Partnerschaft
Bis das Kind uns scheidet?
Babyglück und Beziehungskrise: Wie passt das zusammen? Nur zu gut. Der Weg vom Liebespaar zum Elternpaar ist alles andere als stress- und reibungsfrei.
6 Tipps für die Partnerschaft
1 Beide Partner müssen sich an die neue Lebenssituation gewöhnen: Zeigen Sie Verständnis für den anderen und verstecken Sie Ihre eigenen Gefühle nicht.
2 Offenheit im Gespräch hilft, Missverständnisse und schwelenden Ärger zu beseitigen.
3 Wesentliche Entscheidungen (Erziehung, Arbeitsteilung, Finanzen) gemeinsam fällen. Und das Gespräch darüber immer wieder suchen. Am besten schon in der Schwangerschaft.
4 Spannen Sie Ihr Umfeld ein. Eine Portion gesunder Egoismus macht Sie nicht zu Rabeneltern.
5 Ein Kuss, eine Berührung, ein Zettel auf dem Tisch halten die Liebe frisch.
6 Keine Panik, wenn Sexualität in den Hintergrund gerückt ist. Verbringen Sie Zeit als Paar, dann kommt auch die Lust zurück.
«Wir sind überglücklich», schreiben Sonja Beretta* und ihr Mann an ihre Freunde. Zehn Tage liegt die junge Mutter nach der schweren Geburt im Spital. Zehn Tage Babyglück. Zehn Tage Schonfrist. Denn die Heimkehr mit dem Baby ins erst kürzlich bezogene Einfamilienhaus war der Anfang vom Ende der Liebesgeschichte zwischen Sonja Beretta und ihrem Mann. «Nach der Geburt unserer Tochter ging es mit unserer Beziehung bergab», sagt Beretta, inzwischen 40 Jahre alt und frisch geschieden.
Das Kind als Keil
Dabei war die Partnerschaft intakt gewesen, die Gespräche lebhaft, das Paar glücklich und voller Unternehmenslust. Gemeinsam freuten sich die Berettas auf das Abenteuer Familie. In einem Café in der Berner Altstadt erzählt Sonja Beretta gefasst von Entfremdung, Sorgen, Gesprächsversuchen. Mit ihrer Geschichte steht sie nicht alleine da. Die meisten jungen Eltern durchleben eine Beziehungskrise: «80 Prozent der Paare erleben als Eltern in der Partnerschaft Belastungen», sagt Wassilios Fthenakis. Der emeritierte Professor für Entwicklungspsychologie hat in Deutschland intensiv im Bereich Familienforschung gearbeitet. Rund die Hälfte dieser Paare gehe auseinander, die andere bleibe zusammen, sagt Fthenakis. Die Statistik zeigt: Eltern lassen sich am häufigsten scheiden, wenn ihre Kinder zwischen 5 und 14 Jahre alt sind. Doch auch Familien mit ganz kleinen Kindern gehen auseinander. So wurden im Jahr 2010 exakt 1355 Kinder im Alter von 0 bis 4 Jahren zu Scheidungskindern. Da zwischen Trennung und Scheidung Monate, wenn nicht Jahre vergehen, ist davon auszugehen, dass viele Eltern sich trennen, wenn die Kinder klein sind. Statistisch nicht erfasst sind Trennungen von Paaren, die ohne Trauschein zusammenlebten.
Die Ankunft des sehnlichst erwarteten Babys macht ein Paar zur Familie. Doch gleichzeitig kann ein Kind auch zum Keil werden, der die Eltern auseinandertreibt. So erlebte es Astrid Dussy*. Während ihre dreijährige Tochter in einem Garten unweit von Olten auf der Rutschbahn her umklettert, erzählt sie: Ihr Partner, ein geschiedener Familienvater, habe sie nach der Geburt nicht mehr an sich herangelassen und sei meist abwesend gewesen. «Im Prinzip war ich von Anfang an alleinerziehend», sagt sie. Ihrer Bitte um mehr Präsenz kam er zwar nach, liess seine Unlust, seine Aggressionen aber an ihr aus. «Rückblickend denke ich, dass er sich damals bei der Geburt seines ersten Kindes gefangen fühlte. Diese Wut kam wohl wieder hoch», sucht die 33-Jährige nach einer Erklärung. Weniger als ein Jahr nach der Geburt seiner jüngsten Tochter forderte der Mann Astrid Dussy auf, mit dem Kleinkind auszuziehen. Für Dussy ein schlimmer Schnitt: «Ich hätte lieber noch zugewartet und geschaut, wie wir uns arrangieren können. Denn ich wünschte mir nicht einfach ein Kind, sondern eine Familie.»
Arbeit, Arbeit und Arbeit
Dass ein Elternteil sich von Anfang an so komplett aus der Familie ausklinkt, wie dies Astrid Dussy erlebt hat, mag ein Extremfall sein. Doch auch für Paare, bei denen beide am selben Strick ziehen, ist die Jung-Elternphase belastend. «Jede Veränderung bedeutet Stress. Damit bedeutet auch jedes Kind Stress», sagt Familien- und Paartherapeutin Anna Flury Sorgo aus Chur. Der Stress lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: Im Bericht «Familien in der Schweiz» (2008) berechnete das Bundesamt für Statistik den Zeitaufwand für familiäre und berufliche Aufgaben und kam zum Schluss: «Am stärksten belastet sind Mütter und Väter mit Kleinkindern: Ist das jüngste Kind 0- bis 4-jährig, arbeiten Väter in Paarhaushalten 75 Stunden pro Woche und Mütter 73 Stunden.»
Bei so viel Arbeit bleibt wenig Zeit für Hobbys, Freunde, Vergnügen. Ja auch kaum Zeit zu zweit. Die Bedürfnisse der Kinder lassen sich nicht verschieben, wie ein Termin oder ein Projekt. Sie sind stets da und müssen hier und jetzt befriedigt werden. Keine einfache Voraussetzung, um in neue Aufgaben hineinzuwachsen, Probleme zu diskutieren.
Kommt dazu: Kinder machen nicht nur viel Arbeit, sondern kosten auch viel. Am meisten zu spüren bekommt eine frischgebackene Familie, dass das Geld mit dem Neuankömmling nicht etwa mehr wird, sondern weniger. Denn nur in 8 Prozent der Haushalte mit Kindern unter sechs Jahren sind beide Partner vollzeiterwerbstätig. Jede dritte Frau in der Schweiz zieht sich bis zum vierten Geburtstag ihres Kindes sogar vollkommen aus dem Erwerbsleben zurück. Der Vater wird zum Alleinernährer, stürzt sich in die Arbeit, leistet Überstunden – und trotzdem sinkt das Familien-Einkommen. Im erwähnten Bericht heisst es: «Was die Väter mehr verdienen, macht den Ausfall bei den Müttern längst nicht wett.» Gleichzeitig müssen Eltern sich einschränken, um die direkten Kinderkosten – immerhin über 800 Franken monatlich für ein Kind – aufzufangen.
Völlig von der Rolle
Ob sich ein Paar aus Überzeugung oder aus äusserem Zwang – etwa, weil Betreuungsangebote fehlen – für ein traditionelles Familienmodell entscheidet: Die neue Lebenssituation stellt die Paarbeziehung auf die Probe. Dadurch, dass sich ein Partner Vollzeit um Haus und Kind kümmert, während der andere sich verstärkt an die Arbeitsstätte bindet, verringern sich in den meisten Partnerschaften die gemeinsamen Berührungspunkte, schreiben Eva Tillmetz und Peter Themessel im Buch «Eltern werden – Partner bleiben» (2004). Dies führe in vielen Partnerschaften zu einem «zunehmend sprachlosen Nebeneinander». «Ich hatte nichts zu erzählen», sagt Sonja Beretta, die sich als Hausfrau «wie im falschen Film» fühlte. «Vor der Geburt unserer Tochter waren mein Mann und ich gleich starke und gleichberechtigte Partner», sagt sie. Als Mutter und Hausfrau habe sie die innere Balance verloren und ihr Selbstwertgefühl habe darunter gelitten, dass sie kein eigenes Geld verdiente. Hinzu kommt: Für ihre Arbeit in ihrem neuen Job als Hausfrau bekam sie nie ein Wort des Dankes. «Mein Mann hat nicht wertgeschätzt, was ich zu Hause leiste», sagt Beretta. Ein fataler Fehler, denn: Wertschätzung gilt als zentral, will ein Paar die anstrengende Phase als Jung-eltern überstehen. Im «Paarbuch für Eltern» schreibt Autorin Brigitte Wilmes-Mielenhausen: «Frauen brauchen in dieser Phase vor allem die besondere Wertschätzung ihres Partners. Sie brauchen das Gefühl, dass er die Umstellungsschwierigkeiten nachvollziehen kann und dass er ihren Einsatz für die Familie als gleichwertige Arbeit anerkennt.»
Väter dagegen finden sich häufig wider Willen in der Rolle des Alleinernährers wieder: Laut einer Studie von Pro Familia Schweiz (2011) möchten 90 Prozent der Männer ihr Arbeitspensum reduzieren. Doch nur 14 Prozent von ihnen arbeiten Teilzeit. Das heisst: Ebenso wie Frauen häufig aufgrund von gesellschaftlichen Strukturen ihre Erwerbstätigkeit reduzieren oder aufgeben, bleiben Männer aus strukturellen Gründen (Unmöglichkeit zu reduzieren, höheres Einkommen) Vollzeit erwerbstätig.
Diese Fremdbestimmung erfahren junge Eltern auch direkt durch ihr Kind, dessen Bedürfnisse nun Vorrang haben. All dies ist für Männer und Frauen schwer zu verdauen, die bis anhin ihr Leben nach dem Motto «Worauf habe ich gerade Lust? Wie kann ich mich selbstverwirklichen?» gelebt haben. Zu schaffen macht vielen Vätern und Müttern auch, dass die Sexualität – bis anhin vielleicht ein starkes Bindungselement zwischen den beiden – aus naheliegenden Gründen in den Hintergrund rückt.
Fremdbestimmt
So sind junge Eltern typischerweise übermüdet, knapp bei Kasse und leiden an einer latenten Unzufriedenheit mit der eigenen Situation. All dies ist Gift für die Partnerschaft. «Ich halte es für eine Utopie, dass man als Paar und als Eltern gleich funktionieren kann. Schliesslich ist der Übergang zur Elternschaft enorm einschneidend», sagt Iris Tschan*, verheiratete Mutter zweier kleiner Kinder aus Zürich. Sie kämpft für ihre Beziehung trotz Enttäuschungen und differierender Bedürfnisse der beiden Elternteile. Tschan bezeichnet sich selbst als Logistikzentrum wider Willen. «Alles bleibt an mir hängen. Wenn ich es nicht mache, geht es auf Kosten der Kinder», sagt sie. Die 36-Jährige, die aktuell im 40-Prozent-Pensum arbeitet, findet den familiären Einsatz ihres Mannes zu klein. Gespräche führen leider bisher noch nicht zum Ziel, denn er selbst sieht sich durchaus als involviert.
Offenbar haben Mann und Frau nicht immer die gleichen Ansichten darüber, was Familieneinsatz bedeutet und wieviel Zeit er kostet. Diese Ansichten aber gilt es irgendwie abzugleichen, wenn ein Kind kommt. Über ihre persönlichen Vorstellungen von Familie sollten werdende Mütter und Väter deshalb am besten schon während der Schwangerschaft reden, raten die Autoren des Buchs «Eltern werden – Partner bleiben». So selbstverständlich wie der Businessplan für das Unternehmen ist, so selbstverständlich sollte die Organisationsplanung für die Familie sein, finden sie.
Familie als Unternehmen
In eine ähnliche Richtung argumentiert Therapeutin Anna Flury Sorgo, wenn sie sagt: «Als Eltern steckt das Paar ein Stück weit in einer Arbeitsbeziehung. Diese Beziehung ist nüchterner als die Liebesbeziehung. Ein Elternpaar kann nicht auf Distanz gehen, wenn es gerade Streit hat. Die Arbeit muss trotzdem gemacht werden. Wer als Paar am Elternsein nicht scheitern will, muss lernen, Gefühle, welche in der Paarbeziehung laufen, vom Alltag zu trennen.» Genau darin üben sich die Tschans.
Elternschaft als Arbeitsbeziehung? Familie als Unternehmen? Die Psychologin plädiert für Gelassenheit. Denn Babys bleiben nicht immer Babys. Die Zeit des ärgsten Chaos im Haushalt, der sexuellen Abstinenz und des Unausgeschlafenseins geht vorüber. Flury Sorgo rät: «Seien Sie grosszügig mit sich und Ihrem Partner. Die Situation wird sich entspannen, wenn die Kinder älter sind.»
**Namen von der Redaktion geändert*
Interview
«Kinder kitten die Beziehung nicht»
wir eltern: Herr Professor Fthenakis, welche Voraussetzungen braucht es, damit ein Paar auch als Eltern funktionieren kann?
Prof. Wassilios Fthenakis: Das Paar muss fähig sein, stressvolle Situationen gut zu bewältigen und sein ganzes bisheriges Leben auf allen Ebenen zu reorganisieren. In der Phase des Übergangs von der Zweier- in die Dreierbeziehung können Verwandte, Eltern oder ein gut funktionierendes soziales Netz dazu beitragen, die grossen Belastungen besser aufzufangen.
Zu Beginn der Elternschaft tritt die Paarbeziehung meist in den Hintergrund. Wie lange kann das gutgehen?
In die Qualität der Partnerschaft muss ohne Pause investiert werden. Denn die Partnerschaftsqualität ist die tragende Säule des Familiensystems. Nicht das Kind. Dem Kind kommt die Funktion zu, die vorhandene Qualität der Partnerschaft zu verstärken. Kriselt die Beziehung, werden die Probleme mit dem Kind eher verstärkt, nicht abgeschwächt. Ein Kind kann normalerweise keine Beziehung retten.
Welches sind die häufigsten Probleme, die zu einer Beziehungskrise führen?
Insbesondere Männer reagieren auf die Schwangerschaft ihrer Partnerin meist mit Ängsten oder psychosomatisch. Wenn man nicht lernt, angemessen mit diesen Ängsten umzugehen, können massive Konflikte auftreten.
Diese wiederum belasten sowohl die Sexualität als auch die Kommunikation, welche durch die Ankunft eines Kindes ohnehin häufig beeinträchtigt sind. Auf diese drei Ebenen muss das Paar sensibel reagieren.
Basil Stücheli
Professor Wassilios Emmanuel Fthenakis (74)
war zuletzt an der Universität Bozen (IT) tätig. Der griechischstämmige Deutsche ist unter anderem Pädagoge und Entwicklungspsychologe und hat zahlreiche Studien im Bereich der Familienforschung durchgeführt. Besonderes Augenmerk galt dabei dem Übergang von der Partnerzur Elternschaft.
Ein Kind stellt aber auch ganz einfach den Alltag eines Paars auf den Kopf.
Vor der Schwangerschaft praktizieren die Paare meistens Beziehungen, die auf Gleichberechtigung aufbauen. Das verändert sich nach der Geburt des Kindes: Häufig etabliert sich ein traditionell organisiertes Modell der Familie. Das widerspricht den Bedürfnissen von Männern und von Frauen. Und das ist das Problem.
Für die Frau, die beruflich zurücksteckt, ist der Einschnitt aber grösser.
Die Einschnitte sind für beide gross. Wenn der Mann gezwungen wird, in die Ernährerrolle hineinzugehen, ist das genauso ein Problem für ihn wie für die Frau, wenn sie gezwungen wird, nach der Geburt im Haushalt zu bleiben. Die inneren Konflikte, die in diesem Bereich erlebt werden, sind bei beiden Elternteilen absolut gleich ausgeprägt. Sie sollten weder ignoriert noch unterschätzt werden.
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