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Zurecht kein Bock auf Schule
zvg
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Ich bin ein Lehrerkind. Als Sohn zweier Lehrer, pardon: zweier Lehrpersonen, genauer: einer Lehrerin und eines Lehrers passt man sich entweder an oder rebelliert dramatisch gegen die Eltern (ich weiss, das ist im Prinzip bei allen Kindern so, aber bei Kindern von Lehrern gibt es meiner Erfahrung nach nur die zwei Extreme). Ich, der ich von Natur aus harmoniebedürftig bin, passte mich an. Heisst: Ich ging gerne zur Schule, ich führte mich in der Schule anständig auf, ich respektierte die Lehrperson und deren Autorität, machte meine Hausaufgaben, lernte, beteiligte mich am Unterricht. Ich war sozusagen ein Streber. Weil vor allem mein Vater beim Mittagstisch von der Arbeit erzählte und sich nicht selten über seine Schüler beschwerte, entwickelte ich sogar Verständnis für die Sorgen und Probleme der Lehrer. Ja, ja macht ihr jetzt nur Witze über Gehirnwäsche.
Und dann war da plötzlich ein Kind, mein Stiefsohn Ben, der mit Schule so gar nichts am Hut hatte. Sah keinen Sinn darin, hatte keinen Spass daran. Schreibt heute noch seine Hausaufgaben nicht ein, glaubt, nach zwei, drei Minuten, bereits alles erledigt zu haben, trickst, wo er nur kann, gibt viel zu schnell auf, stellt sich quer.
Ihr könnt es euch sicher denken: Das weckte meinen Ehrgeiz. Denn auch wenn ich das Lehrergen nicht auslebe, ist es doch ausgeprägt in mir. Aber wie macht man einem Kind, das für die Schule nichts als Verachtung übrig hat, dieselbe schmackhaft? Spoiler alert: Ich habe es bist jetzt, sprich nach 7 Jahren, nicht geschafft. Obwohl ich es angestrengt versucht habe: Ich habe Rechenbeispiele mit Fussballern erfunden, veranschaulichende Zeichnungen angefertigt, Wörtchen abgefragt, Eselsbrücken aufgezeigt, auf Ben eingeredet, Advocatus Diaboli gespielt (denn zumindest der eine Lehrer von Ben ist ein Korinthenkacker erster Güte, dem Empathie und Motivationsfähigkeit abgehen) – vielleicht half es etwas, aber ein engagierter Schüler (dass er ein guter Schüler ist, verlange ich ja gar nicht) ist Ben dadurch nicht geworden.
Auch wenn es mir schwerfällt und mir bewusst ist, dass Ben sicher mindestens zur Hälfte Anteil an diesem Zustand hat; ich muss hier die Schule in die Pflicht nehmen. Die Primarschule, deren Aufgabe es in meinen Augen ist, in erster Linie das Interesse der Schüler für Bildung zu wecken, die aber stattdessen Leistung verlangt. Die Lehrer, die oftmals näher an Drill-Instruktoren als an Pädagogen sind. Schulleitungen, die eine gute Gymi-Quote höher gewichten als motivierte Kinder.
Sorry, da kann auch ein engagierter Lehrersohn-Stiefvater wie ich nichts mehr ausrichten, da ist schon zu viel falsch gelaufen. Einen Hoffnungsschimmer gibt es noch: Ben kommt in die Oberstufe, das bedeutet Schulwechsel und Lehrerwechsel. Vielleicht schafft es ja die neue Lehrerin, den Ehrgeiz aus Ben herauszukitzeln. Denn auch wenn wir «Fachkräfte für die Wirtschaft» brauchen (bei dem dämlichen Ausdruck könnte ich kotzen), zufriedene und gesund-ambitionierte Kinder sollten uns wichtiger sein. Und ich finde, das hat sich seit meiner Kindheit nicht geändert – das sollte immer noch Aufgabe der Schule sein.
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Reto Hunziker ist 1981 im Aargau geboren, aber das muss noch nichts heissen. Er hat Publizistik, Filmwissenschaft und Philosophie studiert und auch das muss noch nichts heissen. Er arbeitet als freier Journalist und als Erwachsenenbildner und versucht daneben, dem ganz normalen Wahnsinn in einer Patchwork-Familie (Frau, Tochter und Stiefsohn) mit Leichtigkeit und gesundem Menschenverstand zu begegnen – das will was heissen. Alle Blog-Beiträge von Reto Hunziker finden Sie hier.