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Lehrer an die Macht!
Von Bloggerin Nathalie Sassine-Hauptmann

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so mein welscher Chemielehrer in der Maturklasse anno 1992... Chemie war, sagen wir, nicht mein Fach und seine langweiligen Reden über Moleküle, Wasserstoff und Atome gingen mir total am Allerwertesten vorbei. Weshalb er sich – zu Recht – auuuufregte.
Mein Englischlehrer hingegen – Englisch habe ich geliebt! – war mit mir unzufrieden, weil ich es gewagt hatte, Shaekespear als faulen Hund zu bezeichnen, weil seine Protagonisten am Ende immer starben. Mr. Hofstetter was not amused... Und sagte mir das auch! Direkt. Ins Gesicht. Gleich nachdem ich diese Frechheit von mir gegeben hatte.
Auch mein heiss geliebter Primarschullehrer – der uns unsere Hausaufgaben nach Hause brachte, wenn wir krank waren – hat nicht lange gefackelt, als Jean-Marc und ich uns am ersten Schultag in die Haare kriegten. Er packte uns am Kragen, riss uns auseinander und befahl uns, sofort mit dem Sch... aufzuhören. Fertig.
Er lud keine Sozialpädagogen ein, auch keine Heilpädagogen oder sonst irgendwelche Streitschlichter. Auch musste ich mich für meine Aussage beim Englischlehrer nicht entschuldigen. Und schon gar nicht bei meinem Kumpel, dem ich eine gescheuert hatte. Verträge haben wir auch keine unterschrieben. Schliesslich waren wir Kinder. Und Kinder sind manchmal aufmüpfig, frech, laut und kloppen sich. Nicht, dass das einfach ok wäre und wir kein Wort darüber verlieren sollten. Auf keinen Fall!
Aber wo sind die Lehrer, die sofort eingreifen und die Sache beenden? Wo sind die Schulleiter, die Massnahmen ergreifen? Und mit Massnahmen meine ich keine pädagogischen, sondern den Strafmassnahmen. Ich kann ja kaum zählen, wie oft ich vor die Türe musste oder dem Hauswart Mittwochnachmittag beim Putzen helfen. Meine Eltern wurden NIE eingeschaltet. Heilpädagogen gab es nicht. Genauso wenig wie Verträge.
Heute? Eine Armee an XY-Pädagogen werden beschäftigt, Lehrer scheuen den Konflikt, das Kind gleich zu massregeln und Eltern mischen sich ein – bzw. werden dazu aufgefordert, sich einzumischen – und machen alles nur noch schlimmer.
Allan Guggenbühl gab dem «Tages Anzeiger» letzte Woche ein spannendes Interview zum Thema. Kinder bräuchten einen «Oberbandenführer», der ihnen sagt, wo es lang geht. Ein Lehrer, eine Schulleiterin, die mobbende Kinder am Kragen packt (von mir aus im übertragenen Sinn) und ihnen sagt, dass ihr Verhalten Sch... ist. Die mit den Kids nicht jedes Mal um den heissen Brei reden, weil das pädagogisch angeblich korrekt ist. Sondern Probleme lösen, für gewisse Vorstellungen von Recht und Unrecht einstehen. Dabei werden sie Fehler machen. Die macht die Schule aber jetzt schon. Denn Tatsache ist, dass oft die Gemobbten die Schule verlassen und nicht etwa die Übeltäter.
«Die Hauptsache ist, Haltung zu zeigen, Werte zu vermitteln; dafür muss man auch einmal Spannungen aushalten, Konflikte austragen und nicht gleich an Fachpersonen weiterdelegieren. In Schulen verläuft nie alles nach Programm: Das Halbchaotische ist Alltag. Es zu meistern, braucht Zeit und vor allem Herzblut. Dieses Herzblut aufzubringen, ist für Lehrer heute nicht einfach; das System erschwert es ihnen.» so Guggenbühl. Denn damit eines klar ist: Die Lehrer haben sich dieses System nicht ausgesucht. Sie müssen aber – genauso wie Schüler und Eltern – damit leben.
Deshalb gehe ich mit dem Jugendpsychologen vollkommen einig, wenn er sagt: «Man muss für sie einstehen. Früher gab es das Risiko, dass Lehrer zu selbstherrlich wurden. Manchmal verschanzten sie sich in ihrem Reich wie kleine Diktatoren und benahmen sich wie Sadisten. Das versucht man mit der Professionalisierung zu verhindern, zu Recht. Doch man ist zu weit gegangen, hat die Verantwortung weit gestreut – wir brauchten wieder ein wenig eine Lehrer-Monarchie! Auch Integrationsarbeit kann besser geleistet werden, wenn es eine Überstruktur gibt, die von der Person des Lehrers repräsentiert wird.» Was meint ihr?
Nathalie Sassine-Hauptmann (1973) gehört zu den Müttern, die ihr schlechtes Gewissen wie ein Baby mit sich rumtragen. Dennoch würde sie ihren Beruf nie aufgeben. Mit ihrem Buch «Rabenmutter - die ganze Wahrheit über das Mutterwerden und Muttersein» spricht sie vielen berufstätigen Müttern aus der Seele. Denn als Unternehmerin weiss sie, dass ihre Kinder sie zwar glücklich machen, aber erst ihr Job ihr den Ausgleich garantiert, den sie braucht. Sie führt sowohl ihr Familienleben als auch ihre Firma mit viel Leidenschaft und macht sich in diesem Blog Gedanken zur Vereinbarkeit von beidem. Und sie hat keine Angst davor, sich eine Feministin zu schimpfen. Alle Blog-Beiträge von Nathalie Sassine-Hauptmann finden Sie hier.