Burnout
Wenn nichts mehr geht: Eltern-Burnout
Und dann geht plötzlich gar nichts mehr. Vier Mütter und ein Vater brechen das Tabu und erzählen, warum das Elternsein sie in eine Erschöpfungsdepression getrieben hat – und wie sie wieder heraus gefunden haben.
Plötzlich sind die Batterien leer. Monate-, mitunter jahrelang sind diese Mütter und Väter am Anschlag, jonglieren Bedürfnisse, Pflichten, Ansprüche, bis sie irgendwann jegliche Kraft verlässt, sie morgens einfach nicht mehr aufstehen, nicht mehr schlafen können. Die Erschöpfung ist fast grenzenlos. Die Diagnose: Erschöpfungsdepression, Burnout. Einige von ihnen sitzen kurze Zeit später bei der Psychologin Angela Häne und erzählen, klagen, weinen. Und finden Verständnis für einen Zustand, den sie mit der Geburt eines Kindes so niemals erwartet hatten. Die Psychotherapeutin berät und behandelt viele Eltern mit Burnout.
Jetzt sitzen auch wir in der hellen Praxisgemeinschaft in einem Altbau im Zürcher Seefeld und stellen Fragen. Viele Fragen. Was also, Frau Häne, ist eigentlich ein Burnout? Die Symptome eines Eltern-Burnouts, erklärt die Psychologin, gehen über das allgemein berufsbezogene Burnout hinaus. Zu beiden gehört eine körperliche und geistige Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten, verminderte Leistungsfähigkeit, Schlafstörungen, ein Mangel an Entspannung bis hin zu Gleichgültig- und Kraftlosigkeit. «Bei einem Eltern-Burnout gesellt sich oft eine emotionale Distanz zu den eigenen Kindern dazu, eine Lustlosigkeit gegenüber dem Mutter- oder Vatersein.» Man ist gereizt, kennt sich selber nicht mehr angesichts der impulsiven Reaktionen und Tränen.
Erschöpfung oder Burnout?
Kein Wunder: Für Kinder da zu sein, bedeutet doch einen 24/7-Job – ohne Feierabend, Wochenende, Ferien. Wer brennt denn da nicht aus? «Die Erschöpfung durch Elternschaft in den ersten vier Jahren nach der Geburt erleben die meisten Eltern. Aber: Burnout in diagnostischer Form erlebt nicht jeder Elternteil», erklärt Angela Häne. Hier sei es wichtig abzuklären, ob es sich um eine Erschöpfung im Rahmen der Elternschaft handelt, der noch kein Krankheitswert zukommt; wo man bloss etwas an den familiären Strukturen, an der Unterstützung und der eigenen Haltung und Denkmustern verändern kann, damit es wieder von allein läuft. Oder ob man von einer depressiven Episode sprechen muss. Dauert der Leidensdruck über drei Monate an oder nimmt sogar an Häufigkeit und Intensität zu, lohnt es sich, die Einschätzung einer Fachperson einzuholen. «Manchmal genügen wenige therapeutische Sitzungen – es mündet nicht alles in eine monatelange Therapie», beschwichtigt Angela Häne.
Angela Häne
Wie aber wird ein Mom-Burnout von einer postpartalen Depression abgegrenzt? Letztere tritt in den ersten Wochen nach der Geburt ein. Ein Mom-Burnout hingegen entsteht erst danach – frühestens, nachdem das Kind 18 Monate alt ist. Es ist ein schleichender Prozess. Während der Begriff «Parental Burnout» in angelsächsischen Ländern gebräuchlich ist, verwendet Angela Häne meist den Begriff «Mom-Burnout». So wie viele Fachleute im deutschsprachigen Raum. Das hat mit nackten Zahlen zu tun: Zwar ist in egalitären Ländern, wo die Geschlechter mehr oder weniger gleichgestellt sind, das Verhältnis von ausgebrannten Müttern und Vätern 2:1. In vielen anderen Ländern um den Globus aber 9:1. Fakt ist: Egal wo, Frauen brennen im Familienkontext auch hierzulande mindestens doppelt so häufig aus wie Männer.
Der genetische Ursprung
Was ist die Ursache dafür? Sind wir Frauen tatsächlich oft zu perfektionistisch, wie im Netz und in Burnout-Ratgebern unermüdlich angemahnt wird? Entwicklungsgeschichtlich betrachtet ein Stück weit wahrscheinlich schon, sagt Angela Häne: «Perfektionismus während der Mutterschaft hat auch eine evolutionsbiologische Funktion – psychologisch gesehen ist es die ‹Angst, keine gute Mutter zu sein›.» Der Wille, es perfekt zu machen, half uns in früheren, raueren Zeiten. Das Überleben des Kindes hing stark vom Verhalten der Mutter ab. Das Bestreben, alles gut machen zu wollen, hat also auch einen genetischen Ursprung. Diese Einsicht, sagt Angela Häne, führe bei mancher Mutter zu einer Entlastung.
Natürlich gebe es zusätzlich den Perfektionismus als Persönlichkeitseigenschaft – also den Willen, möglichst überall überragend zu sein. Was in einem Überengagement in der Mutterrolle enden kann. Doch es ist nicht alles «Biologie», was unser Verhalten betrifft. Wir sind gleichzeitig zutiefst soziokulturell geprägte Wesen. So hat die Gesellschaft ein Bild der «guten Mutter». Wenn Mütter neben dem inneren Druck auch noch die äusseren Ansprüche internalisieren, anstatt an sich abprallen zu lassen, geraten sie nicht selten einen Strudel der totalen Entkräftung. Hinzu kommen Schuldund Selbsthassgefühle. Man schämt sich dafür, den Erwartungen nicht zu entsprechen und landet in einem Teufelskreis aus Erschöpfung und fehlender Selbstakzeptanz. Natürlich höhlen auch widrige Umstände und Schicksalsschläge die elterlichen Ressourcen aus: Alleinerziehende, Eltern mit mehreren Kindern oder solchen mit chronischen Krankheiten, Konflikte mit der Herkunftsfamilie, mangelnde Unterstützung und finanzielle Probleme zehren zusätzlich am Energiehaushalt einer Familie. Wer sich angesichts dieser Notstände kein solides Netz an Helfer:innen aufzubauen vermag, ist gefährdet.
Batterien laden
Was also können Betroffene tun, wenn die Luft raus ist und der Alltag zentnerschwer an Körper und Seele hängt? «In der Psychotherapie versucht man, ein auf Selbstmitgefühl basierendes Gegengewicht aufzubauen», erklärt Angela Häne. Es gehe darum, eine Balance zu finden zwischen stressigem Mutterdasein und ziellosen, nicht leistungsgebundenen Aktivitäten. Klingt banal, ist aber vor allem für Ungeübte anspruchsvoll. Denn es geht darum, in sich hineinzuhorchen und wahrzunehmen, wie sich Entspannung anfühlt. Für Angela Häne ist es «wie ein Muskel, der trainiert werden muss». Selbstmitgefühl und Selbstfürsorge sind Schlüsselwörter angesichts einer Erschöpfungsdepression.
Wie handhabt es Angela Häne selber? Die erfolgreiche Psychotherapeutin mit zwei schulpflichtigen Mädchen lacht: «Als Psychologin bin ich mitnichten verschont vor dem Ausgelaugtsein!» Auch sie habe während der ersten Schwangerschaft das Gefühl gehabt, mit der Organisation einer Krippe und einer guten Arbeitsstelle sei es getan. Mittlerweile weiss sie es besser: «Ich habe gelernt, meinen Job und die Karriereschritte meinem energetischen Haushalt anzupassen – und ich sorge dafür, dass ich ausreichend Zeit für mich selber habe.»
Väter mitgemeint
Denn Elternschaft ändere das Familiensystem andauernd. Umso wichtiger sei es, auch als Paar zu kommunizieren und bezüglich Vereinbarkeit zusammen Routinen aufzubauen und stets anzupassen. Wobei wir wieder bei den Partnern wären. Denn obwohl Angela Häne meist von Mom-Burnout spricht, sind die Väter explizit mitgemeint. «Auch sie sind erschöpft!», betont sie. Es komme vor, dass zunächst die ausgebrannte Mutter bei ihr in der Praxis erscheint – und ein halbes Jahr später holt sich der Partner psychologische Hilfe.
Um von einem Burnout zu heilen und die Lebensgeister neu zu wecken, braucht es Zeit und ein unterstützendes, soziales Netz. Für die Betroffenen ist es wichtig, dass sie Hilfe annehmen. Dem Umfeld wiederum kommt in erster Linie die Aufgabe zu, nachzufragen, zuzuhören und Verständnis aufzubringen. «Auf keinen Fall gehören flapsige Sprüche dazu wie «Du wolltest doch Mutter werden» oder «Freu’ dich doch über deine zwei gesunden Kinder», sagt Angela Häne. Denn ein Burnout ist ein Ausnahmezustand. Die Genesung erfordert Mitgefühl – und die Erfahrung, dass sich leere Batterien mit viel Geduld auch wieder aufladen lassen.
Kliniken und Angebote für Eltern-Burnout
Sanatorium, Kilchberg, ZH
Verfügt über spezialisierte Burnout-Stationen. Ohne Kinder, rund 6 Wochen Aufenthalt.
→ sanatorium-kilchberg.ch
Hohenegg, Meilen, ZH
Ist u.a. spezialisiert auf Burnouts. Ohne Kinder, 4–8 Wochen Aufenthalt.
→ hohenegg.ch
IPW Winterthur, ZH
Für Krisenintervention oder stationär bei ausgeprägtem Burnout. Ohne Kinder, wenige Tage bis 8 Wochen Aufenthalt.
→ ipw.ch
Spital Affoltern, ZH
Mutter-Kind-Station für 16 Mütter mit postnataler Depression oder psychischen Störungen, die bereits vor der Geburt bestanden. Kind max. 36 Monate alt. 4–6 Wochen Aufenthalt.
→ spitalaffoltern.ch
PKM, Münsterlingen, TG
Eltern-Kind-Station mit umfassendem Therapie- und Betreuungsangebot.Kind bis 6 Jahre, ca. 3 Monate Aufenthalt.
→ stgag.ch
Diakonie Bethanien, SG, ZH
Für Eltern und Kinder in schwierigen psychosozialen Situationen. Im Vordergrund steht das Wohl und die Rechte des Kindes. Mit Kind, 3–11 Monate Aufenthalt.
→ bethanien.ch
Hauszeit mit Herz, Sursee, LU
Für eine Pause für Mütter und Väter, die nicht in ein Burnout rutschen wollen. Ab April 2024 mit Kind, 4 Tage bis 6 Wochen Aufenthalt.
→ hauszeitmitherz.ch
UPK Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Am Zentrum für Affektive, Stress- und Schlafstörungen (ZASS) werden auch Eltern mit Säuglingen aufgenommen. 2–6 Wochen Aufenthalt.
→ upk.ch
Meliso, Gümligen, BE
Für Familien mit Erschöpfung, in Krisen und/oder mit psychischen Erkrankungen. Mit Kindern, 6–12 Wochen Aufenthalt.
→ meliso.ch
Klinik Beverin, Cazis, GR
Richtet sich an Mütter mit psychischen Erkrankungen. Kinder bis 5-jährig, 4 Wochen bis 3 Monate Aufenthalt.
→ pdgr.ch
Ita Wegman, Mutter-Kind-Haus, SO
Nach anthroposophischem Leitbild geführte Institution. Das Angebot richtet sich an Frauen mit psychischen Erkrankungen oder starker Erschöpfung. Mit Säugling und Kleinkind, ca. 4 Wochen Aufenthalt.
→ itawegman-mutterkindhaus.ch
Mutter-Kind-Haus Albinen, VS
Eine Auszeit mit professioneller Betreuung, um Mütter vor einer Erschöpfung aufzufangen oder eine Erkrankung zu verhindern. Kinder bis 3-jährig, 10 Tage bis mehrere Wochen.
→ mutterkindhausalbinen.ch
Weitere Anlaufstellen
Elternnotruf → elternnotruf.ch
Postpartale Depression Schweiz → postpartale-depression.ch
Pro Mente Sana → promentesana.ch
Die Dargebotene Hand → 143.ch
Buch: Nora Imlau, «Bindung ohne Burnout», 2024, Beltz Verlag, Fr.30.–.