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Holde Klänge für Tanti und Ätti
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Ümit Yoker
Liebes Christkind,
bitte entschuldige, dass ich mich so lange nicht mehr bei dir gemeldet habe. Meine Kinder glauben ja, ich würde dich ständig anrufen, um mit dir ihre Geschenklisten zu besprechen – oder über deren Kürzung zu verhandeln, wenn sie sich wieder einmal weigern, das Gesicht zu waschen/den Heimweg anzutreten/die Zähne zu putzen/vom Blumenkohl mindestens eine Gabel voll zu probieren. Wie? Was sagt du? Ein Griff in die unterste Schublade im Schrank der Erziehungsmethoden? Du hast ja recht. Ich höre damit auf, versprochen! Kriege ich dann die Ohrringe, die ich letzte Woche am Handarbeitsmarkt entdeckt habe? Und wenn wir schon dabei sind: Kannst du meinen Schwiegereltern nicht einmal eine Bodenheizung unter den Weihnachtsbaum legen? Oder sie mit neuen Hauswänden im Minergie-Standard überraschen? Vor uns liegen ja zwei Wochen Weihnachtsferien im Norden des Landes, dort, wo die Bettlaken nachts noch steifer sind vor Kälte als in unserer ungeheizten Wohnung in Lissabon...
Aber eigentlich wollte ich mit dir über etwas anderes reden. Ist dir schon einmal aufgefallen, wie im Dezember regelmässig Klagelieder über die Verwandtschaft angestimmt werden? Warum eigentlich? Was ist an Onkeln, Tanten und Grossmüttern denn so schlimm? In der Familie meines Mannes werden zwischen Weihnachten und Neujahr jeweils sämtliche Wohnzimmer zu einer Art heimeligem Durchgangsbahnhof für Verwandte, Freunde und Nachbarn. Meistens steht man dann um einen Esstisch herum und vertreibt sich die Zeit bis zur nächsten Mahlzeit, indem man Guetzli knabbert oder von einem riesigen Schinken so viele Scheibchen abschneidet, bis man keinen Hunger mehr hat. Es wird gelacht, geredet, getrunken, der Fernseher läuft, auf dem Boden spielen die Kinder und zwischen den Legos schläft mein Mann. Meine Schwiegermutter und ihre Schwestern erzählen sich in regelmässigen Abständen heitere Episoden über unsere Kleinen, die meisten davon kennen wir alle schon, aber das macht nichts. Manchmal schleichen sich mein Mann und ich auch für ein paar Stunden davon und gehen an den Strand. Er zwängt sich dann in seinen Neoprenanzug und holt das Surfbrett vom Autodach, ich wickle meinen Schal enger um den Hals und bestelle Pfefferminztee, blicke den letzten Sonnenstrahlen nach. Irgendwann kommt uns der Cousin meines Mannes entgegen. Es ist Zeit fürs Abendessen. Weihnachten könnte von mir aus auch zwei Mal pro Jahr stattfinden.
Doch das wäre dir wohl zu anstrengend, liebes Christkind, nicht wahr? Du musst ja auch einmal ausspannen nach den Feiertagen. Frohe Weihnachten trotzdem! Und richte dir doch endlich einen Skype-Account ein, ja?
Ümit Yoker (Jahrgang 77) hätte nie gedacht, dass sie je einen grösseren Umzug wagt als einst den vom zugerischen Baar nach Zürich. Doch die Tochter eines Türken und einer Schweizerin sollte die grosse Liebe in Form eines Portugiesen finden, und nach ein paar gemeinsamen Jahren in der Schweiz und der Geburt von zwei Söhnen zieht die Familie 2014 nach Lissabon. Hier hat sich die Journalistin bisher noch keinen Augenblick fremd gefühlt. In ihrem Blog erzählt sie von Neuanfang und Alltag in der Ferne.