Vom Recht, seinen Kindern aus jedem Ofen der Welt Schinkengifpeli hervorzuzaubern.
Dresden, habe ich kürzlich gelesen, macht sich Sorgen, dass bald die ausländischen Wissenschaftler fernbleiben. Die ostdeutsche Stadt ist angesehener Forschungsstandort, aber eben auch Geburtsstätte der Pegida-Bewegung und in den letzten Monaten ist der Alltag für Ausländer kaum leichter geworden dort. So zitiert die ZEIT einen Biotechnologen, der montagabends das Haus nicht mehr verlässt, weil dann die fremdenfeindlichen Demonstranten durch die Stadt ziehen. Und eine Doktorandin aus Indien erzählt, wie sie kürzlich im Treppenhaus angeschnauzt wurde, sie solle sich endlich anpassen, schliesslich lebe sie in Deutschland. Ihr Nachbar störte sich nach fünf Jahren problemfreien Nebeneinanderlebens auf einmal daran, dass sie indisches Essen zubereite.
Ist der Gute denn vollkommen bescheuert? Es ist schon erstaunlich, was sich manche Menschen unter «Integration» so alles vorstellen, auch in der Schweiz. Und welch Wunderwirkung man sich wohl davon erhofft, wenn eine Inderin zu Hause Sauerkraut kocht? Als sei der Migrant ein Mensch, der mit dem Eintritt in ein neues Land sämtliche bisherigen Daten in Herz und Hirn löscht, damit diese fortan frisch beschrieben werden können. Als befinde sich die Person in einem Vakuum frei jeglicher Pflichten wie Arbeiten, Kinder erziehen, Haushalt führen und habe deshalb endlos Zeit, den Lebensalltag von Grund auf neu zu gestalten, die Konstruktion von deutschen Relativsätzen zu üben und sämtlichen Vereinen im Dorf einen Besuch abzustatten. Und bevor die nächste Spätschicht im Spital ruft, liegt doch bestimmt noch ein Rehschnitzel nach Schaffhauser Art oder Munder Safranrisotto drin, oder? Zwar wäre der ganzen Familie mehr nach Biryani. Aber dann beschwert sich ja wieder der Birchermüeslipolizist.
Dabei wollen wir doch gerade als Eltern mit dem, was wir kochen, auch ein wenig eigene Kindheit mit unserem Nachwuchs teilen. Vielleicht erinnern wir uns daran, wie toll wir die Kombination von Scheibenkäse, Schinken und Ananas auf Toast einst fanden, wie unvergleichlich gut Pommes frites am Ende eines langen Nachmittags in der Badi schmeckten oder wie uns das Seeli im Kartoffelstock faszinierte, der Zopf, der im Ofen langsam aufging. Ich auf jeden Fall möchte, dass meine Kinder auch als Lissabonner wissen, wie Schinkengipfeli und Öpfelchüechli schmecken, und glücklicherweise hat mich hier bisher noch niemand angeherrscht, ich solle meinen Söhnen gefälligst überbackenen Stockfisch auftischen. Sollte die portugiesische Ausführung des Birchermüeslipolizisten aber wider Erwarten existieren, darf der Gute gerne an meiner Tür klingeln. Dem setz ich grad ein Raclette vor.
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Bloggerin Ümit Yoker
Ümit Yoker (Jahrgang 77) hätte nie gedacht, dass sie je einen grösseren Umzug wagt als einst den vom zugerischen Baar nach Zürich. Doch die Tochter eines Türken und einer Schweizerin sollte die grosse Liebe in Form eines Portugiesen finden, und nach ein paar gemeinsamen Jahren in der Schweiz und der Geburt von zwei Söhnen zieht die Familie 2014 nach Lissabon. Hier hat sich die Journalistin bisher noch keinen Augenblick fremd gefühlt. In ihrem Blog erzählt sie von Neuanfang und Alltag in der Ferne.