Monatelang konnte ich den Moment kaum erwarten: Wir vier, daheim, das neue Leben. Aber nun ist mir bei dem Gedanken doch ein wenig flau im Magen.
Die Sardinen sind noch zu klein, hat meine Schwiegermutter gesagt, also habe ich Dorade bestellt. Zur Feier des Tages sind wir ausgegangen, unter Touristen haben wir in einem hübschen Restaurant bei uns um die Ecke auf den Geburtstag meines Schwiegervaters angestossen. Bei uns um die Ecke! Hier wohnen wir jetzt also. Unser Zuhause ist umgeben von grosszügigen Plätzen und imposanten Bauten, die von der Geschichte Portugals erzählen, ein Quartier, das in jedem Lissabon-Reiseführer zu den Pflichtkapiteln gehört.
Nach dem Essen verabschieden sich die Eltern meines Mannes, sie fahren in den Norden des Landes, zurück zu sich nach Hause, nachdem sie uns die ersten Tage hier begleitet haben. Und da ist er nun: Der Moment, den ich seit Monaten herbeigesehnt habe. Wir vier, daheim, unser neues Leben. Nur, kriege ich in diesem neuen Leben überhaupt einen Fuss vor die Tür? Dann, wenn wir nicht zu viert sind, sondern zu dritt, eine Mutter und zwei kleine Buben? Erst einmal bin ich bisher mit beiden alleine gewesen, es war, als seien aus zweien plötzlich zwanzig Kinder geworden. Nach einer Dreiviertelstunde kehrte mein Mann vom Einkauf zurück; aus wie vielen Dreiviertelstunden besteht eigentlich eine Kindheit, fragte ich ihn nur.
Wie soll das alles gehen, Stillen, Kochen, Trösten, Schaukeln, Waschen, Tragen, simultan, in überlappender Reihenfolge, den ganzen Tag? Wie machen das andere Mütter mit drei, vier, fünf Kindern? (Man wächst hinein? Ja? Sicher.) Abends liege ich im Bett und analysiere den Tag, überlege mir, welche Abläufe wie zu optimieren wären. Gedanken über Abschied und Anfang, Heimat und Fremde, Nähe und Ferne haben längst keinen Platz mehr. Das Einzige, was interessiert, ist der nächste Morgen, ob in Oerlikon oder Lissabon.
Und er kommt, natürlich, der nächste Morgen, schon wenige Stunden später ist er da, einmal mehr, aber dieses Mal bin ich bereit. Ich stehe im Flur, den Kleinen auf dem Arm, den Grossen an der Hand, Treppe runter, setz dich in den Buggy, Aymar, ja, in den roten, nein, wir gehen nicht noch einmal hoch, s Giräffli kommt heute nicht mit, es wartet zu Hause auf dich, isch guet? Aymar? Aymar! Der Polizist auf der gegenüberliegenden Strassenseite schaut gelangweilt zu, wie ich mit einer Hand die sperrige Haustüre aufhalte und mit der anderen den Kinderwagen durch den schmalen Eingang manövriere, ich blicke ihn böse an. Egal. Wir sind draussen. Eine Runde im Park gleich um die Ecke, noch eine, dann sind beide Kinder eingeschlafen, schnell ins Café an der Kreuzung, einen Milchkaffee bestellen und eines dieser Prussiens, die hier so gross sind wie Handteller. Na, geht doch!
Bild
Mitdiskutieren
Dein Kommentar
Bist du einverstanden oder hast du dich über den Blog geärgert? Kommentier den Blogbeitrag in unserem Blog-Forum und teile deine Meinung mit der «wir eltern»-Forums-Community.
Bloggerin Ümit Yoker
Ümit Yoker (Jahrgang 77) hätte nie gedacht, dass sie je einen grösseren Umzug wagt als einst den vom zugerischen Baar nach Zürich. Doch die Tochter eines Türken und einer Schweizerin sollte die grosse Liebe in Form eines Portugiesen finden, und nach ein paar gemeinsamen Jahren in der Schweiz und der Geburt von zwei Söhnen zieht die Familie 2014 nach Lissabon. Hier hat sich die Journalistin bisher noch keinen Augenblick fremd gefühlt. In ihrem Blog erzählt sie von Neuanfang und Alltag in der Ferne.