Einkommen
Knappes Budget, arme Kinder
Publiziert im September 2010, aktualisiert im Mai 2016
«Vor dem Kind war alles noch gut», sagt Mara Fankhauser (21), «Ich hatte einen Lohn und Martin auch.» Tim, eineinhalb Jahre alt, sei zwar gewünscht und geplant gewesen, wie die Mutter betont, doch über die finanziellen Konsequenzen, die ein Kind mit sich bringt, seien sie sich zu wenig im Klaren gewesen. 14 Wochen lang bekam Mara Fankhauser nach der Geburt noch Mutterschaftsgeld, seither lebt die junge Familie von Martins Gehalt als Mitarbeiter im technischen Dienst einer Stiftung, also von netto 3300 Franken inklusive Kinderzulage. «Eigentlich müsste ich schon lange einen Job suchen», sagt Mara Fankhauser, «aber ich will Tim nicht in die Krippe geben, ich finde, er ist noch zu jung dafür.»
Zu allem Unglück hat sich das Paar auch noch verschuldet : Hochzeit, Eheringe und Babyausstattung gingen ins Geld. « Da ich vorher in einem Babygeschäft gearbeitet hatte, wollte ich nur das Beste für unser Kind und sicher nicht das Billig-Programm », so die junge Mutter. Doch nun muss gerechnet, gespart und jeder Franken zweimal umgedreht werden. Mara Fankhauser versucht ihren Mann dazu zu bewegen, fürs Mittagessen ein Sandwich von zu Hause mitzunehmen, das Getränk im Coop zu kaufen statt am Kiosk, wo es dreimal so teuer ist. Sie selbst weiss genau, in welcher Migros-Filiale es wann doppelte Cumulus- Punkte gibt, in den Ausgang geht sie aus Spargründen kaum noch. Das knappe Budget belastet sie. «Wenn ich sehe, dass wir etwas Grösseres kaufen müssen, bekomme ich Existenzängste», sagt Mara Fankhauser. Darunter leidet auch die Beziehung : «Das Geld ist unser Hauptstreitpunkt, wir haben täglich Auseinandersetzungen deswegen.»
Geldsorgen lasten auf vielen Familien. Besonders betroffen sind Familien mit mehreren Kindern und Alleinerziehende. Laut Erhebungen des Bundesamts für Statistik leben 26,2 Prozent der Einelternfamilien und 20,7 Prozent der Haushalte mit zwei Erwachsenen und drei oder mehr Kindern knapp über der Armutsgrenze und sind deshalb besonders armutsgefährdet. Unter der Armutsgrenze lebten in der Schweiz 2014 14,1 Prozent der Einelternfamilien und 6 Prozent der Familien mit drei oder mehr Kindern. Arm ist laut den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe ( SKOS ) beispielsweise eine dreiköpfige Familie, der nach Abzug von Mietzins, Krankenkassen- und Versicherungsprämien sowie Kosten für Fremdbetreuung des Kindes monatlich nicht mehr als 1834 Franken zur Verfügung hat.
Wer über ein solch knappes Budget verfügt, kann sich keine grossen Sprünge erlauben, muss von Monat zu Monat entscheiden, ob der Zoobesuch, die Glacérunde oder der Campingurlaub überhaupt drin liegen, und jeder Zahnarztbesuch schmerzt doppelt. Bei der Stiftung Mütterhilfe in Zürich melden sich immer mehr Eltern, die mit ihrer Situation überfordert sind. «Vor allem seit Beginn der Wirtschaftskrise sind die Anfragen signifikant gestiegen», sagt Stiftungsrätin Kathrin Kuster. Häufig sind es Familien mit Migrationshintergrund, die mit einem Monatslohn unter 3000 Franken auskommen müssen, in beengenden Wohnverhältnissen leben und keine helfende Verwandtschaft haben. Aber auch Schweizerinnen und Schweizer mit schlechter oder gar keiner Ausbildung können in Not geraten.
Leben Familien in prekären finanziellen Verhältnissen, leiden auch die Kinder. Und zwar nicht nur weil die heiss ersehnte Barbie oder die Lieblingsjeans hart erspart werden muss, sondern weil Armut anstrengt, zermürbt und ausgrenzt. «Wenn man die ganze Zeit schauen muss, wie man finanziell über die Runden kommt, ist man irgendwann erschöpft und kann weniger gut auf die Kinder eingehen», sagt Lea Hasler, früher Sozialarbeiterin bei der Mütterhilfe. Auch Mara Fankhauser kann das nur bestätigen : «Wenn mich die Geldsorgen oder eine Auseinandersetzung mit Martin belasten und Tim zudem noch trötzelt oder bockt, werde ich schnell ungeduldig und fasse ihn schon mal etwas grober an, natürlich ohne ihm weh zu tun.» Familien sollten deshalb viel besser unterstützt werden, sodass niemand mehr unter Geldknappheit leidet, fordert Lea Hasler : «Nötig sind höhere Kinderzulagen, bezahlbarer Wohnraum für Familien und Existenz sichernde Löhne.» Oder eben ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle.