Aus dem Vaterland
«Wo liegt der Unterschied?»
Spiderman wurde von einer radioaktiven Spinne gebissen, Obelix fiel in den Zaubertrank: Auch ich wurde nicht als Superheld geboren, ich rutschte in diese Rolle rein. «Papi, mach mal das Kamel.» Also hab ich die Kleine geschultert und reiten lassen, dass sie kreischte. Ich habe sie auch schon in die Luft geworfen und wieder aufgefangen. Habe aus den Achseln gefurzt oder bin per Seemannsköpfler vom Dreimeterbrett gesprungen. Kurz: Ich war im Leben meiner Tochter mal der starke Vater, mal das grosse Kind – die Grenzen sind ja zuweilen fliessend. Und wenn eine Vierjährige diese Heldentaten mit eigenen Augen sieht, klappt ihr eben manchmal der Kiefer aufs Brustbein. Papi, der kann was.
Nun ist es nicht so, dass Mami nicht auch das Zeug hätte zur Superwoman. Doch man muss schon eine gewisse Reife erreicht haben im Leben, um die Waffen einer Frau in ihrer ganzen Machtfülle zu begreifen. Ist die Waffe des Mannes die geschwungene Keule auf der Showbühne, so ist die Waffe der Frau mehr der präzis geführte Dolchstoss hinter dem Vorhang. Das ist vielleicht weniger spektakulär, aber nicht minder wirkungsvoll.
Bisher habe ich mir in meiner Rolle stets gut gefallen. Ja, meine Frau würde sagen, ich würde sie geradezu zelebrieren. Und wenn ich ehrlich bin, lehnte ich mich bewusst dagegen auf, meine feminine Seite, die ich durchaus auch habe, nach aussen zu kehren – zumindest in bestimmten Belangen. Zum Beispiel bei der Kleiderwahl. Will meine Tochter morgens statt eines Röckchens das Fussball-Shirt anziehen wie ihr grosser Bruder und bin ich an diesem Tag die massgebende Referenz in Fashionfragen, weil Frau arbeiten gegangen ist, dann darf sie das Shirt durchaus tragen. Ehrensache. Ich helfe ihr an so einem Tag auch auf den Baum und wieder runter. Und dies, ohne ihr die Kletterpartie zu Beginn schon zu vermiesen mit Sätzen wie: «Pass auf! Wenn du runterfällst, brichst du dir sämtliche Knochen, und das tut dann fest weh.» Einfach, weil ich der Überzeugung bin, dass der Mensch von Natur aus auf Überleben programmiert ist – auch ein Mädchen. Selbst wenn sie, was ich nicht glaube, masochistisch veranlagt wäre, liesse sich diese Lust am Schmerz mit einem «Pass auf!» nicht austreiben. Und läuft ihr in der Leidenschaft des Moments mal der «Schnuder» über oder fallen ihr die Locken ins Gesicht, wedle ich nicht gleich mit dem Taschentuch oder dem Haarband. Sind ja Kinder, Jungs wie Mädchen. Wo liegt der Unterschied?
Ja, so dachte ich. Und dann kam der Tag, an dem mich meine Tochter beim Duschen beobachtete und meinte: «Gell, Papi, wenn ich mal gross bin, habe ich auch ein Pfiffeli.» Da blieb mir nichts anderes übrig, als mir die Seife aus den Augen zu wischen und zu antworten: «Nein, Schätzli, das haben nur wir Jungs.» Da heulte sie los. War richtig traurig. Und in den Augen meiner Frau sah ich diesen Vorwurf: «Das hast du jetzt davon!» Da hätte ich meine Tochter gerne zu mir genommen und gesagt: «Schau, das Blitzen in Mamis Augen: Das ist jetzt die Waffe von euch Frauen.» Aber ich habs gelassen. Sie hätte es nicht verstanden. Noch nicht.