Scheidung
Getrennt: Was macht das mit den Kindern?
Wenn Eltern beschliessen, getrennte Wege zu gehen, hebt das die Welt der Kinder aus den Angeln. Tipps wie man den Nachwuchs in dieser Phase altersgerecht unterstützt.
Fallbeispiel 3 Jahre
Vor zwei Monaten haben sich Mias Eltern getrennt. Da der Vater geschäftlich viel reist, wohnt Mia überwiegend bei der Mutter. Während die Dreijährige bis vor der Trennung schon sehr selbstständig war, weigert sie sich nun hartnäckig, allein zu schlafen.
Das ist eine ganz natürliche Reaktion. So etwas passiert in einem Trennungsfall häufig», sagt Irina Kammerer, Psychologin und Leiterin des Bereichs Beratung und Therapie für Kinder an der Universität Zürich. Eine Trennung, so Kammerer, rüttle an wichtigen Gewissheiten, die ein Kleinkind bis dahin erworben hat. Ein Elternteil zieht aus, Bezugspersonen können «verschwinden», die Wohnsituation verändert sich: Dadurch wankt zumindest für eine Zeit das Urvertrauen. «Daraus entsteht oftmals die Angst, auch der andere Elternteil könnte ganz plötzlich weg sein. Deshalb ist Mias Schlafen in Mamas Bett eine sehr plausible Reaktion.»
Doch wie können Eltern den jetzt fürs Kind schwankenden Boden wieder zum Stillstand bringen? Da Kinder im Vorschulalter vom Entwicklungsstand her noch nicht in der Lage sind zu abstrahieren, ist es wichtig, dass das Kind nicht nur hört, sondern konkret erlebt, dass beide Elternteile für es verfügbar bleiben und sie trotz allem immer seine Mami und sein Papi bleiben werden. Statt langatmiger Erklärungen und Absichtsbekundungen ist es besser, Mia zu zeigen, wo es beim Papa schlafen wird, wenn es ihn besucht. Wie das Zimmer aussieht und welche Spielsachen es gibt. In dieser für das Kind schwierigen Phase ist es besonders wichtig, dass die Bezugspersonen verfügbar und vor allem verlässlich sind. Unsichere Zeiten brauchen sichere Anker. Nur so kann brüchiges Vertrauen wieder hergestellt werden.
Für Mitbestimmung zu jung
Und was ist, wenn ein neuer Partner oder eine neue Partnerin ins Leben tritt? «Kinder müssen wissen, dass der Papa der Papa bleibt, die Mama die Mama und niemand vorhat, sie zu ersetzen,» sagt Irina Kammerer. Irgendwelche «Vatis» oder Ersatzmamas verwirrten ein Kind nur und machten zusätzliche Angst. Klar dürfe das Kind aber auch zu den neuen Partnern ein gutes Verhältnis aufbauen – sofern die Person auch dauerhaft bleibt. Solange das nicht gesichert ist, empfiehlt es sich, das Kind nicht gleich zu involvieren – um etwaige erneute Verlusterlebnisse zu vermeiden.
Da abstrakte Gespräche im Vorschulalter noch unmöglich sind, helfen Bilderbücher als Gesprächsöffner. Anhand konkreter Geschichten lässt sich besser thematisieren, was das Kind traurig macht, was es braucht und sich wünscht. Mitreden, bei wem es wohnen möchte? «Das halte ich für Kinder im Vorschulalter für eine massive Überforderung», sagt Irina Kammerer. Natürlich dürfe das Kind seine Meinung sagen, aber die Entscheidungen, die träfen die Erwachsenen. Im besten Fall friedlich und gemeinsam.
• Kinder dieses Alters befinden sich in der magischen Phase. Die Gefahr ist daher gross, dass das Kind davon ausgeht, es selbst hätte irgendwie Einfluss auf die Trennung genommen. Nein, das hat es nicht. Das muss es wissen.
• Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit. Wenn es erlebt, dass die Beziehung zu beiden Elternteilen weiterhin gefestigt ist, leistet das Vorschulkind eine enorme Adaptionsleistung und – kann die Krise überwinden.
• Das Zeitverständnis ist noch nicht entwickelt. Es macht deshalb keinen Sinn, ein Kind vor dem Schulalter schon Monate vor dem Auszug des jeweiligen Elternteils zu beunruhigen. Und: Konkret ist Trumpf. Was GENAU ändert sich? Gibt es einen Kalender, bei dem es die Tage bis zum nächsten Papi- (oder Mami)-Besuch abstreichen kann?
• Wöchentliches Wechselmodell? Für Kleinkinder oftmals noch schwierig. Der Zeitabstand ist zu gross. Vielleicht klappt ein Besuch nach schon zwei Tagen besser? Oder ein Znacht in der Zwischenzeit macht es leichter?
Fallbeispiel 6 Jahre
Im Sommer kommt Lukas in die Schule. Vor einer Woche haben seine Eltern ihm gesagt, dass sie sich scheiden lassen. Seine Reaktion? Keine. Stattdessen fragte er bloss: «Kann ich einen Hund haben?»
Auch Lukas wird irgendwann reagieren. Jedes Kind tut das, aber jedes auf seine Art und in seinem Tempo», sagt Familienpsychologin Irina Kammerer. Wichtig sei, den Jungen nicht zu bedrängen und auszufragen. Er werde schon von selbst mit Fragen kommen. «Und dann ist es wichtig, möglichst offen und ehrlich zu antworten.» Offen und ehrlich? Was bedeutet das in diesem Alter? Fremdgehen, verprasstes Geld, Alkoholmissbrauch – alles vor dem Kind ausbreiten? «Das auf keinen Fall», betont Kammerer. Die Paarebene bliebe stets die Paarebene und die Elternebene die Elternebene. Infolgedessen haben Interna des Paares auch nichts bei den Kindern verloren. Faustregel: über die Trennungsgründe so viel wie nötig, so wenig wie möglich erzählen. Und das kindgerecht. Schuldzuweisungen, sexuelle Details oder etwas, das den Ex-Partner diffamiert, sind fehl am Platz.
Besser ist es, zu vermitteln: «Wir fühlen uns gemeinsam nicht mehr wohl und wir können uns nach einem Streit nicht mehr gut vertragen. Deshalb möchten wir nicht mehr zusammenwohnen.» Eine Trennung gehört begründet, Details sind jedoch unnötig. «Wobei man sich keine Illusionen machen darf», erklärt die Psychologin, «in der Regel haben Kinder längst mitbekommen, dass bei den Eltern etwas schiefläuft.» Kaltes Schweigen, verdrehte Augen oder fehlende gemeinsame Unternehmungen registrieren auch schon junge Kinder. Deshalb ist es zwar wichtig, alles Erdenkliche für eine gute Beziehung zu tun, nicht aber alles Erdenkliche zu tun, um eine schlechte Beziehung aufrechtzuerhalten. Zusammenlebende Eltern, die sich ständig streiten und angiften, sind für Kinder mindestens so problematisch wie getrennt lebende.
Was ist mit dem Hund?
Generell wird die Aussenwelt für Kinder im Schulalter zunehmend wichtiger, Ansprechpersonen ausserhalb der Kernfamilie, der Götti, das Grosi, können im Trennungsprozess eine wichtige Funktion übernehmen. Aber auch für sie gilt: kein schlechtes Reden über den jeweils anderen Partner. Schliesslich besteht das Kind zu 50 Prozent aus Mutter und zu 50 Prozent aus Vater. Wird ein Elternteil schlechtgemacht, werden damit auch Persönlichkeitsanteile des Kindes abgewertet. Auch für dieses Alter gilt noch: je konkreter, desto besser. Die Verabredung zum Fussballmatch, das weiterhin samstägliche Schwimmengehen. Verlässlichkeit ist Trumpf.
Ja, und was ist jetzt mit dem Hund? Kann der helfen? Ein Lichtblick sein? «Ein Tier ist kein Spielzeug, ist kein Trumpf im «Eltern-Wettbewerb» um die Gunst der Kinder. Zudem bedeutet es viel zusätzliche Arbeit. Das gilt es in angespannter Zeit zu bedenken. Und ein Elternteilersatz ist es natürlich auch nicht», sagt Kammerer: «Dennoch könnte dieser heiss ersehnte Hund für Lukas durchaus hilfreich sein.» Etwas, mit dem er sich zurückziehen kann, eine Helferfigur, die unbefangen ist, schmust, zuhört, tröstet – fröhlich ist. Das färbt ab.
• Die Schule einweihen. Da viele Kinder Reaktionen zeigen, ist es für die Lehrpersonen wichtig, Bescheid zu wissen, damit sie das Kind unterstützen können. Bei Scheidungsraten von 40 Prozent ist ein Stigma nicht mehr zu befürchten.
• Das Kind darf nie in der Schusslinie der elterlichen Auseinandersetzungen stehen. Loyalitätskonflikte sind das Schlimmste. Ja, es darf beide Elternteile gern haben, egal was zwischen den beiden vorgefallen ist.
• Bestehendes in der Lebenswelt des Kindes unbedingt aufrechterhalten. Das Kind hat Tennisspielen immer geliebt? Ist das nicht trotz jetzt angespannter finanzieller Lage trotzdem noch drin? Gut wärs.
• Gleichaltrige werden ab dem Schulalter immer wichtiger. Ein Wegzug, der eventuell mit einem Klassenwechsel verbunden ist, wird problematischer sein als bei jüngeren Kindern. Lässt er sich vermeiden?
Irina Kammerer, Psychologin
Fallbeispiel 12 Jahre
Lisa ist schon seit drei Jahren ein Trennungskind. Bislang hat das Wechselmodell – eine Woche bei Papa, eine bei Mama – prima geklappt. Doch jetzt plötzlich will sie nicht mehr zum Vater. Der vermutet, die Mutter habe Lisa aufgehetzt.
Da gebe es nur eines: fragen, findet Irina Kammerer. Denn es sei absolut nicht zwingend, dass da ein Elternteil gegen den Ex-Partner opponiert hätte. Es müsse nichts Schlimmes dahinterstecken. Vielmehr sei es so, dass für Heranwachsende in der Pubertät ihr eigener Raum besonders wichtig werde, ihr Rückzugsort, bei der Freundesclique sein zu können. «Da nervt es Jugendliche halt manchmal, wenn sie jede Woche zügeln müssen.» Wichtig sei, so Kammerer, dass Eltern so ein geändertes Verhalten nicht persönlich nähmen. Gut sei es jedenfalls, immer wieder mit dem Teenager das Gespräch zu suchen, sich an einen Tisch zu setzen und die Situation zu bereden. Auch bei der Frage, bei welchem Elternteil es leben möchte und wie es seine Kontakte zu Mutter und Vater organisieren möchte, ist es jetzt kompetenter Gesprächspartner. Hilfreich sei jedoch, wenn die Eltern vorab gemeinsam klärten, was überhaupt sinnvoll und machbar sei.
Kinder sind keine Partner
Und wie wirkt sich eine elterliche Trennung nun auf das eigene spätere Beziehungsverhalten des Heranwachsenden aus? Schliesslich gibt es Studien, die besagen, dass Kinder aus Trennungsfamilien sich selbst später auch häufiger trennen? «Diese Zahlen gibt es», sagt Irina Kammerer. «Aber man darf sie nicht zu vereinfachend interpretieren.» Vielleicht seien die «Trennungskinder» nicht weniger beziehungsfähig, sondern hätten vielmehr gelernt, dass auch eine Scheidung nicht das Ende der Welt bedeuten müsse, das Leben weitergehe und man in als quälend empfundenen Situationen nicht ausharren müsse. «Aus der Forschung wissen wir: Sicher gebundene Kinder suchen sich in der Regel sicher gebundene Partner, unsicher gebundene eher unsicher gebundene.»
Eine vertrauensvolle Beziehung zu beiden Elternteilen sei enorm hilfreich, und auch, dass diese Eltern Sicherheit vermitteln in einer Zeit, die von Unsicherheit geprägt ist. Unbedingt vermeiden: den Teenager zu überfordern und «weil er doch schon so gross ist», die eigenen Sorgen bei ihm abzuladen, von den sehr privaten Paarproblemen zu erzählen oder ihn zum «Ersatzpartner» zu machen. Nein, ein Junge ist jetzt nicht «der Mann im Haus», nein, das Mädchen übernimmt nicht die Aufgaben, die bislang diejenigen der Mutter waren. Eltern bleiben Eltern, Kinder Kinder. Auch wenn das Verhältnis immer wieder neu verhandelt und gestaltet werden muss.
• Der Gedanke, es sei gut, mit einer Trennung zu warten, bis die Kinder «aus dem Gröbsten heraus sind» ist ein Trugschluss. Die Pubertät ist eine besonders vulnerable Phase. Zudem bekommen Kinder die elterlichen Unstimmigkeiten ohnehin auch schon vorher mit.
• Offene Augen, offene Ohren. Bitte das Kind aufmerksam beobachten, selbst wenn man gerade viel um die Ohren hat. Viele Jugendliche verschliessen sich. Deshalb ist es umso wichtiger, in Kontakt und im Austausch zu bleiben.
• Freundschaften mit Gleichaltrigen sind in der Pubertät zentral. Da kann es schon mal vorkommen, dass die Party am Wochenende wichtiger ist als das Mama- oder Papa-Wochenende. Nicht beleidigt sein und gemeinsam eine gute Lösung finden.
• Nein, auch ein Teenager ist kein Erwachsener. Er ist nicht der Therapeut für Mama, nicht die Stylistin für Papa. Parentifizierung schadet der Persönlichkeitsentwicklung.
• Die Eltern finden partout keinen friedlichen, zivilisierten Weg miteinander? Hilfe von aussen holen. Nichts schadet Kindern mehr als hochstrittige Trennungen und langwierige Rosenkriege.