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Wenn die Tochter zur Freundin erklärt wird
zvg
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«Woah, Moment mal: Was war das gerade?! Du hast mich eben nicht wirklich gefragt, ob meine zwölfjährige Tochter meine Freundin ist.»
Damit, dass mir so ein Satz beizeiten über die Lippen kommt, hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Okay, ich bin mit meiner Grossen alleine in die alte Heimat nach Berlin gefahren, weil sie die Geburtstagsparty ihres besten Freundes nicht verpassen wollte. Und ja, hier treibt sich eine Menge seltsames Volk rum, das nicht nur befremdliche Fragen stellt, sondern auch durchaus den Charme der Stadt ausmacht. Aber echt jetzt: Meine Freundin? Das ist auf so vielen Ebenen daneben, da weiss ich überhaupt nicht, wo ich anfangen soll. Ich bin kein Gilmore Girl, darauf hab ich keine schlagkräftige Reaktion.
Und es mag ja sein, dass sie ordentlich in die Höhe geschossen und fast so gross wie ihre Mutter ist. Aber sie ist zwölf, verdammt. ZWÖLF. Also noch nicht mal ein Teenager. Ich hingegen bin Ende dreissig. Wenn man sich richtig fette Tomaten auf die Augen setzt, gehe ich vielleicht als Ende zwanzig durch. Und selbst dann ist die ganze Sache immer noch ziemlich uncool. Ich wäre dann schon ein Jahrzehnt volljährig und meine Tochter wäre, was, sechzehn, siebzehn?
Fragen über Fragen. Bevor ich sie dem Typen, der in der U-Bahn neben uns sass, stellen konnte, mussten wir allerdings schon raus. Und ich blieb mit einem dreifach unguten Gefühl zurück.
- War das auf ganz persönlicher Ebene echt übergriffig und eklig. Ich möchte so etwas nicht und ich möchte vor allem nicht, dass meine zwölfjährige Tochter damit belästigt wird. Aber das rollt wohl allmählich auf sie zu. Anzüglichkeiten, Übergriffigkeiten und solche Sachen. Tolle Welt!
- Fielen mir ein paar Schulkameradinnen ein, die in der Oberstufe tatsächlich mit Endzwanzigern «gegangen sind». Damals ist das als Phänomen eher an mir vorbeigegangen. Heute finde ich es richtig gruselig.
- Hätte man das eine Mutter mit ihrem Sohn nie gefragt. Ganz im Gegenteil. Für den Fall, dass die Frau in einer heterosexuellen Beziehung zwischen zwei Erwachsenen deutlich älter ist, wird sie schon mal gefragt, ob sie nicht «die Mutter des jungen Mannes» sei. Womöglich noch, ob sie «das alte Pferd ist, auf dem er Reiten gelernt hat» (Mit unfreundlichem Gruss an das Social Media Team der Zeitschrift Stern für diese Perle der Widerwärtigkeit).
Wie gesagt: Das ist alles so absurd, klischeebehaftet und voller Doppelmoral, dass ich da noch länger werde drauf rumdenken müssen.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.