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Alles auf Anfang

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Auf dem Weg in ihr Pfingstlager hat es sich noch sehr familiär angefühlt. Ich und meine Grossen im Auto, Wetter schön, Fenster auf, CD hören. Philosophie für Kinder. Mit ein paar guten Kinderfragen für mein Notizbuch als Ergebnis:
«Papa, wenn ich über mein Ich nachdenke, bin ich dann die, über die ich nachdenke oder die, die nachdenkt?»
«Wenn es Gott wirklich gibt, fällt es ihm bestimmt genauso schwer an mich zu glauben wie mir an ihn.»
Am Zeltplatz angekommen weht allerdings ein anderer Wind. Emma verschwindet im Bruchteil einer Sekunde mit ihren Freunden – wie eine von diesen Comicfiguren, die nur eine Staubwolke hinterlassen. Ihre hat mir wenigstens noch gewunken. Als ich mich umdrehe, ist Emil schon kurz unterhalb einer Baumspitze:
«Nicht so hoch, da werden die Äste so dünn!»
«Ja Papa, schon gut. Fahr doch einfach nach Hause.»
Schon verstanden: Das ist die nette Variante von «Papa, verpiss dich, keiner vermisst dich!» Auf der einen Seite ist das ein tolles Gefühl, die Zwerge so selbstständig und unabhängig zu sehen. Auf der anderen Seite ist das so «Schnüf, die werden viel zu schnell gross.»
Aber zum Glück habe ich vorgesorgt. Theo, auch Gucki (Augen auf, Mund auf, Oahhhh!!!) oder Elmo (Glaubt es mir einfach, die Ähnlichkeit ist verblüffend) genannt, wartet auf mich. Und der wird nicht so schnell gross. Hab ich so verfügt. Na gut, wenigstens ist er jetzt noch nicht so gross. Für ein Wochenende gehört er ganz alleine mir und der Mama von dem Ganzen. Darauf freue ich mich schon seit Tagen und als ich Zuhause ankomme, weiss ich auch warum. Die nächsten 48 Stunden fühlen sich wie eine Zeitreise an. Plötzlich sind wir wieder ein Paar mit Kind. Das letzte Mal, dass ich mich so gefühlt habe, ist beinahe ein Jahrzehnt her.
- Wir haben BEIDE Zeit für EIN Kind. Wir messen die Zuständigkeit nicht nach dem Stresslevel («Och nöö, ich war gerade schon»), sondern eher nach Lust und Laune («Ich will ihn fütttern, der brummt immer so lustig dabei»). Das fühlt sich seltsam an: Gut, garniert mit ein paar grauen Streuseln schlechtes Gewissen.
- Niemand, wirklich NIEMAND quatscht einem dazwischen. Ok, Elmo fiept, trötet, gurrt und nengelt sich so durch den Tag. Aber er hat nicht diesen scheinbar unwiderstehlichen Drang, sich mit haltlosen Behauptungen, sinnbefreitem Palim Palim und anderen Ablenkungsmanövern in die Sätze der Eltern zu drängeln. Überhaupt: Was ist das eigentlich mit diesen Kindern?! Sobald sie sich der Sprache bemächtigt haben, versuchen sie konsequent, jedes elterliche Gespräch zu torpedieren und legen zugleich Wert darauf, dass man sich nicht trennt. Dass da ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen könnte, kommt ihnen nicht in den Sinn. Sie überlegen sich, wie gross ein Streichholz sein müsste, mit dem ein möglicher Gott die Sonne angezündet hätte. Sie erwägen ernsthaft, wie viele Tage sie hintereinander popeln müssten, um mit den Ergebnissen ihrer Bemühungen einen Fingerhut füllen zu können. Und ob man es dann nicht einen Popelhut nennen müsste. Aber DAS nicht.
- Käse zum Frühstück! Alter, stinkiger, voll krasser Käse (auch bekannt als jeder Käse mit ein bisschen Geschmack) steht auf dem Frühstückstisch und keiner bricht in gespielter Ohnmacht zusammen. Und erst die anderen Mahlzeiten: Brokkoli, Bohnen, Blumenkohl – die Proteste bei so kinderfeindlichem Essen würden ausreichen, um eine verbohrte deutsche Volkspartei endlich dazu zu bewegen, Lesben und Schwule gleich zu berechtigen.
Auch Theo merkt, dass etwas anders ist. Seine zwei Geschwister treiben ihn sonst dazu an, alles so früh wie möglich zu machen. Bewegung zum Beispiel. Das hiess mit seinen 6 Monaten bisher Aufraffen und nach vorn Fallenlassen. Also für ihn nicht wirklich zufriedenstellend. Jetzt haben wir Zeit, ein bisschen zu üben und ihn anzufeuern. Innerhalb von 2 Tagen krabbelt er fröhlich durchs Wohnzimmer. Sonntagabend schaut er mich beim Vorsingen lange an, schnauft dann zufrieden, nimmt sich selbst seinen Nuggi und schläft ein.
Herrje, ist der schnell gross geworden.

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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.