
Selbstversuch
Abpumpen, so ganz nebenbei?
Von Annika Bangerter
Was taugen Milchpumpen, ohne Schläuche und freien Händen? Ein Praxistest beim Bagger spielen, Einkäufe ins oberste Regal hieven und Fahrrad fahren.
Bbbbrrrrr, bbbbrrrrr, bbbbrrrrr: Während sich das Baby unbeeindruckt vom neuen Geräusch zeigt, hebt der Zweijährige den Kopf und kommt angerannt. Egal, was da in Mamas T-Shirt steckt, er will es auch. Weil ihn das Geräusch fasziniert. Somit wird gleich von Beginn an klar: So ganz diskret ist auch die neuste «Freestyle Hands-free»-Milchpumpe nicht, die Medela kürzlich auf den Markt gebracht hat.
Mit Akku und Auffangschalen
Seis drum, liesse sich dazu einwenden. Muttermilch wird sowieso entweder zu Hause oder – im schlechtesten Fall – auf dem WC des Arbeitgebers abgepumpt. Doch nun gibt es von Medela eine Milchpumpe, bei der die Hände frei sind: Die Auffangschalen halten dank Vakuum an den Brüsten. Und weil die Pumpe mit einem Akku anstatt mit Strom aus der Steckdose funktioniert, ist der Bewegungsradius uneingeschränkt. Somit muss frau nicht mehr auf dem Sofa sitzend warten, bis die Fläschchen endlich voll sind. Die moderne Mutter pumpt effizient, beim Putzen, Kochen oder im Büro ab, so wie es in ihr Leben passt.
Ganz leise geht es nicht
Theoretisch. Weil bei der Arbeit sowieso Still- oder Abpump-Pausen vorgeschrieben sind, findet der Realitätscheck der neuen Pumpe erstmals dort statt, wo mindestens zwei Hände immer fehlen: im alltäglichen Chaos mit Kleinkindern. «Mama, Bagger spielen!» Ich schiebe die beiden Auffangschalen der Milchpumpe ins Still-Top, starte die Pumpe und lasse mich sachte zwischen Spielzeugbagger und Holzklötzchen auf den Boden gleiten. Während die Milch zu tröpfeln beginnt, recke ich mich und angle einen gelben Kipplaster unter einem Stuhl hervor. Die befürchtete Milchschwemme bleibt aus. Das Vakuum der Auffangschalen hält tatsächlich.
Sophie Menk
Wie gelingt das Abpumpen?
Tipps von Stillberaterin Sophie Menk: Der beste Zeitpunkt, um abzupumpen, ist der Morgen. Findet sich in der Früh jedoch kein ruhiger Zeitpunkt, sei es besser, zu einem anderen Zeitpunkt und möglichst regelmässig abzupumpen. «Die Frau muss sich entspannen können», sagt Menk. Die Milch fliesst besonders gut, wenn das Baby an der anderen Brust trinkt oder gerade eben gestillt wurde. Steigt eine Mutter wieder in den Job ein, empfiehlt die Stillberaterin, etwa drei Wochen zuvor mit dem Abpumpen zu beginnen. «Das reicht, um eine Milchreserve anzulegen. Danach kann sie jeweils für den nächsten Tag abpumpen.» Was sich vor dem Wiedereinstieg sowieso lohnt: die individuelle Situation mit einer Stillberaterin zu besprechen. Drei Beratungen werden von der Krankenkasse übernommen. Stillberaterin finden via ➺ stillen.ch
Davon ermutigt, nutze ich die nächste Pump-Session und verstaue zu Hause Einkäufe. Um die Packung Reis an ihren Platz zu hieven, braucht es nicht nur etwas Balance auf den Zehenspitzen, sondern auch einen durchgestreckten Arm. Es klappt. Anfänglich sind die Bewegungen noch etwas langsam und ruckelig. Je leerer die Einkaufstasche aber ist, umso fliessender werden sie. Am Ende gibt es für alle Nahrung auf Vorrat – verstaut in den Küchenschränken oder in flüssiger Form in den beiden Auffangschalen à je 150 Milliliter Muttermilch. Diese lässt sich aus einer kleinen Öffnung einfach ins Fläschchen giessen.Die neuste Pumpe von Medela ist keine Revolution.
Andere hatten die Idee schon früher. Bekannt ist die Pumpe von Elvie, welche von der Verpackung bis zur Auffangschale auf Design setzt. Mit der Pumpe wird auch ein Lifestyle verkauft. Und wer möchte nicht eine superflexible, alles unter einen Hut bringende Mutter sein? Dies treibt Elvie auf die Spitze, indem in einem Werbespot eine Tänzerin zu sehen ist, die vor leeren Rängen auf der Bühne probt und gleichzeitig Milch abpumpt. Was auf den ersten Blick verlockend aussieht – mal so nebenbei abpumpen – untergräbt jedoch Essenzielles: Muttermilch ist per se eine Leistung. Nahrung für ein anderes Wesen zu produzieren, zehrt an den Kräften.
Auf die Mütter wird Druck gemacht
Kraft braucht auch der Wiedereinstieg ins Berufsleben. Heute nehmen Mütter tendenziell früher und mit höheren Pensen ihre Arbeit wieder auf, als dies noch vor zwanzig Jahren der Fall war. Gleichzeitig ist das Bewusstsein für das Stillen gestiegen – und damit seitens der Mütter auch der Druck, das Baby selber ernähren zu müssen. Wer sich bereits vor der Geburt dagegen entscheidet, erhält meistens kein Verständnis für den selbstbestimmten Entscheid über den eigenen Körper. Wer hingegen den Job nach einigen Monaten Babypause wieder aufnimmt und weiter stillen will, kämpft mit anderen Problemen.
Obwohl Pausen und ein Rückzugsort zum Stillen oder Abpumpen gesetzlich vorgeschrieben sind, kann nicht jede Frau darauf zurückgreifen, wie eine kurze Umfrage auf dem Spielplatz zeigt. So sitzen auch heute noch Mütter auf der Toilette des Arbeitgebers und pumpen Milch ab. Von Hand, da im Klo die Steckdose für die elektrische Pumpe fehlt.
Keine Frau muss abpumpen und arbeiten
Mit den neuen Pumpen lässt sich in der Tat zeitsparender, einfacher und nebenbei – etwa im Auto auf der Fahrt zum nächsten Kunden oder mit dem Laptop auf dem Schoss im Pausenraum – abpumpen. Allerdings ist es ein zweischneidiges Schwert. Dazu sagt Sophie Menk vom Berufsverband Schweizerischer Still- und Laktationsberaterinnen: «Unabhängig von der Technologie darf ein Arbeitgeber nicht verlangen, dass gearbeitet und gleichzeitig abgepumpt wird. Es ist unnatürlich, dies vom Körper zu verlangen.»
Die kleinen Erinnerungsaussetzer bei stillenden Müttern, auch Stilldemenz genannt, seien ein Fakt, sagt die Hebamme. Der Grund: mangelnder Schlaf und veränderter Hormonhaushalt. «Das Gehirn der Mutter ist in dieser Zeit auf das Baby ausgerichtet. Andere Dinge werden langsamer und unkonzentrierter angegangen.» Menk rät deshalb, sich zum Abpumpen an einen ruhigen und bequemen Ort zurückzuziehen, unabhängig davon, welche Pumpe verwendet wird.

Stillkampagne 2023
Ob und wie lange eine Mutter ihr Kind stillt, hängt nicht nur von ihr allein ab. Denn wenn sie in ihrem Alltag und beim Stillen Unterstützung von ihrem Umfeld erhält, geht alles deutlich einfacher. Stillen ist deshalb auch Familiensache. Wird eine Frau einige Monate nach der Geburt ihres Kindes wieder berufstätig, ist sie zudem auf das Verständnis ihrer Arbeitskollegen und ihrer Arbeitgeberin angewiesen. Denn Stillen und Abpumpen brauchen Zeit. Die Stillkampagne möchte dafür sensibilisieren und Mütter ermutigen, ihren Weg zu gehen. Am Stillfrühstück im Haus Hiltl in Zürich am 31. Mai 2023 gibts zudem die Möglichkeit zum Austausch mit Fachpersonen und anderen Müttern. Mehr Infos: ➺ stillkampagne.ch
Ob deshalb die Milch am wenigsten floss, als ich die Pumpe beim Fahrradfahren testete? Die Nächte zuvor waren streng, der Durst des Babys kaum zu bändigen. Die durchtrainierte Tänzerin aus der Werbung hätte es wohl hinbekommen, den Berg hochzuradeln und die Milch sprudeln zu lassen. Ich hingegen keuchte und liess es dabei bloss etwas tröpfeln. Immerhin: Die Pumpe von Medela liess mich nicht im Stich. Am Ziel löste ich das Vakuum der Auffangschalen: Kein Flecken zierte mein T-Shirt.
Weil selbst Sport mit der neuen Pumpe theoretisch ginge, ist es irritierend, dass etwas Grundlegendes im Babyalltag nicht oder nur mühsam möglich ist: das Kind herumtragen, solange es seinen Kopf noch nicht selber stützen kann und dabei abpumpen. Protestiert das Kind, windet sich oder schlägt gar um sich, stösst auch das beste Vakuum an seine Grenzen.
Das Handling der Medela- sowie der Elvie-Pumpe ist einfach, ebenso die Reinigung. Der Preis für die freien Hände ist allerdings bei beiden relativ hoch, wobei das Modell von Medela mit 379 Franken deutlich günstiger ist als die Elvie Doppelmilchpumpe (499 Franken). Die Medela-Pumpe hat den Nachteil, dass sie sich nicht wie jene von Elvie als Ganzes im BH verstauen lässt. Wer sich für Medela entscheidet, braucht für die Pumpe also entweder sehr grosse Hosentaschen oder einen sehr elastischen Hosenbund. Denn das Kabel zwischen den Auffangschalen und dem Akku ist zu kurz, um die Pumpe in einer Tasche oder einem Rucksack verstauen zu können. Aber immerhin: So verheddert sich nichts mit dem Spielzeugbagger.