Karriere
Chef, biete was für die Familie
Familienfreundlichkeit ist für ein Unternehmen Sozial-Klimbim? Das war einmal. Heute denken clevere Firmen auch an die Kinder und Partner ihrer Angestellten. Weil es sich rentiert.
Gestehen, dass man die Betriebskasse geplündert hat, kann nicht schlimmer sein, als den Chef über die eigene Schwangerschaft zu informieren. Dachte ich damals. Und hatte recht. Denn die Reaktion meines Chefs taumelte irgendwo zwischen kultiviert kaschiertem Ärger, Unverständnis über diese karrieretechnische Dusseligkeit und – Ratlosigkeit. Vereinbarkeit? Familienfreundlichkeit? Was für ein neumodisches Gedöns sollte das denn sein?
Heute, 17 Jahre später, reagieren schlaue Chefs und Chefinnen anders. Nicht weil sie bessere Menschen wären, sondern weil man inzwischen weiss: Das rechnet sich. «Return on Investment – positiv», würden Ökonomen sagen. Deshalb ist es unnötig, als gut ausgebildete angehende Mutter (oder Vater mit Ambition, im künftigen Familienleben präsent zu sein) ins Personalbüro zu schleichen wie nach Canossa.
Mütter, volkswirtschaftlich
Viel passender wäre die Frage: «Wir kriegen ein Kind – was habt ihr anzubieten?» Denn da gibt es inzwischen eine Menge. Ohne dass eine Welle der Güte über die Wirtschaft geschwappt wäre, vielmehr aus kühlem Kalkül. Und aus klugem. Sieht doch die Lage auf dem Arbeitsmarkt so aus: 50 Prozent der Schweizer Firmen klagen derzeit über Fachkräftemangel. Von den Banken und Versicherungen geben gar 65 Prozent an, ihre Personaldecke sei zu kurz. Und diese Decke läuft in den nächsten Jahren noch mehr ein, denn dann geht die Babyboomer- Generation in Pension – und es stehen nicht ausreichend Junge in den Startlöchern. Als Folge etwa der Masseneinwanderungsinitiative wird das internationale Spitzen-Leute-Shoppen» schwieriger, die Ressource «hochqualifizierter Ausländer» wird sich verknappen. Nur zum Beispiel: Derzeit sind 45 Prozent der Professoren an Schweizer Unis Ausländer, jeder zweite Wissenschaftler hat keinen Schweizer Pass, in Lausanne sind es sogar 67 Prozent. Zwei Drittel davon stammen aus den angrenzenden Ländern. Der schlaue Kopf wird künftig zum raren Gut, um das sich die Unternehmen balgen müssen.
Frauen und Mütter werden so zum grössten Know-how-Reservoir, das es auszuschöpfen gilt. Hierzulande verzichten allein 50 000 Akademikerinnen oder Absolventinnen höherer Ausbildungen laut Schweizerischer Arbeitskräfteerhebung auf ihre Berufstätigkeit. Auslöser für die Entscheidung, daheim zu bleiben, ist meist das erste Kind. Rechnet man um, was ein Studium den Einzelnen, Kanton und Bund kostet, käme man auf 5,75 Milliarden Franken, die irgendwo zwischen Spucktuch, Spielplatz und Spüle versickern. Ökonomisch gesehen ein Totalverlust, volkswirtschaftliche Verschwendung und vorhersehbare Abschreibung. Kurz: Eigentlich hätte man das in die exquisite Ausbildung investierte Geld genauso gut mit Schwung in Limmat und Aare schmeissen können. Von dem ungenutzten und im Zeitraffer veraltenden Wissen mal ganz zu schweigen.
«Cherchez la femme» – der alte Spruch französischer Kriminalisten empfiehlt sich auch in der Wirtschaft. Laut «Manager Magazin » hat die Boston Consulting Group in ihrer neusten Studie nämlich festgestellt: Frauen könnten das Wirtschaftswachstum tüchtig ankurbeln. Allein in Deutschland, so BCG, wäre mit 197 Milliarden Euro zusätzlicher Wertschöpfung zu rechnen und einer um ein Drittel verkleinerte Arbeitskräftelücke – förderte man die Frauen effektiver. Beziehungsweise die Mütter. Denn auf der Karriereleiter werden die Sprossen ja erst nach dem Baby morsch; erst dann geht die finanzielle und aufstiegsmässige Schere zwischen ihnen und gleich qualifizierten Männern weit auf. Frauen ohne Kinder sind dreimal häufiger in Leitungsjobs zu finden als Mütter. Ein Grund: Jede zweite Frau mit guter und sehr guter Ausbildung reduziert im Alter zwischen 30 und 40 Jahren auf Teilzeit. Die Mehrheit davon auf ein kleines Pensum unter 70 Prozent. Von den Männern reduzieren 13, 5 Prozent. 8 Prozent davon aus familiären Gründen.
Mitgezeugt, mitbetreut
Ohnehin ist Teilzeit unterhalb der 70-Prozent-Marge nicht der heilige Gral des familienfreundlichen Arbeitens. Zu überproportional sind die Gehaltseinbussen, dafür, dass es selten bei dem Pensum bleibt und sämtliche Notwendigkeiten wie Amt- und Arztbesuche auf die freie Zeit gelegt werden. Zu klein könnte später der Inhalt der Pensionskasse werden. Zu gross das Risiko, bei einer Trennung dumm dazustehen: mit 40-Prozent-Job, 40-Prozent-Geld, aber 100 Prozent Kind und Kosten. Und alles überschattet dazu noch immer das Vorurteil, Teilzeiter sorgten innerbetrieblich für überbordenden Koordinationsaufwand und machten lediglich ein Jöbchen, eine Art bezahlten Ikebana-Kurs.
BMW, traditionell eine testosteronlastige Firma und Marke, hat wegen des üblen Beigeschmacks der reduzierten Pensen «Teilzeit » kurzerhand umgetauft. Der neue Name: «Vollzeit select». Begrifflich ist das eine reine Mogelpackung, aber mal ehrlich: Wenn «Vollzeit select» kerliger klingt und daher auch für die breitbeinigeren Arbeitnehmer-Exemplare attraktiver wird, warum eigentlich nicht? Denn klar ist, wenn Frauen stetig besser ausgebildet sind, mehr als die Hälfte der Maturanden stellen, ganze Studiengänge wie Medizin oder Jus feminisieren, wird sich auf lange Sicht mit dem Selbstbewusstsein der Frauen der Anspruch an Väter ändern. Nach der Devise: mitgezeugt, mitbetreut. Die Folge für Arbeitgeber: Männer werden wohl in Zukunft ähnlich unberechenbar wie Frauen – mit Wunsch nach Elternzeit, Homeoffice, zu Hause bleiben, wenn das Kind fiebert. Funktioniert alles bei kleinen KMU nicht? Vielleicht nicht heute. Aber morgen.
Ohne Cleverness gehts nicht. Deshalb wollen sich auch immer weniger Unternehmen die Vorteile einer familienfreundlichen Firmenkultur durch die Lappen gehen lassen. Gewinnbringende Vorteile, wie:
- Wettbewerbs-Plus gegenüber den Konkurrenten.
- Spürbar höhere Zahl und breiter gefächerte Bewerbungen – mit entsprechend grösserer Auswahlmöglichkeit des Unternehmens. Laut Studien ist für Berufseinsteiger «Freiheit», ein Leben neben der Arbeit, bei der Auswahl des künftigen Jobs wichtiger als «Gehalt».
- Seltenere Fehlzeiten. Denn wenn das Kind kein Tabu ist und das Betriebsklima familienfreundlich, dann muss ein/-e Mitarbeiter/-in keine Halsentzündung vortäuschen, wenn Eltern-Besuchsmorgen im Kindergarten ist.
- Mitarbeiterbindung. Die Fluktuation sinkt, wenn sich die Angestellten wohlfühlen. Und wohl fühlen sie sich, wenn die Familie nicht als Störfaktor, sondern als Trainingsfeld für soziale Skills wie Organisationstalent, Belastbarkeit, Krisenmanagement und Empathie geschätzt wird.
- Wer dem Unternehmen auch nach dem Kind erhalten bleibt, erspart der Personalabteilung das aufwendige Rekrutieren neuer Mitarbeiter sowie der Firma teures und zeitraubendes Einarbeiten der «Frischlinge». In anspruchsvolleren Jobs kann das nämlich bis zu einem Jahr dauern.
- Erhöhte Kundenzufriedenheit. Eine/-n feste/-n Ansprechpartner/-in über einen längeren Zeitraum hin zu haben, bindet Kunden an die Firma, erhöht Vertrauen und den Eindruck von Seriosität.
- Imagegewinn nach innen und aussen. Wer nach Feierabend stolz von seinem Betrieb berichtet, macht wertvolle Werbung. Wer von aussen als kreativ, innovativ und modern wahrgenommen wird, pimpt seine Marktposition.
- Zuverlässigere Mitarbeiter. Getreu dem Motto «Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus», werden Angestellte, die wie verantwortungsbewusste Erwachsene behandelt werden, auch selbst so handeln und ihre Pflichten ohne ständige Kontrolle erfüllen.
In anderen Ländern spriessen die Pflänzchen innovativer Modelle schon länger. Was davon winterhart ist und was nur kurz blüht, wird sich zeigen. Aber – ohne neue Ideen kein Fortschritt. Der französische Staat subventioniert ausgebildete Nannys mit der Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge, damit Eltern ihre Kinder während der Arbeitszeit gut aufgehoben wissen. In Deutschland gibt es drei Jahre lang Elternzeit, das bedeutet 36 Monate unbezahlte Freistellung vom Job mit Kündigungsschutz. 14 Monate lang gibt es Elterngeld, etwa Zweidrittel des entgangenen Einkommens. Nur wenn der Vater mindestens zwei Monate bezieht, besteht Anspruch auf die volle «Partnerzeit ». Die Eltern können die 14 Monate unter sich aufteilen, wie sie wollen.
In den Niederlanden sichert ein Gesetz Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen Tag in der Woche Homeoffice zu (In der Schweiz arbeiten 28 Prozent mindestens einen halben Tag von daheim). Die Stadt Göteborg hat die 30-Stundenwoche für die städtischen Angestellten eingeführt. Begründung: Wer kürzer arbeitet, sei konzentrierter und effektiver.
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Ein Interview mit dem Ökonomieprofessor Tim Weitzel über die Vor- und Nachteile der Heimarbeit finden sie hier.
Das ist die öffentliche Seite, doch auch die Privatwirtschaft hat die Zeichen der Zeit erkannt.
Netflix Der Online-Streamingdienst bietet seiner Belegschaft unlimitierten Urlaub. Hauptsache, die Arbeit wird erledigt. Zudem können Eltern selbst entscheiden, wie lange sie Babypause machen wollen. Ein ganzes Jahr lang gibt es volles Gehalt.
Yahoo Die oberste Chefin Marissa Mayer hat neben ihrem Büro ein Kinderzimmer eingerichtet. Signal: Führen geht auch mit Kind.
Henkel Von der Firma offeriert: Notfall- Nannys und Eltern-Kind-Arbeitszimmer. Für die besonders stressigen Situationen im Familienalltag.
Facebook und Apple Mitarbeiterinnen wird das Einfrieren von Eizellen finanziert, damit Fruchtbarkeit und Karriere in einer bestimmten Lebensphase nicht kollidieren. Tolles Angebot oder eher eine Verlockung zu einem Pakt mit dem Teufel? Das wird sich herausstellen.
IBM Der Computer-Riese chauffiert abgepumpte Milch auf Kosten des Unternehmens von Mama zu Baby.
Google Hier werden Ingenieure nach Leistung bezahlt. Sie können frei (natürlich nach Absprache mit den Kollegen) über ihre Arbeitszeit bestimmen.
Airbus Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen können bis zu 60 Prozent ihrer Arbeitszeit zu Hause oder sonstwo verbringen. Wer daheim arbeitet, bekommt einen finanziellen Zuschuss zur Büroeinrichtung.
Trumpf Wie viel willst du arbeiten? Alle zwei Jahre dürfen die Angestellten neu über ihr Pensum entscheiden. 40? 60? 100 Prozent? Wies gerade passt. Seit der schwäbische Werkzeug-Maschinen-Hersteller das eingeführt hat, stieg deren Bewerberzahl um 85 Prozent.
Und, und, und. Doch auch in der Schweiz tut sich langsam aber stetig mehr: Hier ein paar Beispiele von Unternehmen, die fest an die Win-win-Situation familienfreundlicher Angebote glauben und unterschreiben würden, was Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der «Zeit», in ihrem Blatt geschrieben hat: «Karriere oder Kinder? Von dieser Frage sollten Sie sich nicht beeindrucken lassen, sie ist reine Ideologie. Ein/-e Chef/-in, der/ die Ihnen das Kinderkriegen schwermacht, schadet langfristig dem eigenen Betrieb.»
ETH Seit 2007 vergibt die Hochschule intern das «goldene Dreirad» an Führungspersonen, die die Arbeitsbedingungen in ihrem Team besonders familienfreundlich gestalten. Hello Kids! ist eine Anlaufstelle, die ETH-Mitarbeiter bei der Vermittlung individuell passender Kinderbetreuung unterstützt. Assistenzprofessorinnen können unter bestimmten Voraussetzungen ihre befristeten Verträge bis zu einem Jahr pro Kind verlängern. Ab Herbst 2016 stehen Krippenplätze für 450 Kinder zur Verfügung. Ferienbetreuung.
Novartis Grosses Angebot an Firmenkrippen, Tagesstätten sowie eine Vermittlungsstelle für Nannys, Babysitter und Tagesmütter. Zur Familie werden auch pflegebedürftige Angehörige gerechnet. Unter dem Label «Eldercare» werden spezielle Beratungen und Hilfen organisiert. Die Pharmafirma veranstaltet zudem Coachings für werdende Eltern sowie «New Fathers»- Workshops. Regelmässige «Summer Camps» erleichtern es arbeitenden Eltern, die langen Ferien betreuungsmässig zu überbrücken.
AXA Die Versicherung offeriert: Einkommensabhängige Subventionen der Kinderbetreuung, einen Eltern-Lunch, bei dem sich Mütter und Väter austauschen, den «Kids-Koffer» mit Spiel- und Malzeug für Kinder, die im Notfall mal mit ins Büro genommen werden müssen. Die Firma stellt Ferienjobs für Teenager. Jobsharing und Teilzeitmodelle sind vollkommen akzeptiert. Und erwünscht.
SwissRe Die Rückversicherung bietet schon seit 1999 einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub. In Frühlings- und Sommerferien wird eine Woche «Ferienplausch» mit Programm – jeweils von 9 Uhr bis 17 Uhr – für die 5- bis 12-jährigen Belegschaftskinder veranstaltet. Betreuungsengpass? Kein Problem. Es gibt ein Abkommen mit «Profawo», wo Mitarbeiter beraten und unterstützt werden. Oder: Die Kinder ab dem Schulalter kommen einfach zum Mittagstisch im Personalrestaurant.
Stickerella Kompetenteste Berater der kleinen Sticker-Firma: die Kinder der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Family-Knowhow gehört hier zum unerlässlichen Fachwissen. Schliesslich werden Produkte für Kinder und Familien hergestellt. Klar, dass in dem Oberriedener Unternehmen regelmässig die Kids mit ins Büro kommen. Dafür stehen extra Spielsachen und eine Playstation bereit. Früher gehen oder später kommen, weil ein Kindergarten- oder Schultermin ansteht? Warum nicht? Nur wenn man sich gegenseitig entgegenkommt, so Chef Roger Weidmann, sind Mitarbeiter bereit, auch mal «die Extra- Mile» zu gehen.
LernNetz Wichtig ist dem Berner Hersteller von elektronischen Lernmedien vor allem eine familienfreundliche Kultur, die es zulässt, das Pensum zu reduzieren, ohne dass Karriereeinbussen hinzunehmen sind. Die Einführung eines einmonatigen bezahlten Vaterschaftsurlaubs steht kurz vor der Genehmigung. Jahresarbeitszeitsregelungen ermöglichen grösstmögliche Flexibilität. Projektbasiertes Arbeiten übergibt die Verantwortung an die Mitarbeiter. Hauptsache der Job ist termingerecht und gut erledigt. Die Kündigungsrate beim LernNetz geht gegen Null.
Beispiele, die Eltern Mut machen für den aufrechten Gang ins Personalbüro. Weil der angebracht ist. Sogar ökonomisch.