Familie / Adoption
Adoption: Ein Kind aus Afrika
Von Veronica Bonilla Gurzeler Foto Ephraim Bieri
«I bi dänk us Afrika». Der Papa ein Entlebucher, die Mama eine Aargauerin, das Kind aus Äthiopien – zusammen sind sie eine glückliche kleine Familie.
Schon als junges Mädchen hat Nadja Bruderer (45) gesagt, wenn sie mal keine Kinder haben könne, möchte sie eines adoptieren. Damals wohnte sie noch in Baden, zehn Minuten von Zürich entfernt. Jetzt sitzt sie mit ihrem Mann Franz Felder (46) und Tochter Daria (7) am Küchentisch eines Bauernhauses im Entlebuch und erzählt, wie sie trotz nie eintreffender Schwangerschaft eine Familie geworden sind. Wie viele Unterlagen, Gesundheitschecks und Gespräche nötig waren für die Adoption und wie sie endlich, endlich das ersehnte Telefonat erhielten.
«Es war im September, ich war gerade auf der Jagd und stand unter einem grossen Ahorn», erinnert sich Franz Felder. «Sie hei üs es Töchterli» – diesen Satz sagte er Minuten später zu seiner Frau, die im Spital am Arbeiten war. «Die Freude war riesig, am Abend stiessen wir zusammen an.»
«Sie» – das ist der Verein Pro Kind in Winterthur, der bis 2016 Adoptionen aus Äthiopien begleitete. Das Paar hatte sich für ein Kind aus diesem Land entschieden, weilNadja Bruderer schon dreimal in Afrika gewesen war, unter anderem für ein Kinderhilfswerk, bei dem sie eine Patenschaft hatte. Drei Monate nach dem erlösenden Telefonat, Mitte Dezember 2011, flogen sie zusammen mit drei anderen Paaren nach Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien. Franz Felder war kaum je im Ausland gewesen, in Afrika schon gar nicht. «Armut auf Fotos zu sehen ist eines, mitten drin zu sein, die Menschen zu sehen, das schmerzt unglaublich.»
Am gleichen Abend konnten sie Daria im Kinderheim besuchen. «Wir hatten ein Foto von ihr bekommen, deshalb habe ich sie gleich erkannt und bin zu ihr hingegangen», erzählt Nadja. Daria hat mittlerweile in ihrem Zimmer ihr Fotoalbum geholt und blättert jetzt zu den entsprechenden Seiten: «Das hier bin ich!», sie zeigt auf ein einjähriges Mädchen. – «Ja, du bist sofort in meinen Arm gekommen», sagt Nadja. Daria strahlt und schmiegt sich an die Mama an. «Mich hat sie ignoriert», erinnert sich Franz. «Meine tiefe Stimme machte ihr Angst.» Jeden Tag besuchten sie Daria im Heim, während sie auf die Adoptionspapiere warteten. Am dritten Tag krabbelte Daria auf Franz Felder zu und riss ihm die Zeitung weg, die er in den Händen hielt. «Von da an war alles gut zwischen uns.»
Die Schweizer Eltern kennen die Hintergründe von Darias Adoption nicht. Wissen einzig, dass sie mit acht Monaten in einem staatlichen Kinderheim abgegeben wurde. Hunger wird eine Rolle gespielt haben, vermutendie Eltern. Daria sei Essen ganz wichtig. Das Mädchen nickt zustimmend.
Am 24. Dezember 2011, nach einer unüblich kurzen Kennenlernzeit, weil Franz zurück zu seinen Tieren musste, flog die Familie in die Schweiz. Daria weinte kein einziges Mal, hatte jedoch Durchfall. Wegen Parasiten, wie sich später herausstellte. In den zwei Monaten Mutterschaftsurlaub, die Nadja von ihrem Arbeitgeber erhielt, wuchs die Familie zusammen. Als Nadja wieder 40 Prozent arbeiten ging, schauten die Schwiegereltern, die im gleichen Haus wohnen,einen Tag zu Daria, Nadjas Eltern in Baden den zweiten. «Daria hat mit ihrem offenen Wesen alle um den Finger gewickelt», sagt Franz schmunzelnd. Nicht nur die Grosseltern, auch seine Bauern-Kollegen. Das kleine Mädchen hat jedes Mal gewinkt, wenn einer von ihnen mit dem Traktor vorbeigefahren ist. Das rührte die Herzen der bodenständigen Männer.
Zwar kommt in Schüpfheim mittlerweile jeder 12. Einwohner aus dem Ausland, in ihrer Schule ist Daria jedoch das einzige schwarze Mädchen. Es ist schon vorgekommen, dass andere Kinder sie fragten, wieso sie so dunkle Haut habe. «I bi dänk ds Afrika gebore», antwortet Daria selbstbewusst. Aber eigentlich möchte sie ebenso blonde und lange Haare haben wie alle anderen Mädchen in ihrer Klasse. Bloss, wer wünschte sich nicht manchmal, anders zu sein? Zum Beispiel Vater Franz. «Ich hätte gerne Darias Chrüseli», sagt er und es besteht kein Zweifel, dass er es ernst meint: «Die sind einfach rüdig schön!»
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