Familienleben / Zeitgeist
Wehe, du bist nicht glücklich
Nie war so viel offensive Happiness wie heute. Warum der Druck happy zu sein nur stresst.
Es ist, als habe man das komplette Gesicht in Zuckerwatte gesteckt. Rundum alles süss, alles rosig, alles flaumig. Denn wer nicht unangenehm auffallen möchte, tut derzeit gut daran, in einem fluffigen Kokon aus Optimismus, positivem Denken, Krisen, die Chancen sind, Edelstein-Momenten und achtsamem Genuss zu leben. Oder doch wenigstens so zu tun als ob. Merke: Glück ist Pflicht. Steuern durch einen Umweg über Panama hinterziehen? Scheinbar okay. Schlecht drauf sein? Geht gar nicht. Schliesslich heisst die Devise: Lächle, umarme den Tag und garantiere gute Stimmung, so weit das Auge reicht.
Mein Auge reicht bis zum Frühstückstisch. Derzeit besetzt mit einem morgenmuffeligen Mann, der seine Augenbrauen mal wieder stutzen sollte, einem Teenie-Töchterchen in einem «my life is shit»-T-Shirt, das mit dem Messer Butter ins Marmeladenglas schmiert. Schnittkäse, der sich an den Rändern nach oben biegt.
Glückskeksrezepte? Gibts. Hier zum Beispiel:
- 150 Gramm Weizenmehl
- 50 g gemahlene Mandeln
- 3 grosse Eier, nur das Eiweiss
- 3 Tropfen Bittermandelöl
- 1 Prise Salz
- 250 g Zucker
- 100 g weiche Butter
Alles zu einem Teig verkneten.
Ofen auf 175 Grad vorheizen.
Jetzt kommts: Kleine Botschaftszettel schreiben mit irgendwas drauf, was einem zum Glück so einfällt. Oder anderen Leuten eingefallen ist.
Dann: Backpapier auf ein Backblech legen, je einen Esslöffel Teig im Abstand von 10 Zentimetern drauf platzieren. Kekse 15 Minuten backen.
Und jetzt: Beeilung! Zettel in die noch warmen Kekse legen, falten. Das Ding soll etwa aussehen wie eine Ravioli. Danach Glückskeksravioli über den Rand eines Glases knicken, sodass die Enden nach Unten zeigen. Auskühlen lassen. Fertig.
Viel Glück beim Backen.
Und mir, der Mutter. Ungeschminkt auch keine Freude. Ja, herrgottnochmal, wie soll man denn mit diesen Zutaten Familienglück hinwürgen? Dieses angesagte innere Leuchten. Diese milde Seligkeit. Frohen Frieden und Funkeln? Wenigstens etwas in der Art. So jedenfalls sind wir trendmässig verkehrt, ein familiales Mängelexemplar.
Schliesslich lernen Eltern vom Tag der Zeugung an, dass da jetzt «das Wunder des Lebens beginnt», «das grösste Glück auf Erden ein Kind ist». Und auch eine Mutter, die nachts um 1 Uhr, um viertel vor 3 und morgens um 5 Uhr 30 gestillt hat, jede einzelne Minute mit dem Baby geniessen soll. Wie in der Werbung, wo strahlende Familien mit Golden Retriever im Garten tollen, Schokolade unfallfrei auf weissen Sofas essen, weder Rechnungen noch Magen-Darm-Grippe bekommen, Picknicks ohne Ameisen machen und Kleinkinder Windeln tragen, die immer dicht sind. Das ist doch Familienglück, wie es sein sollte.
Warum nur ist unseres so blass um die Nase? Machen wir was falsch? Oder ist etwas falsch an Dauer-Lächlern und Grinse-Gurus? Hat womöglich Fontane recht mit seinem Satz: «Das Glück liegt in zweierlei: darin, dass man ganz da steht, wo man hingehört, und zum Zweiten und besten in einem behaglichen Abwickeln des ganz Alltäglichen, also darin, dass man ausgeschlafen hat, und dass einen die neuen Stiefel nicht drücken»? Aber ist das nicht zu anspruchslos? Oder klug? Meine Suche nach Antworten und dem Glück beginnt.
Bei täglich 1,5 neuen Studien zum Thema Glück, die in der Rotterdamer «World Data Base of Happiness» landen, wird sich doch wohl was finden lassen! Gerade in der Schweiz, dem laut Uno-«World Happiness Report 2016» nach Dänemark zweitglücklichsten Land weltweit.
Vielleicht am besten mal mit Büchern anfangen: 11 100 000 Treffer spuckt Google bei «Bücher über Glück» aus. Amazon offeriert 31 848 Lektüreoptionen zum gleichen Thema. Jedes zehnte verkaufte Buch siedelt sich im Dunstkreis an: Sinnsuche und Selbstoptimierung aller Art. 80 Prozent davon erworben von Frauen. Unter den Top Ten der Selbsthilfe-Bücher 2015 (Quelle: Orell Füssli-Thalia): «Willst du normal sein oder glücklich?», «Du bist unsterblich» und «Übrigens, das Leben ist schön».
Das Geschäft mit dem Frohsinn brummt. Schliesslich ist fatalistisches Achselzucken im Diesseits bei festem Glauben ans Paradies im Jenseits zum Ladenhüter geworden. Stattdessen gilt «Jeder ist seines Glückes Schmied». Kein Ratgeber-Buch mit Hufeisen oder Klee drauf, kein «Pretty Happy», «Eat yourself happy» und «Happy buying», das nicht irgendwie die gleiche Botschaft verkündete: Optimiere dein Leben. Dein Kind. Deine Oberschenkel. Seele, Sex und Stirn. Wozu gibt es schliesslich Schrittzähler-Apps, Chia-Samen, Frühenglisch, Botox, Wellness in der Steiermark und Orgasmic Yoga mit integrierter Butterfly Meditation?
Andersherum: Selbst schuld, wenn du nicht happy bist! Alles eine Frage der Perspektive. Die Kinder heulen seit drei Stunden am Stück? Freu dich über ihren starken Willen! Der Chef ist ein sexistischer Honk, der dich bei der Beförderung übergeht? Sieh es als Chance zu einer Neuorientierung! Der Ehemann vögelt fremd? Vielleicht warst du ja nicht positiv genug, deine Aura irgendwie negativ. Brustkrebs? Ignoriere die würgende Todesangst, stecke dir ein rosa Schleifchen an, umarme die Krankheit und geniesse den Augenblick.
Fröhlichkeit ist erste Bürgerpflicht. Dass zehn Prozent der Menschen unter behandlungsbedürftigen Depressionen leiden, nach Schätzungen der WHO affektive Störungen bis zum Jahr 2020 die zweithäufigste Krankheit weltweit sein werden und die Schweiz nach Japan die höchste Rate von Teenager-Suiziden aufweist, will nicht recht dazu passen. Das Wegzulächeln erfordert Mühe.
Überhaupt scheint Hardcore-Heiterkeit harte Arbeit zu sein. So stellte die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild fest, dass Stewardessen durch die ausdrückliche Forderung des Arbeitgebers, ihren Passagieren stets gut gelaunt zu begegnen, in Stress gerieten und auf lange Sicht emotional verarmten. Die Munterkeitsmaske war zur zweiten Natur geworden – und schnürte das Blut ab.
Ausbeute der Suche nach dem einen, allgemeinen Glücksrezept? Fehlanzeige.
Vielleicht hilft auf der Glückssuche ja ein Denker weiter: «Die Suche nach dem Glück ist eine Luxuserscheinung», sagt Michael Hampe, Philosophie-Professor an der ETH Zürich und Autor des Buches «Das vollkommene Leben».
Erst wenn Menschen Arbeit hätten, ein Dach über dem Kopf, genug zu Essen und in Frieden und Freiheit lebten, stelle sich die Frage nach dem guten Leben. «Flüchtlinge, Kriegsopfer, Todkranke, die haben anderes zu tun.» Die Frage nach dem besten aller Leben wurde allerdings schon immer gestellt: Für Aristoteles lag es darin, bei gesicherten Existenzgrundlagen ein tugendhaftes Leben zu führen. Für die Stoiker darin, sich frei zu machen von allen Wünschen und Begierden und für gläubige Christen im paradiesischen Jenseits. Doch erst in einer Leistungsgesellschaft, am besten noch einer calvinistisch geprägten wie der Schweiz, wird aus der Frage nach dem Glück ein Glücks-Imperativ. Denn wenn jeder Erfolg haben kann, der sich nur tüchtig genug bemüht, dann hat es auch jeder selbst vermurkst, der nicht ganz so sonnig und erfolgreich ist. Vielleicht sind deshalb Happiness-Hype und Heuchelei siamesische Zwillinge. Das gilt doppelt für Familien.
«Denn seit dem 19. Jahrhundert», erklärt Michael Hampe, «kommt zur Vorstellung des perfekten Lebens die Erwartung, dass die reine Liebe es ist, die glücklich macht. Und als reinste Form der reinen Liebe gilt eine Liebespaarbeziehung, die in Familiengründung mündet.» Das Kind, der Glücksbringer. Dabei sorgt der Nachwuchs mitsamt Kosten, Krankheiten und Sorgen, die er den Eltern macht, durchaus für schattige Plätze im sonst sonnigen Leben. Studien zumindest räumen mit dem Klischee, dass ein Kind lebenslänglich Sinn und Seligkeit liefere, gründlich auf. In einer texanischen Untersuchung gaben Mütter an, so ziemlich alles lieber zu tun als mit ihrem Kind zu spielen: shoppen, Sex haben, Zwiebeln schneiden – alles. Auch eine Gemeinschaftsforschung vom Leipziger Max- Planck-Institut und der Uni von Ontario ergab: die Lebensfreude von Vätern und Müttern sank deutlich nach der Geburt des ersten Kindes. Genau genommen um 1,4 Punkte der Skala. Eine Scheidung dagegen – nur mal zum Vergleich – trübte um 0,6 Punkte ein. Der Tod des Partners um 1 Punkt. Bei Kindern in der Pubertät rauscht die elterliche Glückskurve vollends in den Keller.
Das weiss jeder. Sagt aber keiner. Fehlende Freude ist pfui. Bei Familien – und bei Müttern besonders. Nicht umsonst sorgte die Untersuchung «Regretting Motherhood» der israelischen Soziologin Orna Donath für kollektives und internationales Aufheulen. 23 Frauen, die ihre Entscheidung, Mutter geworden zu sein, bereuen, hätten im Prinzip lediglich Achselzucken hervorrufen müssen. 23 Frauen, die nicht zufrieden mit einer Lebensentscheidung sind … So what? Aber 23 MÜTTER! Mütter, die bedauern, Mutter zu sein! Skandal. Wenn irgendwer glücklich zu sein hat, dann doch wohl Mütter! Was für eine Frechheit, den Weichzeichner beim Familienfilm wegzulassen!
Nur – wo bekommen eigentlich die anderen ihre Soft-Tone-Lampen fürs Leben her? Schliesslich sehen wir jeden Tag die gelikten Highlights auf Instagram und Facebook: Vater, Mutter, Kind und Wasserbüffel am Sambesi. Honeymoon-Eisbecher, gelöffelt von strahlenden Eltern. Family-Fun im Freizeitpark …
Und man selber? Soll man etwa posten, dass man endlich den vertrockneten Buchsbaum in den Grünabfall gestopft hat?
Ausbeute der Suche nach dem einen, allgemeinen Glücksrezept: Fehlanzeige.
Vielleicht hilft eine Glücks-Fortbildung weiter: Im Stella Mare der Pädagogischen Hochschule St. Gallen sitzen 15 Studenten im Kreis. Ziel: Lernen, wie man später das Schulfach «Glück» unterrichtet. Weg: Erst mal selbst lernen, woraus Glück besteht. Marina Berini, die Dozentin, hat sich dazu einiges einfallen lassen. Einander mit Augenbinde durchs Gebäude führen. Merke: Vertrauen gehört zum Glück. Dabei aufmerksam zuhören. Lerne: Interesse am Mitmenschen gehört zum Glück. Fallenlassen und von anderen aufgefangen werden: Sicherheit hilft beim Glück. Zu viert ein Bild malen: Zusammenarbeit macht das Leben schön. Ich laufe und falle und male. Aber bin ich jetzt glücklicher? Eigentlich nicht.
Ausbeute der Suche nach dem einen, allgemeingültigen Glücksrezept: Fehlanzeige.
Die glücklicherweise nicht blöd sind, sondern mal klug, mal weise, mal lustig:
- Barbara Ehrenreich: «Smile or die – Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt», Kunstmann, Fr. 19.–
- Michael Hampe: «Das vollkommene Leben. Vier Meditationen über das Glück», dtv, Fr. 14.90
- Tommy Jaud: «Sean Brummel: Einen Scheiss muss ich – Das Manifest gegen das schlechte Gewissen», Fischer, Fr. 16.–
- Arnold Retzer: «Miese Stimmung – Eine Streitschrift gegen positives Denken», Fischer, Fr. 14.90 ♦
- Eckhardt von Hirschhausen : «Glück kommt selten allein», rowohlt, Fr. 13.90
Auf dem Rückweg: Stau auf der Autobahn. Schritttempo. Hupen. Im Radio Chris de Burgh. Regen. Scheibenwischer. Anruf der Tochter, dass sie die «total gemeine» Physikprüfung zurück hat, mit der Note aber doch lieber erst herausrücken möchte, wenn ich nicht mehr am Steuer sitze: «Nur zu deiner eigenen Sicherheit.» Einstufung des eigenen Glücksempfindens derzeit: Alles Mist! Aber darf man das eigentlich denken? Darf man das fühlen? Ist eine negative Sichtweise nicht der nässende Ausschlag der Glückssuche? Obwohl – wie war das noch mit dem Bildhauer Alfred Hrdlicka, von dem Michael Hampe erzählt hatte? «Hrdlicka war ein ausserordentlich griesgrämiger Mensch und soff jeden Tag eine ganze Flasche Wodka, um bildhauern zu können. Nur war bildhauern genau das, was er von ganzem Herzen tun wollte und tat. Das war eben sein persönliches Glück.» Persönliches Glück. Nicht Mainstream-Glück. Nicht Glück nach fremden Massstäben, nicht Glück für aussen. Sondern für innen.
Ausbeute der Suche nach dem einen, allgemeingültigen Glücksrezept: gross.
Denn wieso eigentlich soll es ein fleckenfreies, glänzendes Glück sein? Wo man selbst doch auch fröhlich krumpelig ist? Vielleicht passen zum ganz eigenen kleinen Glück vergeigte Physikarbeiten, die aber rücksichtsvoll gebeichtet werden, renovierungsbedürftige Augenbrauen an jemandem, der den besten Kaffee in der einzig richtigen Dosierung kocht, sonderbare gemeinsame Sonntags- Frühstücke, bei denen es piepegal ist, wie jemand aussieht – und tausend andere wunderbar knirschende Einzelteile. Glatt ist öde. Gebrochenes Licht sorgt für den Regenbogen. Nur den Käse, den ersetz ich jetzt mal.
Was macht Sie besonders glücklich? Was macht Sie unglücklich? Teilen Sie uns hier Ihre Gedanken mit.