen, der die Atmosphäre eines Kühlraums verbreitet? Ich frage meine portugiesische Schwiegermutter. Es sei ihr nie aufgefallen, dass Lampen unterschiedliches Licht verbreiten, sagt sie, diejenige Frau notabene, in deren Bad Handtücher in genau aufeinander abgestimmten Rosatönen hängen. Zur Veranschaulichung knipse ich in den folgenden Tagen alle möglichen Decken ab; besonders gut gefällt mir etwa die Beleuchtung im neu eröffneten Hotel der örtlichen Porzellanfabrik, deutlich weniger die auf der Toilette eines Pizza Hut-Restaurants (das ich ausschliesslich zu Recherchezwecken besucht hatte und nicht, um mit meinem Bruder ein Gericht mit dem haarsträubenden Namen Cheesy Bites Remix zu verdrücken!). Zu Hause halte ich die Bilder meinem Mann und seiner Familie unter die Nase. Sie seufzen.
Und so beginnt das neue Jahr mit einem weiteren Besuch im Baumarkt. Doch dieses Mal gelangen wir ohne jegliche Gereiztheiten und unnötige Umwege innert Kürze zu einer Lösung, die uns beiden passt. 2016 wird alles anders, denke ich zufrieden, und küsse meinen Mann. Jetzt müssen wir uns nur noch über die Fliesen einigen.
Ümit Yoker (Jahrgang 77) hätte nie gedacht, dass sie je einen grösseren Umzug wagt als einst den vom zugerischen Baar nach Zürich. Doch die Tochter eines Türken und einer Schweizerin sollte die grosse Liebe in Form eines Portugiesen finden, und nach ein paar gemeinsamen Jahren in der Schweiz und der Geburt von zwei Söhnen zieht die Familie 2014 nach Lissabon. Hier hat sich die Journalistin bisher noch keinen Augenblick fremd gefühlt. In ihrem Blog erzählt sie von Neuanfang und Alltag in der Ferne.