
istockphoto
Erziehung
«Wenn-dann-Sätze sind Nötigung»: Ex-Super-Nanny rät Eltern, auf Drohungen zu verzichten
Von Sabine Kuster, Nordwestschweiz
Einst war sie «Super Nanny» auf RTL. Jetzt plädiert Katharina Saalfrank dafür, Strafen abzuschaffen. Sogar auf Drohungen sollen Eltern verzichten.
Bekannt geworden ist Katharina Saalfrank als «Super Nanny» mit der gleichnamigen Doku-Serie auf RTL 2004 bis 2011. Haarsträubende Familiengeschichten hat sie damals vor laufender Kamera mit wenigen Handgriffen entwirrt.
Das war einmal. Heute distanziert sich die Pädagogin und Therapeutin von der Serie: «Für das Fernsehen sind verhaltensorientierte Ansätze sehr willkommen, weil es so einen plakativen und schnellen Vorher-Nachher-Effekt zeigen kann. Nachhaltig ist es nicht und wertschätzend im Umgang auch nicht», findet Saalfrank. Sie habe sich deshalb schnell dafür eingesetzt, das Konzept verändern zu dürfen und die Bindung zu den Eltern in den Mittelpunkt zu stellen. Diese Beziehung beschreibt Saalfrank in ihrem neuen Buch. Ihre Erziehung ist sanft, sogar radikal in ihrer Sanftheit. «Kindheit ohne Strafen» heisst das Buch und Saalfrank meint das bis in alle Winkel möglicher Strafen so. Sie ist dagegen. Sogar gegen «Wenn du jetzt nicht, dann …»-Sätze. Und gegen Strafarbeiten in der Schule.
Das ist der extreme Teil ihres Buches. Der Hauptteil inspiriert, auch wenn Saalfrank viel Verständnis der Eltern – fast schon eine engelsgleiche Gelassenheit – einfordert. Verständnisvolle Zuwendung ist ihr Rezept im Erziehungsalltag. Die Sorge, dass da kleine Tyrannen heranwachsen könnten, schlägt sie in den Wind: Kinder, ist sie überzeugt, fordern nur die Deckung ihrer elementaren Grundbedürfnisse ein: Schutz, Anerkennung und Nähe vor allem.
Zuerst versuchen Eltern es nett
Die meisten Beispiele, die sie nennt, werden Eltern bekannt vorkommen: Zuerst sagt man dem Zögling freundlich, dass er von der Fensterbank wieder runterklettern soll, dann zunehmend ärgerlich, am Ende droht man: «Wenn du nicht sofort runterkommst, gehen wir nachher nicht zur Oma!»
Solche Sanktionen schaden der Beziehung zum Kind, ist Saalfrank überzeugt. «Im juristischen Sinne handelt es sich bei den ‹Wenn-dann-Sätzen› schlicht um Nötigung», sagt Saalfrank auf Nachfrage dieser Zeitung. «In der Regel kann man das Problem auch anders lösen. Sie können zum Beispiel später zu Hause Ihr Kind fragen: ‹Das letzte Mal lief das und das nicht so gut. Was meinst du, wie könnten wir es in Zukunft machen, damit wir nicht in Streit geraten?›»
Soll man also nicht einmal sagen: «Wenn du nicht aufhörst, mit dem Löffel auf dem Teller rumzutrommeln, dann nehme ich ihn dir weg»? Man könne schon, sagt Saalfrank, aber es gehe auch anders: Solche Kinder seien oft in der Experimentierphase. «Eine Drohung vergiftet unter Umständen die Atmosphäre am Tisch», sagt Saalfrank. Sie schlägt vor, stattdessen etwas zum Rumhämmern anzubieten, das weniger Lärm macht oder dem Kind die Hand hinzustrecken und es aufzufordern, den Löffel hineinzulegen.
Bei Kindern, die ihr Essen aus dem Mund auf den Tisch schmieren oder runterwerfen, helfe es, ein kleines Tellerchen anzubieten, wo sie alles hineinlegen können. «Das funktioniert nicht immer, aber immer öfter», sagt Saalfrank. «Für mich war es als Mutter sehr erstaunlich zu sehen, wie kooperativ die kleinen Wesen sind. Häufig vertrauen wir einfach nicht darauf.»
Am Ende nur Machtkämpfe
Von den alten Erziehungssätzen «Wer nicht hören will, muss fühlen» und dergleichen hält sie deshalb gar nichts. Anfangs seien die Eltern meist noch tolerant und beruhigten sich selbst, indem sie sich sagen: Das ist nur die Trotzphase. Aber wenn die Kinder älter werden, beginnen die Machtkämpfe. Das ist nicht konstruktiv, denn die Fronten verhärten sich – die Kooperationsbereitschaft sinkt bei den Kindern.
Wenn Eltern ihren Kindern sagen, «Du weisst ganz genau, dass…», erhalten die Kinder die Botschaft, dass sie mit diesem Verhalten abgelehnt werden. «Wir säen in dieser Form von elterlicher Führung in der kindlichen Seele zwei Gefühle: Schuld und Scham», ist Saalfrank überzeugt. «Es lernt nur: Ich muss gehorchen, sonst erfahre ich Schmerzen oder mir wird etwas weggenommen.» Werde ein Kind häufig bestraft, so sei die Beziehung nicht von Vertrauen, sondern von Angst geprägt.
Eltern nehmen das trotzige Verhalten von Kindern schnell persönlich und haben das Gefühl, dass diese auf eine Auseinandersetzung mit den Erwachsenen aus sind. Warum wäscht sich das Kind nicht einfach die Hände? Jetzt hat es doch das Spielzeug extra noch mal zu Boden geworfen! Doch – und das ist Saalfranks Kernbotschaft – Kinder verweigern sich nicht, um Eltern zu ärgern, Kinder können oft einfach nicht anders.
Manchmal überfordert sie ein zu hoher Erwartungsdruck, wenn sie sich zu lange nach den Wünschen und Erwartungen der Eltern haben richten müssen. Oder nach einem anstrengenden Schul- oder Kita-Tag. Saalfrank spricht von Überkooperation: zu oft gehorcht, zu oft fremdgesteuert gewesen. Oder die Kinder verweigern sich, weil sie nicht mehr genügend Vertrauen in die Beziehung zu einem Elternteil haben, wenn sie verletzt oder gekränkt wurden.
Vernunft-Appell bringt nichts
Die Eltern seien sich häufig nicht bewusst, wie oft am Tag das Kind schon genau das gemacht hat, was die Eltern erwartet oder vorgeschlagen haben. Und die Kinder wissen: Sie sind fast immer am kürzeren Hebel. Sie müssen. Wenn sie trotzdem «Nein» sagen, dann geschieht das meist laut bis gewalttätig – weil sehr verzweifelt. Entsteht dann ein Machtgerangel zwischen Eltern und Kind, fühlen sich am Ende beide Seiten unverstanden.
Da bringt es auch nichts, wenn Eltern an die Vernunft appellieren: «Es gibt nichts Süsses, denn wir essen gleich.» Die Kinder wüssten meist selbst, welches Verhalten erwünscht sei, aber sie könnten eben gerade entwicklungsbedingt nicht anders. Man solle den Ärger der Kinder nicht wegargumentieren, sagt Saalfrank. Denn in Stresssituationen könne man Kinder auf der kognitiven Ebene ohnehin nicht erreichen. Es gehe nicht darum, sich einig zu werden, sondern die Frustration der Kinder auszuhalten. Und ihnen mitzuteilen, dass man den Ärger versteht – ohne von der eigenen Position abzurücken: «Du ärgerst dich und puh… du bist ganz schön erschöpft.»
Dadurch werde sich ein Kind nicht sofort beruhigen, aber viel wichtiger sei, dass es sich in emotionalen Situationen nicht allein fühle und merke, dass man unterschiedlicher Ansicht sein und trotzdem liebevoll miteinander umgehen kann. Strafen würde die Überforderung nur noch steigern, ist die Pädagogin überzeugt. Und dass das langfristige Auswirkungen auf das Fühlen und Denken der Kinder habe: bezüglich Stressresistenz beispielsweise, Frustrationstoleranz, Empathie und vor allem um ein gutes Selbstwertgefühl zu entwickeln.
Und wenn es tobt? Es gibt zwei Möglichkeiten: ausharren in der Situation und abwarten. Oder das Kind nehmen und die Situation verlassen. Saalfrank hat sich meist für Letzteres entschieden. Das bedingt aber, dass man das Kind noch tragen kann.
Strafe belastet Lehrerbeziehung
Doch Saalfrank schreibt auch gegen Strafen für ältere Kinder an – und hält Strafarbeiten in der Schule zwar für kurzfristig effektiv, aber für überflüssig. Auch wenn die Hausaufgaben nicht erledigt wurden. Sie sagt auf Nachfrage: «Erst mal gibt es ganz unterschiedliche Gründe dafür, warum Kinder die Hausaufgaben nicht machen. Die Ursachen dafür finden wir nicht, wenn wir Strafarbeiten verhängen. Ausserdem kann ich gut nachempfinden, dass Kinder nicht immer motiviert sind, ihre Hausaufgaben zu erledigen. Denn das Lernziel ist eines, welches Erwachsene für Kinder festgelegt haben. Wenn Sie sich vorstellen, dass Sie den ganzen Tag etwas tun sollen, was nicht voll ihrem Interesse entspricht, dann können Sie vielleicht nachvollziehen, dass die Motivation bei Kindern, Hausaufgaben zu machen, nicht immer bei 100 Prozent liegt.» Dennoch seien Kinder Teamworker: «Sie wollen sich mit uns verbinden und tun uns jeden Tag Dinge zu Gefallen.»
Strafarbeiten würden oft bloss den Druck erhöhen und die Beziehung zum Lehrer belasten. In ihrer Praxis suchten die Lehrer im Gespräch mit dem Schüler gemeinsam nach anderen Möglichkeiten. «Dafür fehlt im vorhandenen System leider oft die Zeit.»
Ein Beitrag von «Nordwestschweiz».